Gänsehaut und Gipsy-Dub für die Openair-Laune
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Zum ersten Mal im Sittertobel war ich 1999 – mit Pantli, Trainerhosen und Discman im Gepäck. Beim Anstehen waren wir fast nervöser als zuvor beim Gras kaufen. Und wir nickten artig betroffen, wenn sich erfahrenere Fans engen Herzens darüber empörten, dass sich das einstige «PionAir» in St.Gallen langsam zum betreuten Kommerzabsturz wandle.
Heute gehöre ich wohl auch zu diesen Nimmerglatten. Mittlerweile nervt diese schiere Masse, die jedes Jahr wieder abgefertigt werden muss an all den Cash-Points, Check-Ins, Take-Aways, Info-, Dusch- und Abfallstationen. Muss wirklich alles immer so organisiert sein? Gut, die Musik ist Geschmackssache. Mein Line-Up hätte vermutlich mehr Punkrock und weniger gekostet. Aber mit goldenen Schallplatten wird man wohl eher zum Standortfaktor. Kein Problem, wenn sie so daherkommen wie die Black Keys.
Google verspricht zum Glück eine trockene Freitagnacht, also bleiben die Profi-Landi-Stiefel vorerst zu Hause. Am Bahnhof angekommen, bin ich aber nicht mehr ganz überzeugt von meinem doch recht praxisorientierten Outfit. Immerhin versichert die Leuchttafel, dass es schon der Openair-Bus ist, auch wenn er mehr Aftershaves, Handtaschen und Puderdosen als Sixpacks transportiert. Ernsthaft? Der Openair-Bändel ist doch die ultimative Lizenz zum scheisse aussehen und sich super fühlen. Wie auch immer, bauchfrei ist wieder en vogue offenbar.
Nach 22 Uhr kommt man angenehm schnell durch die Badge- und Gepäckkontrollen, genervt bin ich trotzdem. Weil dieser notorisch junggebliebene Solarium-Onkel mir eine Beule verpasst hat beim Aussteigen mit seinem teuren Stuhl. Dann meinte er noch, ich solle gefälligst achtgeben auf sein 80-fränkiges Interio-Schnäppchen. Hätte ich doch wenigstens das andere Shirt angezogen. Alleine scheisse aussehen fühlt sich etwa gleich prickelnd an wie die Willkommens-Durchsuchung am Eingang.
Entsprechend grantig starre ich in die Sitter, als von der Sternenbühne her die ersten Töne geflogen kommen. The Naked And The Famous haben den Soundtrack zur Dämmerung und ich tatsächlich Gänsehaut! Keine Ahnung, ob es am stimmigen Sound der Neuseeländer liegt oder am begeisterten Publikum, das im gelben Licht zur Welle verschmilzt. Ein perfekter Moment.
Durch die Gras- und Schnitzelbrotwolken geht es weiter Richtung Sitterbühne zu den Black Keys. Die Jungs aus Ohio drehen zwar eine Spur zu langsam auf, rocken das Tobel aber solid. Es gibt sogar diesen einen Moment, in dem ich es bereue, keine langen Haare zu haben. Aber headbangen ist nunmal ein Reflex, und so bin ich um halb zwei wohl etwas verkrampft im Nacken, aber ziemlich parat für das Dubioza Kollektiv auf der Sternenbühne.
Mittlerweile habe ich auch Freunde und meine Depot-Jetons gefunden, yay! Die Stimmung am Konzert des Bosnischen Energiekollektivs ist ausgelassen, wie erwartet. Mit seinem launigen Gipsy-Dub reisst es innert Kürze auch den hinterletzten Arsch aus seinem Interio-Stuhl. Erschöpft, aber zufrieden krieche ich irgendwann wieder dem Tag entgegen. Das Beste zum Schluss, denke ich, als ein längst verschollen geglaubter Freund der alten Schule meinen Heimweg kreuzt. Wir finden, dass ein Quöllfrisch locker noch drin liegt, sitzen auf einer Bank und quatschen uns selig, bis es echt nicht mehr geht ohne Sonnenbrille. Auch das ist Openair.