Fussball, Fans und Journalismus
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Die neuste Ausgabe des Fussballmagazins SENF heisst «Mir und di andere». «Fussball ist nun mal ein Spiel, das nur mit einem Gegner funktioniert», heisst es im Editorial. «Und richtig spannend wird es sowieso erst, wenn auf der anderen Platzhälfte eine Mannschaft steht, mit welcher der eigene Verein eine gemeinsame Geschichte verbindet. Kurzum: ‹Mir› sind zwar immer die und unzweifelhaft die Besten, ohne ‹di Andere› geht es aber halt auch nicht.»
Das Motto der Podiumsdiskussion am Heft-Release gestern Abend im Fanlokal war ebenfalls «Wir und die anderen», allerdings waren hier nicht die gegnerischen Teams gemeint, sondern die Medien – Die Fans und die Medien, Senf und die anderen Medien, der Fussball und die Medien. Bruno Zanvit vom Senf-Kollektiv moderierte die Runde, bestehend aus Christian Brägger, Sportjournalist beim «Tagblatt», Jan Schaller vom Toxic-Adranalin-Team und Ruben Schönenberger vom Senf-Kollektiv.
Nicht immer ein einfaches Thema, Fussball und Medien, besonders wenn es um die Fans geht. Geschrieben wird viel über sie, aber effektiv zu Wort kommen sie nur selten abseits der eigenen Plattformen. Ausser es wird politisch. Dann heisst es wahlweise, man schreibe zu wenig, zu unkritisch oder zu nett über die Fans und das Fussballbusiness. Auch die Saiten-Berichterstattung – dazu gehört auch die Senf-Kolumne auf saiten.ch – wird regelmässig kritisiert, dass sie zu viel Fantum und gute Laune und zu wenig (Kapitalismus-)Kritik beinhalte. Nicht ganz zu Unrecht.
Die Distanz wahren
Man müsse differenzieren, sagte Christian Brägger auf die Frage, ob er denn selber auch Grün-Weiss-Fan sei. «Im Fall von St.Gallen ist es wohl gut, wenn man nicht Fan ist, sondern einfach Sympathisant.» Und in seinem Fall, als objektiver Berichterstatter, sei es sowieso wichtig, die Distanz zu wahren.
Bei Jan Schaller liegt die Sache anders. Wer ihm schon einmal live zugehört hat während der Partie, weiss, wie laut sein Herz für den FCSG schlägt. Ruben Schönenberger und den anderem vom Senf-Kollektiv ergeht es zwar gleich, doch sie versuchen trotzdem möglichst objektiv zu bleiben. «Wir sehen uns als Fussballmagazin, nicht als Fanmagazin», betonte Schönenberger.
Das «Tagblatt» ist Medienpartner des FC St.Gallen und hat auch mit Abstand die grössten Ressourcen in der Berichterstattung. Es darum als «Hausblatt des FCSG» zu bezeichnen, sei aber «völlig unbegründet», sagte Brägger. Die Medienpartnerschaft habe auf den redaktionellen Teil keinen Einfluss. «Wir sind wohl diejenigen, die am meisten Kontakt zur Vereinsführung haben, der nicht positiv ist, weil man nicht immer einverstanden ist mit unserer Berichterstattung. Ich glaube sogar, dass die kritische Berichterstattung eher noch angezogen hat in den letzten Jahren.»
Nicht so dramatisch wie angenommen
Das mag sein, stimmt aber sicher in einem Fall so nicht. Es geht um einen Vorfall im letzten April. St.Gallen verlor gegen Basel mit 0:7, die Fans waren geknickt. «Eine verärgerte Hundertschaft blockierte die unterirdische Zufahrt zur AFG Arena und hinderte die Spieler daran, von der Stätte des Unheils wegzukommen», stand tags darauf im «Tagblatt». «Die Polizei war ebenfalls zur Stelle, und auch Präsident Dölf Früh half mit, eine Eskalation zu verhindern. Nach langem Zureden war es schliesslich geschafft.»
SENF 07, ab jetzt erhältlich. Aboservice: senf.sg
Auf der Fanseite sah man das völlig anders. Senf hat dazu Stellung genommen: «In der Tat standen einige Fans in besagter Ausfahrt. Entgegen dem Tagblatt-Artikel war die Stimmung aber ausserordentlich ruhig, fast schon entspannt.» Die Ausfahrt sei niemandem verweigert worden und es habe auch zu keiner Zeit irgendwer eingreifen müssen. «Weder die Polizei noch Dölf Früh mussten die Situation beruhigen.»
Brägger, der besagten «Tagblatt»-Artikel verfasst hat, räumte denn auch ein, dass das Ganze «im Nachhinein etwas unglücklich verlaufen» sei und schilderte nochmals seine Sicht: Er sei damals «von sehr hoher Stelle» des FC St.Gallen angerufen und über die Geschehnisse informiert worden, kurz vor Redaktionsschluss. Da das 0:7 eine schwierige Situation für alle gewesen sei und die Leser schliesslich das Recht hätten, zu erfahren, wenn etwas passiert, habe er sich entschieden, die Geschichte zu machen. «Dass es gar nicht so dramatisch war, hat man mir am Telefon nicht erzählt», erklärte er, verkniff sich aber eine offizielle Entschuldigung. Oder das Zugeständnis, die Angaben «von sehr hoher Stelle» beim nächsten Mal zu überprüfen.
Ein eigener Zapfhahn im Stadion
Keine Frage, wenn der Redaktionsschluss im Nacken sitzt, können solche Fehler schnell passieren. Das musste auch Saiten schon erfahren. Allerdings kommen die Fans auch im normalen journalistischen Alltag, wenn es diesen denn gibt, nicht immer gut weg.
Früher sei es schlimmer gewesen, meinte Zanvit. «Die Negativberichterstattung hat gefühlt etwas abgenommen, seit nicht mehr auf dem Rücken der Fans Politikkarriere gemacht wird im Kanton St.Gallen.» Schönenberger stimmte dem zu, gab aber zu bedenken, dass das Problem auch hausgemacht sei. «Fans sind per se eher zurückhaltend im Umgang mit den Medien. Wenn aus dieser Ecke so wenig kommt, ist es ein Stück weit normal, dass die Berichterstattung Schlagseite hat.»
Zum Schluss die gegenseitigen Wünsche für die Zukunft: Brägger, der auch schon neben Schaller sitzen musste in der Arena und entsprechend strapazierte Ohren davontrug, würde gerne einmal die ruhige Seite des Adrenalin-Schallers erleben. Dieser wiederum wünscht sich erstens einen eigenen Zapfhahn im Stadion und zweitens eine kritischere Eigenberichterstattung seitens FCSG. Und Schönenberger, der sich mittlerweile an die toxischen Ausbrüche gewöhnt hat, nähme ebenfalls den Zapfhahn – und ist alles andere als böse, wenn der FC die kritische Berichterstattung weiterhin dem SENF-Kollektiv überlässt.