Das waren noch Zeiten! Die Flugscham war noch nicht erfunden, Feinstaubbelastungen waren irgendwie allen oder mindestens den meisten ein bisschen egal, und die Hüslischweiz begann erst langsam aus den Siedlungsrändern herauszuwachsen. Da gab es noch Platz und Zeug für grosse Funken. Und der Riedfunken war schon immer der schönste – davon sind im Ried alle überzeugt.
Autoreifen, Styropor, alte Teppiche, Kartonschachteln, Zeitungen und sehr viel Holz wurden rund um einen Stamm gestapelt. Hoch, höher, am höchsten. Bis die ganze Pracht am vierten Fastensonntag in Flammen aufging – ein Datum, das zu Diskussionen führt, ob der schwäbisch-alemannische Brauch des Funkenfeuers in christlicher oder heidnischer Tradition steht. Alt ist er auf jeden Fall; so alt, dass auch im Ried, jenem Quartier südlich des Dorfes Appenzell, niemand mehr weiss, wann es den ersten Funken gegeben hat. Darauf kommt es auch gar nicht an. Hauptsache, das Spektakel findet statt. Zwar dürfen Pneus, Sofas, Matratzen nicht mehr in den Stoss und das Holz muss unbehandelt sein. So will es die Luftreinhalteverordnung. Auch scharfe Munition und Schwarzpulver sind aus der Funkebaabe verbannt, jener Figur zuoberst am vertikalen Stamm. Aber Jahr für Jahr lodert der Funken.
Elektrisierender Funkensonntag
Die Bilder sprechen für sich. Die Hitze lassen sie nur erahnen. Aber das Leuchten der gewaltigen Flammen, der Widerschein in den Gesichtern, die explodierenden Feuerwerkskörper, die Fackeln sind eindrücklich. Versammelt sind diese Fotografien im Buch Riedfunken Appenzell. Roman Signer gehört ebenso zum Herausgeberteam wie Stefanie Gschwend, Direktorin Kunstmuseum und Kunsthalle Appenzell.
Für das Buch haben die beiden ein Gespräch geführt. Roman Signer berichtet darin, wie er schon als kleiner Appenzeller Bub im Bann des Riedfunkens stand: «Früher elektrisierte mich der Funkensonntag.» Er lief immer gleich ab: «Sammeln, Aufbauen, Fackelzug, Entzünden, Verbrennen. Der lustigste Teil war das Sammeln. Man klapperte mit Leiterwagen das Dorf ab und fragte bei allen Häusern, ob sie Funkenware haben.» Aus all dem Material wurde der Funken aufgebaut – für den Künstler Roman Signer ein kollektiver skulpturaler Akt: «Das aufgetürmte Material und die Art, wie es aufgeschichtet ist, bildet eine anonyme Skulptur. Es steht kein einzelner Künstler oder Schöpfer hinter dem Funken. Die Form entsteht durch die Energie vieler und setzt sich beim Entzünden in die Energie des Feuers um.»
Monumental und männerdominiert
Die ästhetischen Qualitäten eines Funkens, der noch aus allem bestehen durfte, was beim Materialsammeln zusammengetragen wurde, lassen sich in der Kunsthalle Appenzell studieren.
Monumental – gemessen an den Dimensionen eines Innenraumes – steht ein Funken im Ausstellungssaal im Erdgeschoss. Während die heutigen Funken schlanke Konstruktionen auf rechteckigem Grundriss sind, ähnelt der Funken nach alter Bauart einem dickbauchigen Turm. Das Material ist so heterogen wie es früher noch erlaubt war, Motto: Hauptsache brennbar. Integriert ist auch ein altes Fernsehgerät, auf dem ein Video des Funkens aus dem Jahr 1990 zu sehen ist. Den Funken und das Fest 2017 dokumentiert ein Video eine Halbetage weiter oben in der Kunsthalle.
Bei allen zeittypischen Unterschieden: Die Arbeit am Funken ist eine männerdominierte und bierunterstützte Angelegenheit. Der technische Aufwand ist hoch, der Körpereinsatz ebenfalls. Alles, damit weithin sichtbar das schönste und grösste Frühlingsfeuer lodert. Im Ried ist man zurecht stolz auf den Funken. Er stiftet viele Identifikationsmomente. Dies gilt auch für die Kunsthalle Appenzell. Stefanie Gschwend hat im vergangenen Jahr einen Öffnungsprozess angestossen, der das Quartier und die ehemalige Ziegelhütte einander wieder näher bringen soll. Den «Riedfunken» in die Ausstellungsräume zu holen, ist ein grosser Schritt auf diesem Weg.
«Riedfunken»: bis 27. April, Kunsthalle Appenzell
kunstmuseum-kunsthalle.ch
Stefanie Gschwend, Guido Koller, Roman Signer und Peter Zimmermann (Hrsg.): Riedfunken Appenzell. Verlag Druckerei Appenzeller Volksfreund, Appenzell 2025.
dav.ch
Funkensonntag im Ried: 30. März, ab 17 Uhr, beim Hotel Freudenberg Appenzell
riedfunke.ch