Funkensonntag im Ried

Ein Funken ist ein Spektakel. Besonders im Ried. Im Quartier im südlichen Dorf Appenzell bringt der Funkenverein Jahr für Jahr einen gewaltigen Holzstoss zum Lodern. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Appenzell und eine Publikation widmen sich diesem alten Brauch.

Der Riedfunken im Jahr 1977. (Bild: pd/Funkenverein Ried Appenzell)

Das wa­ren noch Zei­ten! Die Flug­scham war noch nicht er­fun­den, Fein­staub­be­las­tun­gen wa­ren ir­gend­wie al­len oder min­des­tens den meis­ten ein biss­chen egal, und die Hüs­li­schweiz be­gann erst lang­sam aus den Sied­lungs­rän­dern her­aus­zu­wach­sen. Da gab es noch Platz und Zeug für gros­se Fun­ken. Und der Ried­fun­ken war schon im­mer der schöns­te – da­von sind im Ried al­le über­zeugt.

Au­to­rei­fen, Sty­ro­por, al­te Tep­pi­che, Kar­ton­schach­teln, Zei­tun­gen und sehr viel Holz wur­den rund um ei­nen Stamm ge­sta­pelt. Hoch, hö­her, am höchs­ten. Bis die gan­ze Pracht am vier­ten Fas­ten­sonn­tag in Flam­men auf­ging – ein Da­tum, das zu Dis­kus­sio­nen führt, ob der schwä­bisch-ale­man­ni­sche Brauch des Fun­ken­feu­ers in christ­li­cher oder heid­ni­scher Tra­di­ti­on steht. Alt ist er auf je­den Fall; so alt, dass auch im Ried, je­nem Quar­tier süd­lich des Dor­fes Ap­pen­zell, nie­mand mehr weiss, wann es den ers­ten Fun­ken ge­ge­ben hat. Dar­auf kommt es auch gar nicht an. Haupt­sa­che, das Spek­ta­kel fin­det statt. Zwar dür­fen Pneus, So­fas, Ma­trat­zen nicht mehr in den Stoss und das Holz muss un­be­han­delt sein. So will es die Luft­rein­hal­te­ver­ord­nung. Auch schar­fe Mu­ni­ti­on und Schwarz­pul­ver sind aus der Fun­ke­baa­be ver­bannt, je­ner Fi­gur zu­oberst am ver­ti­ka­len Stamm. Aber Jahr für Jahr lo­dert der Fun­ken.

Elek­tri­sie­ren­der Fun­ken­sonn­tag

Die Bil­der spre­chen für sich. Die Hit­ze las­sen sie nur er­ah­nen. Aber das Leuch­ten der ge­wal­ti­gen Flam­men, der Wi­der­schein in den Ge­sich­tern, die ex­plo­die­ren­den Feu­er­werks­kör­per, die Fa­ckeln sind ein­drück­lich. Ver­sam­melt sind die­se Fo­to­gra­fien im Buch Ried­fun­ken Ap­pen­zell. Ro­man Si­gner ge­hört eben­so zum Her­aus­ge­ber­team wie Ste­fa­nie Gschwend, Di­rek­to­rin Kunst­mu­se­um und Kunst­hal­le Ap­pen­zell.

Für das Buch ha­ben die bei­den ein Ge­spräch ge­führt. Ro­man Si­gner be­rich­tet dar­in, wie er schon als klei­ner Ap­pen­zel­ler Bub im Bann des Ried­fun­kens stand: «Frü­her elek­tri­sier­te mich der Fun­ken­sonn­tag.» Er lief im­mer gleich ab: «Sam­meln, Auf­bau­en, Fa­ckel­zug, Ent­zün­den, Ver­bren­nen. Der lus­tigs­te Teil war das Sam­meln. Man klap­per­te mit Lei­ter­wa­gen das Dorf ab und frag­te bei al­len Häu­sern, ob sie Fun­ken­wa­re ha­ben.» Aus all dem Ma­te­ri­al wur­de der Fun­ken auf­ge­baut – für den Künst­ler Ro­man Si­gner ein kol­lek­ti­ver skulp­tu­ra­ler Akt: «Das auf­ge­türm­te Ma­te­ri­al und die Art, wie es auf­ge­schich­tet ist, bil­det ei­ne an­ony­me Skulp­tur. Es steht kein ein­zel­ner Künst­ler oder Schöp­fer hin­ter dem Fun­ken. Die Form ent­steht durch die En­er­gie vie­ler und setzt sich beim Ent­zün­den in die En­er­gie des Feu­ers um.»

Mo­nu­men­tal und män­ner­do­mi­niert

Die äs­the­ti­schen Qua­li­tä­ten ei­nes Fun­kens, der noch aus al­lem be­stehen durf­te, was beim Ma­te­ri­al­sam­meln zu­sam­men­ge­tra­gen wur­de, las­sen sich in der Kunst­hal­le Ap­pen­zell stu­die­ren.

Mo­nu­men­tal – ge­mes­sen an den Di­men­sio­nen ei­nes In­nen­rau­mes – steht ein Fun­ken im Aus­stel­lungs­saal im Erd­ge­schoss. Wäh­rend die heu­ti­gen Fun­ken schlan­ke Kon­struk­tio­nen auf recht­ecki­gem Grund­riss sind, äh­nelt der Fun­ken nach al­ter Bau­art ei­nem dick­bauchi­gen Turm. Das Ma­te­ri­al ist so he­te­ro­gen wie es frü­her noch er­laubt war, Mot­to: Haupt­sa­che brenn­bar. In­te­griert ist auch ein al­tes Fern­seh­ge­rät, auf dem ein Vi­deo des Fun­kens aus dem Jahr 1990 zu se­hen ist. Den Fun­ken und das Fest 2017 do­ku­men­tiert ein Vi­deo ei­ne Halb­eta­ge wei­ter oben in der Kunst­hal­le.

Bei al­len zeit­ty­pi­schen Un­ter­schie­den: Die Ar­beit am Fun­ken ist ei­ne män­ner­do­mi­nier­te und bier­un­ter­stütz­te An­ge­le­gen­heit. Der tech­ni­sche Auf­wand ist hoch, der Kör­per­ein­satz eben­falls. Al­les, da­mit weit­hin sicht­bar das schöns­te und gröss­te Früh­lings­feu­er lo­dert. Im Ried ist man zu­recht stolz auf den Fun­ken. Er stif­tet vie­le Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mo­men­te. Dies gilt auch für die Kunst­hal­le Ap­pen­zell. Ste­fa­nie Gschwend hat im ver­gan­ge­nen Jahr ei­nen Öff­nungs­pro­zess an­ge­stos­sen, der das Quar­tier und die ehe­ma­li­ge Zie­gel­hüt­te ein­an­der wie­der nä­her brin­gen soll. Den «Ried­fun­ken» in die Aus­stel­lungs­räu­me zu ho­len, ist ein gros­ser Schritt auf die­sem Weg.

 

«Ried­fun­ken»: bis 27. April, Kunst­hal­le Ap­pen­zell
kunst­mu­se­um-kunst­hal­le.ch

Ste­fa­nie Gschwend, Gui­do Kol­ler, Ro­man Si­gner und Pe­ter Zim­mer­mann (Hrsg.): Ried­fun­ken Ap­pen­zell. Ver­lag Dru­cke­rei Ap­pen­zel­ler Volks­freund, Ap­pen­zell 2025.
dav.ch

Fun­ken­sonn­tag im Ried: 30. März, ab 17 Uhr, beim Ho­tel Freu­den­berg Ap­pen­zell
ried­fun­ke.ch