Für die Ursachen der Flucht interessiert sich niemand

Es überrascht mich, dass viele Europäer denken, wir seien nur wegen ihres Geldes hier. Und die Medien beschäftigen sich meist nur mit den Folgen der «Flüchtlingsflut».
Von  Yonas Gebrehiwet

Alle fragen sich, warum so viele Eritreer und Eritreerinnen ihr Heimatland verlassen und in die Schweiz einreisen. Es ist nicht die Suche nach einem besseren Leben, die sie aus Eritrea in die Schweiz und den Rest Europas treibt. Bei einigen Flüchtlingen mag das zutreffen, aber bei den meisten hat die Flucht politische Hintergründe.

Wie will man in einem Land weiterleben, in dem man zwar Pflichten, aber keine Rechte kennt? Wie will man in einem Land weiterleben, in dem man überwacht wird, Zwangsarbeit und «National Service» (Militärdienst) auf unbestimmte Zeit leisten muss, während man dabei weniger als 7 Franken pro Monat verdient? Wie will man in einem Land weiterleben, dessen Regierung kaum wirtschaftliche Entwicklungen vorantreibt und auch ihre Staatsangehörigen nichts unternehmen lässt?

Um die Situation in Eritrea detailliert zu erklären, bräuchte ich ein ganzes Buch, nicht nur diese eine Kolumne. Aber um ehrlich zu sein: Glauben Sie wirklich, dass die gegenwärtig etwa 360’000 eritreischen Staatsangehörigen in der Schweiz und Europa leichtfertig alles aufgegeben und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, nur um hier ein «schönes Leben» zu haben?

Es überrascht mich, dass viele Europäer denken, wir seien nur wegen ihres Geldes hier. Leider hört man in den Medien meist nur von den Folgen der «Flüchtlingsflut» – für die Fluchtursachen interessiert sich niemand. Europäische Länder geben so viel Geld aus für die Sicherung und Überwachung der Grenzen. Doch wie wir es gerade erleben, ändert sich dadurch nicht viel.

Würde man dieses Geld anders einsetzen, etwa um die Ursachen der Probleme anzugehen, könnte man die Zahl der Asylgesuche vielleicht tatsächlich verringern. Aber nur dann. Solange man den Flüchtlingen weiterhin die Türen vor der Nase zuschlägt, werden sie sich andere, neue Wege suchen, um an ihr Ziel zu gelangen.

 

Yonas Gebrehiwet, 1996, ist mit 15 Jahren aus Eritrea in die Schweiz gekommen. Er wohnt in Rheineck und macht derzeit eine Ausbildung zum Textiltechnologen. Seit Frühling 2015 schreibt er monatlich die Stimmrecht-Kolumne für Saiten.