, 15. Februar 2019
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Frischer Blick nach Asien und ein Tolggen

Der neue Asiensaal im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen durchbricht Konventionen. Der Zugang über das Thema «Spiel der Kulturen» überzeugt; der Brückenschlag zur Gegenwart hingegen ist ein Griff zu tief in die Neocolorschachtel.

Boot aus Gewürznelken. (Bilder: hrt)

Da hat es also tatsächlich eine Kunstinstallation in den frisch konzipierten Asiensaal geschafft. Farbiger als der Regenbogen, wie der Kollege vom Tagblatt treffend schreibt. Schrill und nach Aufmerksamkeit schreiend, möchte man anfügen, und hinterher die Frage: Wieso? Was repräsentiert die indonesische Blogpionierin und Mode-Design-Unternehmens-Influencerin Diana Rikasari (34) mit über einer Viertelmillion Instagram-Followern, die für die Vernissage am heutigen Freitag kurzfristig in natura sowie als Wachsnachbildung in Tussaud-Manier dauerhaft im Asiensaal figuriert? Wie passt diese überdrehte Einhorn- und Kaugummi-Ästhetik in die neue Asiatik-Dauerausstellung des Historischen und Völkerkundemuseums St.Gallen?

Direktor Daniel Studer erklärt: Während der energetischen Gebäudesanierung zwischen 2012 und 2014 mussten die Dauerausstellungen komplett ausgeräumt werden. Man sei zunächst «wohl etwas naiv» davon ausgegangen, man könne das Ganze danach wieder ebenso einräumen. Natürlich ging das nicht, Beschriftungen waren veraltet, gewisse Exponate nicht mehr für die Dauerausstellung geeignet, einige mussten restauriert werden, und der Wissenschaftlichkeit sollte Rechnung getragen werden.

Starre Strukturen behutsam aufgebrochen

Gleichzeitig wollte man für die Neukonzipierung das alte, starre, kolonial-militärisch anmutende Ausstellungsgefüge, das seit der Eröffnung 1921 unverändert bestand, etwas aufbrechen. Nicht, dass darum gleich ganze Schaukästen herausgerissen werden mussten, aber immerhin wächst jetzt die Nachbildung eines asiatischen Wunschbaums, eine künstlich-künstlerische Kreuzung aus Kiefer und Olivenbaum, aus einer der Vitrinen heraus und verschafft sich Raum und dem Publikum eine kleine Oase.

Vernissage zur neuen Dauerausstellung «Spiel der Kultur/en» im Asiensaal des Historischen und Völkerkundemuseums St.Gallen: 15. Februar, 18.30 Uhr.

hvmsg.ch

Besucherinnen und Besucher können ihre Wünsche auf Zettel kritzeln und in ein Kästchen werfen, das Museumspersonal wird sie später mit einer Kirsch- oder Pfirsichblüte am Baum montieren. Oben im Geäst unter der Saaldecke hockt eine japanische Nachtigall (Uguisu), ein Symbol für Neubeginn und frische Liebe.

Frisch und liebevoll gestaltet sind auch andere Teile der neuen Dauerausstellung, die unter dem Thema «Spiel der Kultur/en» steht. Es ist ausdrücklich eine Ausstellung zum Anfassen: Die Figuren des indonesischen Wayang-Schattenspiels dürfen bewegt, die Schach-, Majong-, Domino- und Backgammon-Spiele benutzt werden.

Natürlich kommen die klassischen Asiatika-Exponate nicht zu kurz. Links vom Eingangsbereich findet man sich etwa in einer Tempellandschaft mit Buddhafiguren aus allen Teilen Asiens, dazu kommen Samurai-Rüstung, Schiffsmodell aus Gewürznelken, Ritualgegenstände: was das völkerkundlich interessierte Herz begehrt.

Spielerisch und trashig

Bei der Konzipierung der Ausstellung hat Asiatik-Kuratorin Jeanne Fichtner ganze Arbeit geleistet. Einem geografisch und kulturell derart weit gefassten Raum in einem kleinen Museumssaal Meisterin zu werden, ist alles andere als einfach. Die Ausstellung ist nicht chronologisch oder geografisch geordnet, sondern wählt den spielerischen Zugang mit Unterthemen wie «Menschen – Spiel der Begegnung» oder «Götter – Spiel der Transzendenz», theoriegeleitet vom Kulturphilosophen Johann Huizinga (1872-1945), der das Spiel nicht einfach als Teil einer Kultur begreift, sondern die Kultur selbst als Spiel. Das Konzept funktioniert ebenso wie der sanfte Übergang in den nächsten Saal, wo ein Japonismus-Teil die Jugendstil-Ausstellung einleitet.

Welches ist wohl die echte Diana Rikasari? (Bild:hrt)

Diese Harmonie wird allerdings kurz vor dem Saalausgang in der Ecke der Moderne jäh durchbrochen. Hier wird in aller Eile Bezug auf das aktuelle, urbane, trashige «Asien» Bezug genommen – Nintendo und Neonreklamen. Gekrönt wird dieser Teil eben durch die Wachsfigur der farbenfrohen Designerin Diana Rikasari, die ihre Follower seit 2017 aus der Schweiz bebloggt und mit Selfies beglückt, weil ihr Mann in Lausanne einen Job bei Philip Morris International angenommen hat.

Die zweifache Mutter liebt die Selbstinszenierung, «fashion is art on my body», eine tiefere Message suchte man bei ihr aber auch im Gespräch an der Medienorientierung vergebens. Selfconfidence and happiness make a better world. So simpel ist das scheinbar. Dass so vermehrt junge Leute ins Museum gelockt werden, darf bezweifelt werden.

Farbtupfer: gut gemeint – Ziel verfehlt

Als Installation in einer Kunstausstellung mag das – sofern richtig kontextualisiert – funktionieren. In einem Museum mit kulturanthropologischem Anspruch wirkt es eher deplatziert. Die Integration dieses schrillen, manchmal durchaus witzigen, aber nur ironisierend Ernst zu nehmenden Teils ostasiatischer (Lolli-)Popkultur bedient vor allem eines: einen leicht herablassenden Blick auf das Exotische, auf das Fremde, das in diesem Fall zwar sympathische Züge annehmen kann, aber letztlich doch eher befremdet.

Es ist der Blick der altbackenen Völkerkunde, jener seit hundert Jahren veralteten Wissenschaftsdiziplin also, die nicht versucht, das «Fremde» aus sich heraus zu verstehen, zu beschreiben und damit den Forschern und dem Publikum näher zu bringen, sondern den Gegenstand nüchtern-naturwissenschaftlich, nach eigenen Massstäben betrachtet – und bewertet. Da schwingt beim noch so aufrichtigen Interesse immer auch die Überlegenheit des Europäers mit: Beim Blick auf vergangene asiatische Hochkulturen vielleicht noch ein bisschen weniger als beim Blick quasi in die eigene Vergangenheit in Form afrikanischer Naturvölker. (Die schlimmsten Völkerkundler haben damals «Negerschädel» mit dem Kraniometer vermessen und anhand der Ergebnisse auf deren «zurückgebliebene Volkspsyche» geschlossen.)

Natürlich wäre es weit verfehlt, gegen das Museum die Rassismuskeule zu schwingen. Denn die Ausstellung ist im Ganzen absolut gelungen. Den Ausrutscher in antiquiert-völkerkundliche Niederungen mag man dem HVMSG nachsehen – immerhin wird Völkerkunde nach wie vor im Namen geführt. Die ethnologisch-kulturanthropologische Perspektive zieht im Rest der Ausstellung aber einfach besser: beispielsweise die Videoinstallation mit Begrüssungsritualen, die Menschen aus verschiedensten Regionen Asiens zeigt, die sich in St.Gallen niedergelassen haben und sicherlich dem einen oder anderen Museumsgast schon einmal im Alltag begegnet sind. Das schafft Nähe.

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