Fliegende Stühle trotz Alkoholverbot

Um die grösste Einschränkung gleich zu Beginn zu nennen: Während dem Militärdienst ist es abgesehen vom Ausgang nicht erlaubt, Alkohol zu trinken – schon gar nicht in rauen Mengen, wie es bei manchen während der EM durchaus vorkommen kann.
Auch die ansonsten pünktlich zum Eröffnungsspiel auftretende Vorfreude blieb dieses Jahr weitestgehend aus. Schliesslich gestaltet sich das bei einem komplett durchgeplanten Tagesablauf und einer chronisch unterbeschäftigten Leber ziemlich schwierig.
Euphorie im Esssaal
Dennoch kam in unserer Kompanie nach den ersten Spielen trotz der langen Tage und kurzen Nächte – einem schleichenden Aufbauprozess infolge einer Verletzung vergleichbar – ein wenig Euphorie auf. Die Gespräche an den Esstischen begannen sich immer mehr zu ähneln: «Hey Jungs, wiä wiit denkeder, dass XY chunnt?» oder «Läck, isch da ä langwiligs Spil gsi gescht».
Da dank dem neuen Modus fast ganz Europa an die EM fahren konnte und in unserer Kompanie Rekruten aus ähnlich vielen Nationen den «Dienst am Vaterland» erfüllen, entwickeln sich logischerweise rege Diskussionen über die anstehendenden und gespielten Partien. Verfolgt werden die Spiele meist im Esssaal vor dem Beamer oder gemeinsam im Kiosk, der glücklicherweise mit einem Fernseher ausgerüstet ist.
«Golden Ticket» Wachdienst
Die mehr als einwöchige Einteilung für den Wachtdienst zu Beginn der EM war zunächst ein kleiner Schock – im Nachhinein stellte sich diese Einteilung, wie wir es im Militär so schön nennen, jedoch als «Golden Ticket» heraus. Der ansonsten aufgrund des stundenlangen Herumsitzens ungeliebte Wachdienst erwies sich dank den zahlreichen Pausen zwischen den einzelnen Schichten als Glücksfall.
Zusammen mit den anderen dienstfreien Kameraden – bewaffnet mit Eistee als Bier-Ersatz samt den obligaten Bauchschmerzen nach dessen übermässigem Genuss – verfolgte man die Partien dank Laptop und Beamer jeweils gemeinsam. Es kam öfters vor, dass auch mal ein Offizier vorbeikam und sich stillschweigend dazusetzte, bis ihm ein Geschehnis auf dem Platz sauer aufstiess und er sich genauso über den Schiedsrichter aufregte, wie die anderen anwesenden Soldaten.
Besonders bei den Spielen der Schweizer Nationalmannschaft kochte die Stimmung teilweise über, sodass es vereinzelt vorkam, dass ein Stuhl durch die Lüfte flog oder ein Becher mit voller Wucht auf den Boden geschleudert wurde. Man kann spüren, dass König Fussball im ansonsten disziplinbetonten Militär-Alltag die Emotionen zum Vorschein bringt und man gradunabhängig hitzige Diskussionen führt, die man als umsichtiger Soldat eigentlich besser bleiben liesse.
Paranoide Blicke
Als einziger Wehmutstropfen des ansonsten fussballfreundlichen 24-Stunden-Betriebs auf der Wache lässt sich anführen, dass man teilweise auch während den Spielen tatsächlich Wache schiebt und man als geneigter Fussballfan höllisch aufpassen muss, sich nicht beim heimlichen Schauen der Partie auf dem Handy erwischen zu lassen.
Die Blicke wechseln dabei jeweils schon fast paranoid von der Türklinke am Eingang auf den Handybildschirm und zurück. Dennoch wurde es mit der Zeit zu einem Ritual, dass man sich kurz vor 15 Uhr, 18 Uhr und 21 Uhr für das anstehende Spiel einrichtete und seine Prognose den Kameraden mitteilte.
«Leider» geht auch die Zeit auf der Wache irgendwann zu Ende und man muss wieder den ganzen Tag zurück aufs Feld, um an irgendwelchen Übungen teilzunehmen, deren Sinn wohl niemand je ganz verstehen wird. Auch das Verfolgen der einzelnen Partien gestaltet sich auf dem Feld logischerweise schwieriger. Dabei könnte man stets hochgepriesene militärische Kameradschaft doch geradesogut bei Fussball und Bier (oder in unserem Fall: Eistee) pflegen…
Das Senf-Kollektiv besteht aus 15 fussballverrückten Frauen und Männern. Es gibt die St.Galler Fussballzeitschrift Senf («S’isch eigentli nume Fuessball») heraus und betreibt daneben auch einen Blog. Senf kommentiert auf saiten.ch das Geschehen auf und neben dem Fussballplatz.