Flair für Wutbürger: die neue «Ostschweiz»
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Lange wurde sie angekündigt, seit dem 26. April ist sie online: «Die Ostschweiz», ein neues Wochen-Onlinemedium für die Kantone St.Gallen, Thurgau und die beiden Appenzell, gegründet von den unternehmernahen «Leader»-Machern Stefan Millius und Marcel Baumgartner.
Angekündigt wurde der jüngste Hügel der Ostschweizer Medienlandschaft auf Facebook folgendermassen: «Vor 20 Jahren hat die Tageszeitung ‹Die Ostschweiz› dichtgemacht. Im Gedenken an alle, die damals vergeblich gekämpft haben gegen die Übermacht der Grösseren: Wir sind zurück. Für Euch. Und dieses Mal bleiben wir. Für Euch. Ab morgen früh.»
«Die Ostschweiz» war, wie sich manche noch erinnern, lange Zeit die katholische Konkurrenz zum freisinnigen «Tagblatt», bis sie im Dezember 1997 von ebendiesem übernommen und liquidiert wurde.
Wirtschaft und Kirche
Von den damaligen Redaktoren und Autorinnen ist in der neuen gleichnamigen Wochenzeitung niemand mehr vertreten – ausser Stefan Millius, einst in der Beilagenredaktion der «Ostschweiz» tätig, und Giuseppe Gracia, früher PR-Redaktor bei der «Ostschweiz», heute der schillerndste aller Bistumssprecher und Kolumnist bei Baumgartner-Millius. Die erste «Ostschweiz»-Kolumne des St.Galler Dompfarrers Beat Grögli ist nur wenige Klicks von jener Gracias entfernt – die (katholische) Kirche ist also auch 2018 wieder gut vertreten in der «Ostschweiz».
Am meisten Platz bekommen aber Politik und Unternehmertum. «Die Ostschweiz» lebt von Gastautorinnen und Kolumnisten, darunter Rino Büchel (SVP), Gloria Schöbi (FDP), Barbara Keller-Inhelder (SVP), Christian Neff (SVP), Bruno Dudli (SVP), Nina Schläfli (SP), Ruedi Blumer (SP), Remo Daguati (Hauseigentümerverband), Beat Ulrich (St.Gallen Symposium) oder Emil Koller (Werbung & Kommunikation).
Entsprechend lasen sich die ersten Beiträge: eine Vorschau auf die Innerrhoder Landsgemeinde, eine Lobeshymne auf das St.Gallen Symposium von Beat Ulrich, das Null-Stern-Hotel soll das Toggenburg retten, der Bundesrat nicht ständig einknicken, die Ostschweiz unternehmerfreundlicher werden und der Thurgau seine Interessen «in Bern» gezielter vertreten.
Ausführlich und unwidersprochen können sich die Anti-KESB-Propagandisten Bruno Hug und Barbara Keller-Inhelder ausbreiten, und das Flair für Leute, die nach eigener Einschätzung in ihrer Meinungsäusserungsfreiheit bedroht sind (Hug spricht im Zusammenhang seiner Verurteilung von «Zensur»), beweist das neue Portal auch damit, dass Millius den im Thurgau wegen antisemitischen Äusserungen geschassten Maurus Candrian zum Videointerview lädt. Und Baumgartner eine unterwürfige Lobrede auf den Rorschacher Stadtpräsidenten Thomas Müller hält.
Auch beim Lesen der gestern Abend erschienenen, zweiten Ausgabe wird man den Eindruck nicht los, dass «die Ostschweiz» ein Sammelbecken bzw. eine Plattform ist für Berufsoppositionelle, vermeintlich Ausgestossene, Leserbriefschreibende und Leute, die es aus politischen oder anderen Gründen dringend nötig haben.
Um Ex-SVP Sarah Bösch etwa ist es schon länger ruhig geworden, in ihrem ersten Beitrag schreibt die Geschäftsführerin und Mitinhaberin der Hotelkrippe St.Gallen, was für sie die ideale Stadt wäre (eine, die auch die Bevölkerung in den obersten Stock des Rathauses lässt, nicht nur den Stadtrat). Und der Noch-Arboner Stadtpräsident «möchte seiner Familie und seinen Freunden nicht mehr länger die Widrigkeiten und Anfeindungen, die dieses Amt in der Öffentlichkeit in Arbon mit sich bringt, zumuten». Der Arme.
Kopf der Woche ist für den in Innerrhoden lebenden Millius übrigens nicht die junge aufmüpfige Regierungskritikerin Adriana Hörler, sondern der von ihr angegriffene regierende Landammann Daniel Fässler, der an der Landsgemeinde demonstriert hat, was die Standesherren dort von demokratischer Meinungsbildung halten. Hörler kommt dafür in einem Interview ausführlich zu Wort.
Migros oder CVP?
Was die Gestaltung betrifft: Die Farbe ist ein Orangerot irgendwo zwischen Migros, Coop und CVP. Die Grafik ist erzkonservativ bis langweilig, sicherlich mit Absicht: Man will Inserenten gewinnen und nicht durch eine gewagte Gestaltung abschrecken. Denn das Portal finanziert sich durch Inserate, für Leserinnen und Leser ist «die Ostschweiz» gratis.
Die Preise sind moderat. Für 990 Franken in der Woche oder 2970 Franken für einen Monat kann man eine Publireportage kaufen – in der ersten Ausgabe propagierte das Arboner Presswerk sein 1. Mai-Konzert mit The Nits und die Brauerei Locher ihr «Quöllfrisch», während Schüga das Wetterpalaver von Jörg Kachelmann sponsert, (dessen erste Liveprognose im übrigen eher vom Winde verweht oder bierselig als faktenkundig daherkam).
Man muss allerdings zweimal hinschauen, um PR und nicht bezahlte Beiträge zu unterscheiden. Letzteres gilt für alle Gastautoren und (seltener) Autorinnen: Sie schreiben gratis. Und verpacken verständlicherweise ungeniert ihre eigenen Anliegen in ihre Beiträge, zum Beispiel Remo Dudli, der lamentiert, man sei von einer «pfefferscharfen Umsetzung» der sogenannten Ausschaffungs-Initiative «meilenweit entfernt».
Firmenpartner kann man übrigens auch werden, in Gold, Silber oder als «Presenting Partner». Das kostet im Jahr fünfstellige Beiträge. Auf die Länge wollen Stefan Millius und Marcel Baumgartner ihre Plattform zudem auch mit gedruckten PR-Publikationen finanzieren.
Dieses Geschäftsmodell könnte funktionieren in einem redaktionellen Umfeld, das wirtschaftsfreundlich, parteienkritisch und wutbürgeraffin ist und Leuten eine Plattform bietet, die in eigener Mission unterwegs sind und sich für die Alternative zum angeblichen «Mainstream» (so Bistumssprecher Giuseppe Gracia in seiner ersten Kolumne) halten.
Stärkung der Rechtsmedien?
Nach zwei Ausgaben kann man sagen: «Die Ostschweiz» ist unaufgeregt gestartet (ausser einer Millius-Giftelei gegen das «Tagblatt» und dessen Kommentare zur Innerrhoder Landsgemeinde – was zugleich der einzige aktuell während der Woche zusätzlich aufgeschaltete Beitrag war). Ob sie in Sachen Inserate das «Tagblatt» und seine Lokalausgaben oder die «St.Galler Nachrichten» und andere Gratisblätter konkurrenziert, wird sich weisen.
Bedrohlich könnte das neue Rechtsmedium werden, wenn sich rund um die Blocher-Gratisblätter ein Meinungsimperium aufbaut, das Gratispropaganda statt journalistischer Information in die Haushalte bringt – und von der «Ostschweiz» online sekundiert wird. Das wäre fatal für die Bezahlmedien, aber auch für den öffentlichen Diskurs.