Festspiel-Revolution in Hundwil
«500 plus x Geschichten» erzählt das Festspiel «Der dreizehnte Ort» zum Appenzeller 500-Jahr-Jubiläum in Hundwil. Es macht Geschichte menschlich. Ein Premierenbericht.
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Im Turnerdress rennen sie auf die Bühne, schwenken die Kantonsfahne, baden im Waschzuber und lassen sich von den Appenzellern mit Molke bestechen. So geht es auf dem Landsgemeindeplatz in Hundwil zu und her, als die zwölf alten Orte über das Beitrittsgesuch der Appenzeller streiten. Die Tagsatzung 1513 nicht als hohe Politik, sondern als Turnfest und urdemokratischer Basar: Das ist typisch für dieses Stück, das ein Fest und ein Spiel ist, aber ohne jedes Geschichtspathos und frei von Selbstbeweihräucherung. Für das historisch belastete Genre des helvetischen Festspiels ist das eine kleine Revolution.
Wie schläft man katholisch?
Autor Paul Steinmann hat die 500 Jahre in 19 kurze Szenen portioniert, mit Witz und Selbstironie. So zieht die Landteilung in Inner- und Ausserrhoden eine Grenze mitten durchs Ehebett des Geometers – der soll künftig vom Kopf bis zum Bauch reformiert, von an an abwärts katholisch schlafen. Die rettende Lösung ist dann Frauensache – immer wieder in diesem Stück, das den Männern gern die Kappe putzt.
Religionskämpfe, Auswanderung, Textilblüte und -krise, Volksmusik, französische Revolution (hier im Bild – und sogar Napoleon kommt nach Hundwil zur Kur), der Streit um die Eisenbahnanschlüsse und eine Zukunft zwischen Fortschritt und Bewahrung: All das erzählt das Stück nicht von oben herab, wie es früher bei der Landsgemeinde hier in Hundwil zu und her ging, sondern auf Augenhöhe.
Geschichte, von Menschen gemacht
Hauptkulisse ist das ganze Dorf, mit seinen putzigen Häusern, deren Fenster und Türen auf- und zugehen, mit seinem schrägen Prachtsplatz, mit der Strasse, die für einmal nicht den Autos gehört. Hauptperson ist das Volk – gegen zweihundert Frauen, Männer und Kinder, alles Laien, jede und jeder mit einer individuellen Rolle, alle während Monaten mit Haut und Haar in diesem Projekt drin: Sie füllen den Platz, sie füllen die Geschichte mit ihrem Eigenleben, mit ihnen bauen Regisseurin Liliana Heimberg und Choreographin Gisa Frank ihre packenden Bilder.
Das sinnbildlichste: Das Volk ist immer am Rennen. Hin ins Land, weg aus dem Land, aus Zwang und aus Lust, gerufen, vertrieben, kommandiert, umworben und ausgenutzt, die Kinder stets auch mit dabei. Zwischen «uusteile und iischtecke», Angst haben und riskieren, vorwärts drängen und bewahren schwankt das bewegte Geschichtsbild dieses Stücks: anderthalb menschenfreundliche und auch musikalisch (dank dem Ensemble um Noldi Alder) hochstehende Stunden.
Nicht zu vergessen: die Hunde von Hundwil. Die kleinsten Kinder spielen sie, im blauen Fell und mit Lampiohren, sie kommentieren den Lauf der Zeit, das Kommen und Gehen auf ihre Weise, schnuppernd: Dä stinkt, dä schmeckt guet.
Das Festspiel «Der dreizehnte Ort» schmeckt sehr gut. Hingehen lohnt sich, es wird zwanzig Mal gespielt bis zum 24. August.
Infos: www.arai500.ch
Mehr zum Thema Kommen und Gehen und Pendeln im Appenzellerland: im Juli/August-Heft von Saiten mit dem Titel «Ein Appenzeller Lebensgefühl».