Familiäre Tiefenbohrung

Im Roman «Blanko» verknüpft Eva Roth Geothermie-Bohrungen mit Nachforschungen einer jungen Frau zu ihrer Familie. Die aus dem Appenzellerland stammende Autorin legt einen einzigartigen Erstling mit Regionalbezug vor.
Von  Wolfgang Steiger

Silvia, die alleinerziehende Mutter, arbeitet als Wurstverkäuferin. Ihre Tochter Ayleen, die Ich-Erzählerin des Romans, besucht die Mittelschule und wird bald volljährig. Sie hat eine dunkle Hautfarbe und schwarze, krause Haare. Ayleen möchte endlich wissen, wer ihr Vater ist und was es mit Silvias Herkunftsfamilie im Dorf in den Voralpen auf sich hat. Darüber schweigt Silvia beharrlich und weicht auf alle Fragen aus.

Ayleen arbeitet in den Schulferien an einem Tiefenbohrungsprojekt mit. Das heisse Thermalwasser soll die zukünftige Energiequelle der Stadt werden. Während sich der Bohrkopf durch die Jahrmillionen der Molasseschichten gräbt, findet Ayleen immer mehr über die Geschichte ihrer schweigenden Mutter heraus. Aber auf konkrete Spuren ihres vermutlich aus Afrika stammenden Vaters stösst sie nicht, und auch die Tiefenbohrungen fördern das ersehnte heisse Wasser schliesslich nicht zu Tage. Am Ende bleibt eine Leerstelle, die für Ayleens Zukunft Raum gibt.

Das Erzählen an sich

Eva Roths Erstlingsroman ist mehr als der Bericht über eine problemgeladene Mutter-Tochter-Beziehung in einer vaterlosen Familie. Er behandelt zusätzlich hochaktuelle Themen wie den Aufbruch der Schweiz zu einem weltoffenen Land, die schlimmen Folgen von Fremdenhass, Afrika als Fantasieland, Flüchtlingsschicksale – und als literarisches Novum verarbeitet das Buch das Fiasko um das St.Galler Geothermieprojekt.

Eva Roth, 1974 in Herisau geboren und in Schwellbrunn aufgewachsen, unterrichtete auf der Primarstufe, leitete einen Hort und ist heute Lektorin in einem Bilderbuchverlag. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich. Blanko ist ihr erster Roman, daneben schreibt sie auch szenische Texte. Das Bilderbuch Unter Bodos Bett erschien 2015 im Atlantis Verlag.

Die Autorin kalkuliert die Erzählstränge klug und hütet sich vor billigen Effekten. Obwohl ein Teil der Schauplätze offensichtlich vom Appenzellerland inspiriert sind, vermeidet Eva Roth die von allerlei Marketingmassnahmen abgedroschenen Appenzeller Klischees: Es ist nur die Rede von der Voralpenregion und der Säntis heisst im Roman Auenstock.

Zur Strategie der Geschichte gehört, dass Blanko keine lineare Erzählstruktur aufweist. An einer Schlüsselstelle heisst es: «Ist es möglich, eine Geschichte und nicht nur einzelne Geschichten zu haben?» Der Roman ist demnach auch eine Untersuchung über das Erzählen an sich. Die Szenen hüpfen in Raum und Zeit hin und her. Das fordert beim Lesen, belohnt jedoch mit Authentizität und Lebendigkeit.

Immer wieder Onkel Herbert

Überzeugend in Blanko sind die dicht gestalteten Szenen mit differenziert gezeichneten Figuren. Da ist Evelyn, Silvias beste Freundin, nach der Ayleen ihren Namen hat; der jähzornige Vater, Hans Krenzer, der Bauer, der nach der grossen Zäsur nur noch der Traktorfahrer heisst; oder Doris, die Freundin des Naturheilarztes, die im Dorf nie so richtig akzeptiert wurde – und der 18-jährige Elio, der im selben Haus wie Ayleen wohnt. In einem Kellerverschlag erproben die beiden das Erwachsenwerden.

Eva Roth: Blanko, Edition 8, Zürich 2015, Fr. 23.90

Lesung: 9. Februar, 19.30 Uhr, Raum für Literatur in der Hauptpost St.Gallen

Der Geologe Rolf Bodmer, Elios Vater, erzählt am Anfang des Romans seiner Bohrgehilfin Ayleen die Geschichte von Onkel Herbert, dem Gemeinderat. Der entdeckte eines Tages hinter seinem Haus eine Wasserpfütze, in der Ölspuren schillerten, und glaubte, dort befände sich eine Ölquelle. Onkel Herbert erzählte im Gemeinderat begeistert davon, womit er sich zum Gespött machte. Schuld an den Schlieren war nur der Ölverlust des alten Traktors des Nachbarn. Als am Ende des Romans der Bohrer in 2400 Metern Tiefe auf das kristalline Grundgebirge stösst, ohne Thermalwasser gefunden zu haben, ist es für den Geologen, wie wenn sich Onkel Herberts Geschichte wiederholen würde.

Es sind diese kleinen und grösseren, gekonnt geschriebenen und arrangierten Geschichten, die den Roman von Eva Roth zu einem kompakten Ganzen machen und mit einem Leseerlebnis erster Güte belohnen, wer sich darauf einlässt.

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Autorin Eva Roth (Bild: pd)