Exzentrische Steinbock-Gesänge
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Giacinto Scelsi, mit vollem Namen Conte Giacinto Maria Scelsi d´Ayala Valva, ist eine der rätselhaftesten Komponisten-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. 1905 in eine alte italienische Adelsfamilie geboren, in den 1920er Jahren in Paris mit den Surrealisten befreundet, erst in den Sechzigerjahren von der Öffentlichkeit wahrgenommen – das sind die kargen äusseren Fakten. Er gab zeitlebens nichts Persönliches preis, liess kaum eine Fotografie zu (oben eine der seltenen Aufnahmen aus den Dreissigerjahren), sah sich als Medium und weniger als schöpferischer Künstler. Er war ein begnadeter Improvisator auf dem Klavier oder der Ondioline, einem frühen Synthesizer, aber er hasste das Tonsetzen, nahm deshalb seine Improvisationen auf und liess sie von Assistenten niederschreiben.
In einem Radiobeitrag heisst es über Scelsi, dass er «nachts stundenlang an seltsamen, experimentellen Instrumenten sass und improvisierte. Ein hochgebildeter Exzentriker, der prophezeite, er werde sterben, wenn das Datum aus lauter Achten bestehe. Das hat er im Rahmen des Möglichen geschafft: am 8. 8. 1988 starb er im Alter von 83 Jahren.»
Sein späteres Werk entstand nach der schweren Schaffenskrise der Fünfzigerjahre, einem psychischen Zusammenbruch, den er nach seinen eigenen Aussagen dadurch überwand, dass er stundenlang auf dem Klavier einen einzigen Ton anschlug. Mystische, meditative, fernöstliche Einflüsse sind stark in seinem Werk. Sein Sinnbild war ein Kreis mit unterlegter Linie. Zur späten Blüte seines Schaffens gehören auch die «Canti del Capricorno». Zwischen 1962 und 1972 schuf Scelsi den 20-teiligen Zyklus. Dazu inspiriert und begleitet hatte ihn die japanische Sängerin Michiko Hirayama.
Vielseitige Interpretin
Die Sängerin Kornelia Bruggmann, Spezialistin für zeitgenössische Musik, hat das spirituelle und zugleich hoch energetische Vokalwerk in einer eigenen Fassung über Jahre erarbeitet. Kornelia Bruggmann gilt als eine der vielseitigsten Sängerinnen; sie beherrscht klassische Oper, Jodel, Naturlaute und Stimmakrobatik gleichermassen – einen Eindruck davon gibt der nachstehende Video «Improvisationen im Gebirg».
In die zur Zeit gezeigte Ausstellung «Überlagerte Schwingungen» passt die Aufführung der «Gesänge des Steinbocks» nicht nur, weil beide, der Künstler Jürg Altherr und der Museumsleiter Ueli Vogt, Giacinto Scelsis Werk schätzen. Durch Bruggmanns Stimme und verschiedene, allein von ihr bediente Instrumente soll darüber hinaus eine Atmosphäre voller Intensität entstehen, jenseits der westlich-traditionellen Vorstellung von Musik. Und damit das Zeughaus als Resonanz-Körper ausgelotet werden.
Sonntag, 29. März, 14 Uhr, Zeughaus Teufen
Ausstellung «Überlagerte Schwingungen»: bis 14. April. www.zeughausteufen.ch