«Es braucht kanalunabhängige Medienförderung»
Saiten: Studien sagen, je weniger die Medien über Lokalpolitik berichten, desto tiefer ist die Wahlbeteiligung in den Gemeinden. Gilt das auch für die Kultur? Sinkt das Interesse an der Kultur, je weniger darüber berichtet wird?
Stephanie Grubenmann: Davon bin ich überzeugt. Die Abhängigkeit ist ja gegenseitig: Je weniger über Kultur berichtet wird, desto schwerer fällt es dem Publikum, sich über Events oder Entwicklungen zu informieren. Das schlägt sich in den Publikumszahlen und in der Rezeption von kulturellen Inhalten nieder. Und letztlich im kulturellen Angebot, das ohne Publikum nicht bestehen kann. So entsteht eine Negativspirale.

Stephanie Grubenmann hat an der Universität St. Gallen über Innovation im Journalismus promoviert und mehrere Jahre in diesem Bereich geforscht.
Und trotzdem finanziert man mit öffentlichen Geldern die Kultur, aber nicht den Journalismus, der ihr Öffentlichkeit verschaffen würde.
Ja, das ist absurd. Zumal man sich ja eigentlich der Zusammenhänge bewusst ist seitens der Politik. Diesen Widerspruch müssen wir dringend überwinden.
Du hast dich intensiv mit der Situation des Lokaljournalismus in der Schweiz auseinandergesetzt. 2022 ist eine Analyse von dir und Konrad Weber erschienen. Ihr sprecht darin von einem «gefährlichen Mix aus fehlender Motivation und fehlender Fähigkeit», der viele Verlage in ländlichen Gebieten daran hindere, ihr digitales Angebot auszuweiten. Gehen wir davon aus, dass die Motivation beim Machen kommt: Woher sollen sich die Verlage die Skills und das Knowhow für die Digitalisierung holen? Die Medienbranche ist nicht gerade bekannt dafür, ihr Wissen bereitwillig zu teilen.
Das Wissen zu teilen, ist die eine Sache. Diesbezüglich ist in den letzten Jahren einiges passiert. Zum Beispiel haben We.Publish und der Verband Medien mit Zukunft (VmZ) ein gemeinsames Austauschformat lanciert, das in der Branche auf reges Interesse stösst und sich langsam etabliert. Bevor man sich aber untereinander austauschen kann, muss man das Wissen in den Verlagen aufbauen. Hier sehe ich das weitaus grössere Problem. In kleineren und mittleren Verlagen erlebe ich oft, dass vor lauter Tagesgeschäft die Zeit und die mentalen Kapazitäten für Digitalisierungsprozesse fehlen. Mittlerweile bin ich zum Schluss gekommen, dass Verlage für einen nachhaltigen Digitalisierungsprozess möglichst kontinuierliche Unterstützung brauchen, zum Beispiel ein monatliches Check-In mit einem Coach.
Ein weiteres lukratives Geschäftsfeld für externe Beratungsagenturen?
Es müssten ja nicht unbedingt Agenturen sein. Es könnte auch ein Netzwerk von Coaches sein, das dieses Thema anstösst. Und wenn man die Digitalisierungsprozesse gemeinsam mit ein paar Verlagen durchgespielt hat, könnten diese ihr Wissen weitergeben.
«Wir Medien» träumen immer noch davon, selbsttragend und idealerweise sogar rentabel zu sein, wie es vor der Medienkrise der Fall war. Ist das naiv? Kann man Lokaljournalismus heute überhaupt noch am Markt finanzieren?
Unterdessen ist die Erkenntnis weitgehend akzeptiert, dass es kaum noch möglich ist, Lokaljournalismus nachhaltig am Markt zu finanzieren – es ist zumindest eine sehr schwierige Aufgabe. Es gibt nicht mehr das Geschäftsmodell, sondern jeder Verlag muss sein individuelles Geschäftsmodell finden. Das braucht Zeit. Die meisten Verlage befinden sich bei uns noch nicht an diesem Punkt.
Wir kommen also nicht um eine staatliche Medienförderung herum.
Ja, mindestens für diese Transformationsphase bräuchten wir eine solide, kanalunabhängige Medienförderung – die wir nicht haben. Und das möglichst schnell. Der schleichende Strukturabbau der letzten Jahre setzt sich fort und ist extrem gefährlich. Studien zeigen, dass Qualität und Medienvielfalt abnehmen. Wenn wir jetzt nichts tun, werden wir in Zukunft noch viel mehr Ressourcen aufbringen müssen, um die Strukturen wieder aufzubauen. Kommt hinzu, dass wir in einer Zeit der multiplen Krisen leben. Ein geschwächtes Mediensystem können wir uns da gar nicht leisten.
Welche Förder- und Finanzierungsmassnahmen bräuchte denn eine zeitgemässe Medienförderung auf nationaler Ebene?
Nebst einer kanalunabhängigen Förderung braucht es Massnahmen mit Skalierungspotenzial, sodass möglichst viele Verlage davon profitieren können. Zum Beispiel Investitionen in die digitalen Infrastrukturen oder in die Aus- und Weiterbildung von Journalist:innen. Und nicht zuletzt wäre mehr Sensibilisierungsarbeit in der Bevölkerung nötig. Journalismus ist demokratierelevant. Die Zahlungsbereitschaft dafür muss wieder steigen.
Welche Rolle können die Kantone dabei spielen?
Eine essenzielle! Fakt ist: Es wird, wenn überhaupt, noch Jahre dauern, bis wir eine starke Medienförderung haben auf nationaler Ebene. Darum braucht es die Kantone, mindestens zur Überbrückung. In der Westschweiz ist man diesbezüglich bereits weiter. Da wurden einige Instrumente lanciert und ausprobiert. In der Deutschschweiz passiert eher das Gegenteil. Leider. Es müssen weder pfannenfertige Massnahmen sein, noch müssen diese unbefristet gelten. Ich würde mir schon wünschen, dass man einfach einmal zusammen an den Tisch sitzt und schaut, was nötig und möglich wäre. Und das dann ein paar Jahre lang probiert und evaluiert.
Wie stehst du zur Förderung bestimmter Ressorts? Macht es zum Beispiel Sinn, Kulturjournalismus stärker mit der Kulturförderung zu verknüpfen, wie es unter anderem der Verein ch-intercultur fordert?
National müssten wir auf eine Ressort-unabhängige Medienförderung hinarbeiten. Aber auf dem Weg dahin brauchen wir jetzt möglichst schnell verschiedene Lösungsansätze. Da könnte ich mir für den Kulturjournalismus, der besonders bedroht ist, schon spezifische Massnahmen vorstellen.
Zum Schluss: Wie sähe für dich ein attraktiver Kulturjournalismus aus? Was müsste er dir bieten?
Ich arbeite in der Entwicklung digitaler Produkte. Deren Kern ist die Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzer:innen. Diese Denkweise fehlt mir noch etwas bei den Verlagen. Ich weiss, das wird nicht überall gerne gehört, aber ich bin überzeugt, es gibt Lösungen, die der journalistischen Arbeitsethik gerecht werden. Ganz allgemein wünsche ich mir schlicht Angebote, die sich an meinen Wünschen und meinem Verhalten ausrichten und sich dabei kontinuierlich verbessern.
Stephanie Grubenmann hat an der 2019 erschienenen und von der St.Galler Regierung in Auftrag gegebenen Studie zur Evaluation der Möglichkeiten einer lokalen Medienförderung mitgearbeitet. 2022 hat sie mit Konrad Weber im Auftrag der Stiftung Mercator eine explorative Analyse zur Unterstützung des Schweizer Lokaljournalismus publiziert. Unterdessen ist Grubenmann als Content Strategin bei der Digitalagentur Liip tätig.
Ein neuer Kulturnewsletter für noch mehr Kulturberichterstattung in der Ostschweiz: saiten.ch/crowdfunding