«Es braucht Dämme, auch wenn es nur kleine Randsteine sind»

Sollen Schwule, Lesben und Bisexuelle künftig besser vor Hetze und Diskriminierung geschützt werden? In zwei Wochen entscheidet das Schweizer Stimmvolk über eine Ausweitung der Anti-Rassismus-Strafnorm, bei der es um diese Frage geht. Am Donnerstagabend war sie Thema eines überparteilichen Podiums im St.Galler Kaffeehaus.
Unter der Leitung von Hanspeter Spörri, ehemaliger Chefredaktor «Der Bund», diskutierten zum einen Laura Bucher, SP-Kantonsrätin und Regierungsratskandidatin, und Philipp Schönbächler, GLP-Stadtparlamentarier und Kantonsratskandidat, und zum anderen SVP-Stadtparlamentarierin Karin Winter-Dubs und Lisa Leisi, EDU-Kantonalpräsidentin und Kantonsratskandidatin.
Die Meinungen gingen stark auseinander. Sie reichten von «der Angst, bei einem Ja keine Kritik mehr äussern zu können» (Leisi) und dem «Wunsch nach mehr Anstand in der Gesellschaft, statt mehr Gesetzen» (Winter-Dubs) bis hin zu «mehr Freiheit für homo- und bisexuelle Paare, damit sie sich auch öffentlich zeigen können, ohne Angst zu haben» (Schönbächler) und «der Wichtigkeit ein Zeichen zu setzen, für alle betroffenen Menschen, damit alle gleich behandelt werden» (Bucher).
Bei diesem Thema gehe es weniger um Zahlen und Fakten als vielmehr um Werte und Haltungen, sagte Organisator Gallus Hufenus, SP-Stadtparlamentarier und Inhaber des Kaffeehauses im Linsebühl. «Es stellt sich die Frage, wofür wir stehen.»
Kopfschütteln und Zwischenrufe
Es war vor allem die EDU-Politikerin, die mit ihrer extrem konservativen Haltung und den teils zwiespältigen Vergleichen mit Gesetzen in anderen Ländern beim Publikum – es waren etwa 50 Personen ins Kaffeehaus gekommen – aneckte. Auf Aussagen wie «für mich ist Sexualität ausserhalb der Ehe Unzucht, wobei es keine Rolle spielt, ob hetero- oder homosexuell» oder «Kinder brauchen eine Mutter und einen Vater, alles andere ist nicht natürlich» erntete sie verständnisloses Kopfschütteln und lautstarke Zwischenrufe.
Auch Laura Bucher konnte kaum glauben, was sie da hörte, und erwiderte: «Es ist unser hohes Gut, dass jeder seine Sexualität so ausleben kann, wie er will, und diese Freiheit muss in einem demokratischen Land hochgehalten werden.» Leisi befürchtet, dass sie, wenn das Gesetz kommt, nicht mehr «ehrlich» ihre Meinung sagen könne. «Die Freiheit der Andersdenkenden würde beschnitten.»
Er könne diese Ängste irgendwie verstehen, sagte Schönbächler. «Aber es ist eben immer noch so, dass der Ton die Musik macht.» Kritik könne auch künftig geäussert werden, «auch Schwulenwitze» – aber man solle doch zuerst nachdenken und dann reden. «Die Gesellschaft muss nicht die Dummheit der Nicht-Anständigen schützen.»
Was denn überhaupt los sei in unserer Gesellschaft, wollte der Moderator von den Politikerinnen und Politiker wissen. Er sei oft in den sozialen Medien unterwegs und sehe viele «schreckliche Beleidigungen». «Hat die Gesellschaft den Anstand verlernt?», fragte Spörri.
«Unsere Gesellschaft ist intoleranter geworden», antwortete Winter-Dubs. Sie sei auf einem Ego-Trip, fügte Schönbächler an und Bucher sagte: «Es fehlt zunehmend an Zivilcourage. Die Menschen sollten wieder mehr aufstehen, wenn sich jemand unanständig verhält.» Ausserdem sei es heute mit den Sozialen Medien einfacher geworden, zu diskriminieren und beleidigen, so Winter-Dubs. «Man ist anonym, hat niemand reales Gegenüber und kann seine Beleidigungen versteckt äussern», sagte Leisi.
Das war einer der wenigen Momente an diesem Abend, an dem sich alle vier einig waren.
Keine Wunder erwarten
Gegen die Hetze im Internet und die Gewalt in der Öffentlichkeit brauche es Barrieren, wurde aus dem Publikum gefordert. Winter-Dubs glaubt jedoch nicht, dass das neue Gesetz etwas bringt. «Bei Gewaltanwendungen gelten andere gesetzliche Artikel, da ist diese Ausweitung der Strafnorm nicht mehr so relevant für eine Verurteilung.» Braucht es das neue Gesetz denn überhaupt? «Es gibt immer wieder Fälle von Diskriminierung und Hass gegenüber sexuellen Minderheiten», sagte Bucher. «Wenn die präventiven Massnahmen nicht greifen, braucht es eine Ausweitung der Strafnorm.»
Die SVP-Vertreterin sah dies anders: «Homophobie wird aufgrund des Gesetzesartikel nicht abnehmen. Es braucht wieder mehr Toleranz in der Gesellschaft.» Auch Schönbächler weiss, dass ein Ja am 9. Februar «keine Wunder» bringen wird. «Homophobie verschwindet nicht an diesem Tag.»
Aber es wäre ein Zeichen für die Integration und Gleichberechtigung sexueller Minderheiten, fügte ein junger Mann aus dem Publikum an. Oder wie es ein anderer Zuhörer, der, wie er selber an diesem Abend erzählte, wegen seiner Homosexualität am Arbeitsplatz diskriminiert worden war, auf den Punkt brachte: «Es braucht Dämme, auch wenn es nur kleine Randsteine sind.»
Mehr zur Abstimmung am 9. Februar im Februarheft von Saiten.