, 30. Mai 2022
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«Es bahnt sich etwas an»

Mit Velvet-Two-Stripes-Bassistin Franca Mock und Palace-Rückkehrer Lorik Visoka treten gleich zwei Personen die Nachfolge von Fabian Mösch an. Gemeinsam mit dem Bisherigen Johannes Rickli bilden sie das neue Palace-Leitungs-Trio. Das Doppel-Interview zum Antritt.

Lorik Visoka und Franca Mock vervollständigen die Palace-Leitung. (Bilder: Jurek Edel)

Saiten: Kommt der Rock’n’Roll zurück ins Palace?

Franca Mock: Mit meiner Person auf jeden Fall (lacht). Nein, ich kann die Frage so nicht beantworten. Ich will mich zuerst ins Palace einleben und nicht mit einer fixen Idee starten. Ich will mich mit den Leuten, die schon hier arbeiten «hineinviben». Und nur weil ich in einer Rock’n’Roll-Band spiele, heisst das ja nicht, dass ich auch nur solche Musik höre. Ich werde sicherlich den einen oder anderen Vorschlag in dieser Richtung einbringen, aber ich entscheide das ja nicht alleine und will hier nicht einfach meine Ideen durchboxen.

Lorik Visoka: Vielleicht verstehe ich nicht ganz, was du mit Rock’n’Roll meinst. Aber ich sage, der Rock’n’Roll kommt ganz sicher nicht zurück. Aber das entscheiden wir natürlich gemeinsam. Wir werden uns sicher bemühen, unerhörte Sachen zu bringen. Auch wenns um Lärm geht, wird es schon noch ein paar Verwirrungen geben.

Auch wenn ihr nicht mit fixen Ideen einsteigen wollt: Habt ihr doch schon ein paar persönliche Wünsche oder Vorstellungen das musikalische Programm betreffend?

FM: Es gibt sicher persönliche Wünsche, aber für mich steht jetzt im Vordergrund, anzukommen und das ganze Haus und seine Funktionsweise zu verstehen. Und das Programm ist ja jeweils auch schon eine Weile im Voraus geplant.

LV: Franca und ich lernen uns gerade ganz frisch kennen. Wir machen uns jetzt erst einmal ein paar Gedanken über die Struktur. Während der konzertlosen Zeit in den letzten zwei Jahren habe ich angefangen, wieder mehr Platten zu kaufen. Da hört man dann nicht unbedingt viel neues Zeugs. So aus der Distanz fragt man sich dann schon, was da in der Musik früher passiert ist, anders als man das in den Gesprächen vor der Pandemie getan hat. Es wird jetzt sicherlich auch für uns einige Überraschungen geben, wer jetzt nach der Pandemie auf Tour gehen wird. Es bahnt sich etwas an, das wir gar noch nicht richtig kommen sehen. Ich freue mich, dass ich mich im Palace jetzt wieder vertieft mit dem Pop auseinandersetzen kann. Das wird sicherlich in einer ganz frischen Art passieren.

FM: Ich freue mich sehr, hier gemeinsam über Bands, Künstler:innen und Künstler zu reden und Sachen kennenzulernen und zu zeigen. Gerade auch, weil wir hier alle so unterschiedliche Musik hören. Ich freue mich auf die Horizonterweiterungen und die Überraschungen.

Der Grundanspruch des Palace, jene Musik zu bringen, die die anderen nicht bringen, bleibt?

FM: Auf jeden Fall.

LV: Das Palace hat sich diesen Luxus immer herausgenommen und ist auch darum ein Betrieb, der sich immer wieder den Kopf zerbricht: Was passiert gerade in der Welt? Was passiert mit der Musik? Was passiert mit den Festivals? Und so weiter. Die internen Besprechungen über Musik waren immer ein wichtiger Bestandteil des Palace. Es war immer auch der musikalische Radar, die musikalische Antenne in St.Gallen, weil es hier so etwas in dieser Intention sonst gar nicht gibt.

FM: Wenn es einen Ort für solche Musik gibt, dann ist es das Palace. Und das wird sicher so bleiben.

LV: Gerade habe ich von einem Freund erfahren, dass die neue Schauspielchefin des Theaters St.Gallen im Saiten-Interview das Palace erwähnt hat, weil der Raum ja auch für Podiumsdiskussionen genutzt wird. So eine Zusammenarbeit hats bisher nicht gegeben. Ich fänds super!

«Die Jungen kommen auch hierher, weil sie es sich leisten können»: Franca Mock über die Palace-Preispolitik.

Eine alte Diskussion: Müsste ein öffentlich mitfinanziertes Haus wie das Palace nicht auch offener werden für Fremdveranstaltungen? Oder überlässt man diesen Job lieber der Grabenhalle, und das Palace bleibt kuratiert?

LV: So eine Entscheidung müsste wohl mit dem ganzen Betrieb besprochen werden. Als ich vor ein paar Jahren hier gearbeitet habe, gab es offenbar verschiedene gute Gründe, warum man das Haus für Fremdveranstaltungen nicht öffnete. Ich erinnere mich jetzt aber nicht mehr an die Details.

Und wie ist das heute?

LV: Ich sehe sicher die eine oder andere Möglichkeit, zumindest als Gedankenspiel. Aber das muss natürlich strukturell und mit dem Betrieb zusammen diskutiert werden. Das sind fortlaufende Gespräche. Ich bin leider wenig in St.Gallen im Moment und weiss darum auch gar nicht genau, wie hoch das Bedürfnis von Veranstaltenden von ausserhalb des Palace tatsächlich ist.

FM: Den aktuellen Stand der internen Diskussion kenne ich noch nicht. Ich sehe es aber ähnlich wie Lorik: Ich bin grundsätzlich offen, aber das ganze Haus muss mitreden können. Und meine persönliche Meinung: Die Veranstaltungen hier müssen schon in das Konzept und zur Idee vom Palace passen.

LV: Der Anspruch des Palace war ja immer, dass man mit dem wenigen Geld, das zur Verfügung steht, richtig und breit kuratiert. Wenn Fremdveranstaltungen auch noch überall Platz haben sollen, wird es irgendwann eng. Vielleicht ist strukturell ein Tag im Monat möglich oder so, jetzt mal nur als Idee formuliert. Aber ein Mischmasch wollen wir eher nicht. Dem Argument mit der öffentlichen Finanzierung können wir entgegenhalten, dass wir teils auch Bands mit hohen Gagen holen können und dennoch günstige Tickets zur Verfügung stellen. Auch hierin besteht ein Wert der Subventionen.

Dürfte ein Konzert denn nicht auch einmal 30 oder 40 Franken kosten?

LV: Das haben wir damals ja auch ausprobiert. Aber das verhindert insbesondere, dass die jüngeren Generationen sich einmal auf ein musikalisches Experiment einlassen und sich ins Palace wagen.

FM: Für mich war das Palace auch in jüngeren Tagen immer ein Entdeckungsort. Im Ausgang kam ich immer hierher. Hier konnte ich mir Konzerte von Bands leisten, die ich vorher nicht kannte. Dadurch bin ich eine treue Palace-Gängerin geworden, weil ich darauf vertrauen konnte, dass ich die Bands in aller Regel ziemlich cool finde. So ist es damals vielen Leuten gegangen, die ich kannte. Die kamen hierher, weil sie es sich leisten konnten. Das Programm spricht ja auch jüngere Leute an.

«Wir werden sehen, wie sich die Booking-Kultur in den letzten fünf Jahren verändert hat»: Lorik Visoka zur Frage nach ökologischer Nachhaltigkeit und das Einfliegenlassen von Bands aus Übersee.

Schon vor Corona hatte das Palace teils Mühe, genügend Leute ans Konzert zu bringen. Bands, die in London, Paris oder Berlin Hallen füllen, haben sich hier manchmal nur zehn Nasen angeschaut – inklusive Personal. Bräuchte es da nicht auch ein wenig mehr Zugeständnisse ans Gefällige, vielleicht Mainstreamige?

LV: Solche Konzerte gibt es ja auch. Züri West hat die Halle zwei Mal hintereinander gefüllt, Stiller Has war mehrmals hier. Es gibt immer wieder Plattentaufen von Schweizer Bands. Es gibt Soul Gallen und so weiter. Das war vielleicht ganz am Anfang so, etwa 2006 bis 2008, wo das Palace mit einer gewissen Arroganz aufgetreten ist. Dieser Ansatz hat einigen Leuten sehr gut gefallen, anderen war dies sehr unsympathisch. Danach hat man dann schon gemerkt, dass es Platz für mehr braucht. Wir haben vorhin grad besprochen, dass wir schon gerne auch ein paar «leichte» Sachen machen würden.

Mit dir, Franca, ist jetzt auch eine Frau in der Palace-Leitung. Ändert das etwas in den Strukturen des Hauses? Oder ist dieser Umstand für euch im Moment gar nicht so diskutierenswert?

FM: Das kann ich nicht sagen. Ich freue mich einfach sehr, hier wirken zu können.

LV: Es haben ja auch schon Frauen hier gearbeitet, nach mir als Assistenz von Damian Hohl zum Beispiel hat Annick Bosshart mitgewirkt. Und Franca wird sicher nicht einfach nur Quote sein.

Wird es eine Auswirkung auf die Diversität des Programms haben?

FM: Ich denke schon. Aber das könnte es auch, wenn eine andere Person an meiner Stelle wäre. Das hat weniger mit dem Geschlecht als mit der Einstellung zu tun.

Wie siehts mit den Tarifen im Haus aus? So weit ich weiss, hat man beim Barpersonal ein bisschen nachgebessert. Und bei Technik und Licht etc.?

LV: Diese Frage kommt für uns definitiv zu früh.

FM: Ja, viel zu früh.

Nachhaltigkeit ist ein Thema, das viele Häuser umtreibt. Das Palace lässt ja immer wieder auch Bands einfliegen, die nicht grad auf Europatournee sind. Das ist musikalisch vielleicht grandios, aber ökologisch ein Graus. Macht ihr euch auch dazu Gedanken?

FM: Darüber macht man sich sehr wohl Gedanken. Soweit ich informiert bin, hat man das Thema intern schon diverse Male besprochen, Workshops besucht und so weiter.

LV: Was ich aus der Praxis von früher kenne, ist, dass wir immer geschaut haben, dass innerhalb Europas Zugfahrten möglich sind. Aber je nach Termindruck und Verhandlungsprozess mit den Agenturen heisst es dann halt schon mal, wir müssen diese oder jene Band jetzt sofort einfliegen. Es ist gut möglich, dass sich die Booking-Kultur diesbezüglich in den letzten fünf Jahren verändert hat. Das werden wir jetzt herausfinden.

Zurück zu euch und der Musik: Wie entdeckt ihr neue Musik? Was sind eure Kanäle?

FM: Ich entdecke neue Musik vor allem an Konzerten und an Festivals, weil ich die Musik gerne auch visuell erlebe. Ich mag das 3D-Erlebnis der Musik. Ich tausche auch gerne Platten aus mit Freunden oder wir machen einfach gemeinsame Abende, an denen wir Platten hören und so auch ins Gespräch über andere Bands kommen. Und dadurch, dass ich mit der Band selber recht viel unterwegs bin, lerne ich selber mega viele spannende Projekte und Musikerinnen und Musiker kennen, mit denen immer wieder ein interessanter Austausch stattfindet. Dieser direkte Kontakt ist natürlich viel ergiebiger als das, was einem der Algorithmus als Nächstes vorschlägt.

LV: Konzerte gabs in den letzten zwei Jahren ja leider nicht sehr viele. Gespräche mit Freunden sind mir sehr wichtig. Das kommt manchmal schubweise. Gerade letzten Dezember zum Beispiel haben ein paar Freunde und ich Spotify-Playlists erstellt und ausgetauscht und dann immer wieder gestaunt: Oh wow, du hörst das und so weiter. Ich höre auch viel Radio, in letzter Zeit oft Byte.fm und andere ausgewählte Stationen. Manchmal entdeckt man auch Dinge, wenn man beispielsweise auf Bandcamp etwas kauft und sich dann via Newsletter des Record-Labels einen Weg tiefer hinein bahnt. – Und Journalismus, hin und wieder.

Und was liegt bei euch gerade auf dem Plattenteller?

FM: Ich höre sehr Verschiedenes. Da gibt es die Classics, die ich seit Jahren immer wieder höre. The Hellacopters zum Beispiel, eine meiner absoluten Lieblingsbands. Phasenweise dann auch andere Sachen wie die niederländisch-iranische Sängerin Sevdaliza, die ich vor einigen Jahren einmal an der Bad Bonn Kilbi gesehen habe und seither immer wieder darauf zurückkomme.

LV: Woran ich im Moment sehr Freude habe, ist Ben LaMar Gay aus Chicago. Auf ein Konzert von ihm würde ich mich sehr freuen.

Franca Mock, 1993, ist vor allem bekannt als Bassistin der St.Galler Drei-Frau-Bluesrock-Combo Velvet Two Stripes. Seit einigen Jahren ist sie für das Booking des Rapid-Festivals verantwortlich, eines kleinen Musik- und Kulturfestivals in Bonaduz. Sie lebt in St.Gallen und arbeitet als Italienischlehrerin in Sargans, Chur und St.Gallen. Ausserdem arbeitet sie seit sechs Jahren im Kinok St.Gallen.

Lorik Visoka, 1988, ist kein Palace-Neuling, er hat schon von 2010 bis 2015 im Büro mitgewirkt und war davor an der Kasse und an der Bar tätig. Er brach ein Politologiestudium in Zürich ab und jobbte unter anderem im Cabaret Voltaire und im Schauspielhaus. Er wird jetzt wieder öfter nach St.Gallen pendeln.

Das komplette Palace-Leitungstrio: Franca Mock, Johannes Rickli, Lorik Visoka.

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