Entgegnung auf «Humanitätsfolklore»
Die Kritik an der Podiumsdiskussion zur Situation der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (UMA) im Kanton St.Gallen von Harry Rosenbaum darf nicht unentgegnet bleiben. Zur aktuellen Situation der UMA im Kanton liegen in der Tat nur spärlich Informationen vor.
Das Ziel aus Sicht der Veranstaltenden war es, Fachleuten, die im Feld arbeiten, aber auch anderen interessierten Personen ein differenzierteres Bild ermöglichen, mit zuständigen Personen in einen Dialog treten und Fragen stellen zu können. Das Podium als Format mag dieser sensiblen Thematik nicht gerecht werden. Ein Podium ist am Schluss immer auch ein Kompromiss. Wir sind uns gewisser Konstruktionsfehler bewusst. Einige der im Text getätigten Vorwürfe gehen uns aber zu weit.
Der Text bietet dort, wo protokollarisch aufgezeichnet wird, eine Übersicht über die am Podium gemachten Aussagen, wenn auch teils in einem unnötig scharfen Ton gegenüber dem Grossteil der Podiumsteilnehmenden. Der titelgebende Vorwurf der Humanitätsfolklore ist fehl am Platz. Er entbehrt in diesem Kontext jeglichen Respekts gegenüber den Veranstaltenden und den Teilnehmenden.
Die beiden Anlässe im Palace wurden von Aktivist*innen und Sozialarbeitenden organisiert, die sich seit vielen Jahren in diesem Feld bewegen und sich entweder für geflüchtete Jugendliche engagieren oder selber in den Betreuungsstrukturen gearbeitet haben. Als Veranstaltende haben wir uns dafür entschieden, Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen (Recht, Politik, Soziale Arbeit) einzuladen, die sich alle auf unterschiedliche Weise mit der Thematik befassen.
Die Einordnung und Analyse der Situation der UMA erfolgten, vor allem am ersten Abend, aus einer fachlichen Position der Sozialen Arbeit heraus. Hier ist die Kritik berechtigt, dass der wissenschaftliche Ansatz der Praxis nie gerecht werden kann. Darauf wurde hingewiesen. Es ist aber höchst irritierend, wenn Patrik Müller als einziger Person Fachkompetenz zugeschrieben wird, da alle Teilnehmenden Kompetenzen aus ihren Bereichen eingebracht haben.
Dass sich am Podium keine Betroffenen beteiligt haben, kann als Kritik angeführt werden. Die Beteiligung von Betroffenen wurde im Vorfeld auch mit diesen diskutiert. Angefragte UMA’s, die sich an anderer Stelle bereits öffentlich geäussert hatten, haben sich aufgrund der erhöhten öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit dieser Veranstaltung gegen eine Teilnahme auf dem Podium entschlossen. Diese Entscheidungsfreiheit wurde respektiert. Momentan wird ein Format angedacht, welches die Sicht der Betroffenen ins Zentrum stellt.
Aber wurden die Veranstaltenden vom Schreibenden nach den Gründen befragt? Wurde reflektiert, welche Prozesse zur Zusammenstellung des Podiums geführt haben? Den Veranstaltenden wird ein Recht auf politischen Ausdruck abgesprochen und paternalistische Motive vorgeworfen, weil es sich bei der Podiumszusammensetzung um «Einheimische» handelt. Ohne die obigen Nachfragen verpufft das Argument in diesem Zusammenhang.
Was übrig bleibt, ist der fade Nachgeschmack einer altbekannten, höchst fragwürdigen Position, das Bestehende nur aus eigener Betroffenheit heraus hinterfragen zu dürfen. Den Veranstaltenden wird fehlender Realitätsbezugs und eine Art Gutmenschenträumerei unterstellt und damit, bewusst oder unbewusst, versucht, die Veranstaltenden zu entmutigen und herabzuwürdigen.
Die Frage, wie den UMA geholfen ist, ist berechtigt. Aber wäre es dann nicht folgerichtig gewesen, die Veranstaltung als Stein des Anstosses zu sehen, journalistisch aktiv zu werden und die Position der Veranstaltenden und der Betroffenen (die am Podium zugegen waren) abzuholen, die Zuständigen, etc., zu konfrontieren?
Stattdessen ist die Irritation gross über diese Polemik, bei der, wie es scheint, mal wieder die hierarchischen Kategorien alt/jung zementiert werden. In der politischen Basisarbeit ist immer wieder zu beobachten, dass gewisse Personen vermeintlich aus einer kritischen Position heraus aufkommende Bewegungen bewerten und damit genau jene herrschende Ideologie reproduzieren, welche sie zu kritisieren denken und obendrein ihre eigene Rolle in der Gesellschaft unzulänglich reflektieren, indem sie sich darauf beschränken, Aktivismus auf ihre Organisationsform hin zu kritisieren, statt sich inhaltlich mit der Kritik zu beschäftigen. Das ist schade. Denn inhaltlich gäbe es einiges zu besprechen.