Eisiger Wind zum Untergang?

Sommerliches Manhattan  im November mit dem Empire State Building im Hintergrund.

Am Nach­mit­tag des 5. No­vem­ber schien in New York Ci­ty die Welt noch in Ord­nung: Die Hoff­nung auf ei­nen Sieg von Ka­ma­la Har­ris leb­te. Auf den Stras­sen Man­hat­tans sind mir drei jun­ge Män­ner um die 20 mit ro­ten «Make Ame­ri­ca Gre­at Again»-Caps un­ter den Tau­sen­den von Men­schen so­fort auf­ge­fal­len. Sie schie­nen in der links-li­be­ral do­mi­nier­ten Stadt wie ei­ne lä­cher­li­che und be­fremd­li­che Ku­rio­si­tät, drei jun­ge Ka­ri­ka­tu­ren Trumps, die ir­ri­tier­te Bli­cke pro­vo­zier­ten. Na­iv dach­te ich, die Jungs wür­den am Abend ih­re Lek­ti­on ler­nen und buch­stäb­lich eins auf die Müt­ze be­kom­men – doch es kam be­kannt­lich an­ders. Die MA­GA-Ar­mee ging sieg­reich her­vor.

Am Wahl­abend be­such­te ich ei­ne Vi­nyl-Elec­tion-Watch­par­ty in Brook­lyn, bei der DJs Plat­ten auf­leg­ten und die Leu­te tanz­ten, wäh­rend auf den Bild­schir­men CNN, ABC News, Fox News und NY1 lief. Mein Bauch­ge­fühl ver­riet mir be­reits: Es kommt für Har­ris nicht gut. Ich ver­liess die Par­ty und zog durch die Stras­sen.

Beim Ein­gang zum Trump Tower an der Fifth Ave­nue ver­sam­mel­ten sich am spä­te­ren Abend ei­ni­ge Dut­zend Hard­core-Trump-Fans, die mit viel pa­trio­ti­schem Pa­thos US- und MA­GA-Flag­gen schwenk­ten. Ich frag­te ei­nen von ih­nen, wes­halb er Trump ge­wählt ha­be. «He’s a cool guy», war sei­ne knap­pe Ant­wort. Zu Trumps Po­li­tik selbst woll­te oder konn­te er nicht viel sa­gen. Un­ter die­sen Na­tio­na­list:in­nen und selbst­er­nann­ten «Re­vo­lu­tio­när:in­nen» ha­be ich mich un­wohl ge­fühlt und bin wei­ter­ge­zo­gen.

Ge­gen Mit­ter­nacht ge­lang­te ich zum un­weit des Trump Towers ge­le­ge­nen Times Squa­re. Dort ver­sam­mel­ten sich aber­tau­sen­de Men­schen, die al­le auf die Ent­schei­dung war­te­ten und ih­re Au­gen ge­bannt auf die rie­si­gen Leucht­an­zei­gen wie je­ne beim ABC-Stu­dio rich­te­ten. Für Har­ris sah es zu die­sem Zeit­punkt be­reits ziem­lich düs­ter aus. Ob­wohl das Ther­mo­me­ter tags­über bei fast 25 Grad ge­stan­den hat­te, sank die Tem­pe­ra­tur nach Mit­ter­nacht ra­pi­de, und so som­mer­lich ge­klei­det, wie ich war, ent­schied ich mich, den Rest der Wahl zu Hau­se am Fern­se­her bei ei­nem Bier zu ver­fol­gen.

Times Square am Wahlabend vor dem ABC Studio.

Vor acht Jah­ren, nach Trumps ers­tem Wahl­sieg, be­glei­te­te ich die Pro­test-Be­we­gun­gen im Nach­gang der Wahl auf den Stras­sen New Yorks jour­na­lis­tisch in­ten­siv. Zehn­tau­sen­de Men­schen skan­dier­ten da­mals «Fuck you, we ha­te you!» vor dem Trump Tower, ob­wohl Trump 2016 wie auch 2024 am Wahl­tag gar nicht in der Stadt war, son­dern in Mar-a-La­go. Die­ses Mal ha­be ich mich ent­schie­den, die Pro­tes­te nicht mehr zu be­glei­ten. Ei­ner­seits bringt der Auf­marsch Tau­sen­der nichts, weil Trump nun mal Wahl­sie­ger ist und auch ein kol­lek­ti­ves lau­tes «Fuck you!» an die­ser Tat­sa­che nichts än­dert. An­de­rer­seits ist es wi­der­sprüch­lich und in­kon­sis­tent, Trump an­ti­de­mo­kra­ti­sches Ver­hal­ten vor­zu­wer­fen, dann aber selbst ei­nen de­mo­kra­ti­schen Ent­scheid nicht ak­zep­tie­ren zu wol­len.

Letzt­end­lich ist der Sieg Trumps und mit ihm die glo­ba­le Eta­blie­rung der men­schen­ver­ach­ten­den MA­GA-Kul­tur ein Sym­ptom un­se­rer gleich­gül­ti­gen Zeit, die vor al­lem durch die par­al­lel ver­lau­fen­de und zu­neh­mend rechts­ge­rich­te­te In­ter­net­kul­tur erst rich­tig Fahrt auf­ge­nom­men hat. 2016 twit­ter­te Trump noch selbst, 2024 konn­te er dank Elon Musk so­gar auf die Un­ter­stüt­zung der ge­sam­ten – mitt­ler­wei­le weit­ge­hend rechts­extrem mu­tier­ten – Platt­form zäh­len.

Rech­te bis rechts­extre­me Per­sön­lich­kei­ten und Grup­pie­run­gen ha­ben den Um­gang mit und die Mög­lich­kei­ten von neu­en Tech­no­lo­gien schon im­mer viel bes­ser ver­stan­den, um sie für ih­re An­lie­gen zu nut­zen, als dies links-li­be­ra­le Krei­se je­mals konn­ten. In den 1930er-Jah­ren nutz­te das NS-Re­gime das da­mals neue Ra­dio als Mul­ti­pli­ka­tor für Hass und Het­ze, und in Chi­le trans­for­mier­te Au­gus­to Pi­no­chet in den frü­hen 1970er-Jah­ren das re­la­tiv neue staat­li­che Fern­se­hen in ei­nen mi­li­ta­ris­ti­schen Pro­pa­gan­da-Ka­nal. 

Heu­te wer­den Hass, Lü­gen und Het­ze über die (a-)so­zia­len Me­di­en und die neu­en Mög­lich­kei­ten künst­li­cher In­tel­li­genz ver­brei­tet. Auch Par­tei­en wie die AfD oder die SVP grei­fen zu sol­chen Mit­teln und schaf­fen sich mit KI-ge­ne­rier­ten Bil­dern ger­ne ih­re ei­ge­ne Rea­li­tät. Links-li­be­ra­le hin­ge­gen re­agie­ren oft hilf­los mit dem Hin­weis, dass sol­ches Ver­hal­ten der De­mo­kra­tie scha­de. Ja­ja, das ist ja ge­nau das, was die Rech­ten wol­len. Und dass ihr euch em­pört, ge­schenkt.

An­de­rer­seits ha­ben Ka­ma­la Har­ris und die ge­sam­te Lin­ke – auch in Eu­ro­pa – dem Rechts­po­pu­lis­mus und -ex­tre­mis­mus nicht wirk­lich ein zu­kunfts- und mehr­heits­fä­hi­ges Ge­sell­schafts­mo­dell ent­ge­gen­zu­set­zen. Har­ris fo­kus­sier­te ih­ren Wahl­kampf vor al­lem auf zwei The­men: Per­ma­nen­tes Trump-Bas­hing und Ab­trei­bung. Das war mei­ner An­sicht nach ihr gröss­ter Feh­ler. The­men wie Exis­tenz-, Geld- und Ab­stiegs­ängs­te über­liess sie Trump. Die In­fla­ti­on, die Ame­ri-ka­ner:in­nen täg­lich beim Ein­kauf spü­ren – Le­bens­mit­tel­prei­se sind in den ver­gan­ge­nen vier Jah­ren um fast sechs Pro­zent an­ge­stie­gen –, über­liess sie eben­falls un­nö­tig Trump. 

Friedliche Möwen auf Coney Island, Brooklyn.

Di­rek­te Geld­sor­gen be­we­gen die Men­schen of­fen­sicht­lich mehr als die in­di­rek­ten Aus­wir­kun­gen der Kli­ma­er­wär­mung. Den­noch hät­te Har­ris den Kli­ma­wan­del mit ei­ner so­zia­len Ge­sell­schaft und Auf­stiegs­chan­cen für al­le ver­knüp­fen kön­nen. Die­se Chan­ce hat sie ver­passt. Den Be­griff «Cli­ma­te Ch­an­ge» ha­be ich bei al­len Wahl­kampf­re­den höchs­tens ein­mal in ei­nem Ne­ben­satz ge­hört.

Ob Har­ris die US-Ge­sell­schaft und da­mit die ge­sam­te west­li­che Kul­tur tat­säch­lich zum Bes­se­ren hät­te trans­for­mie­ren kön­nen, sei da­hin­ge­stellt. Tat­sa­che ist aber, dass statt­des­sen schon bald ei­ne Re­gie­rung aus Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern, Impf­geg­nern, Kli­ma­leug­nern, Truthern und Ver­ge­wal­ti­gern im Weis­sen Haus sitzt, die an­statt Ru­he und Si­cher­heit in den glo­ba­len Dis­kurs zu brin­gen, noch mehr Un­ru­he, Un­si­cher­heit und Cha­os schü­ren wird.

Es mag ni­hi­lis­tisch klin­gen, aber sind wir ehr­lich: Ge­ra­de in Be­zug auf den Kli­ma­wan­del ist es doch so­wie­so längst zu spät. Der Zug ist ab­ge­fah­ren. Ob Har­ris oder Trump, die Welt hat­te be­reits zu­vor Jahr­zehn­te Zeit, Mass­nah­men ge­gen die Er­wär­mung zu er­grei­fen. Pas­siert ist nichts. In­so­fern ist Trump auch ein Sym­bol des zi­vi­li­sa­to­ri­schen und öko­lo­gi­schen Un­ter­gangs, ein Sym­bol der Gleich­gül­tig­keit ge­gen­über den Men­schen und dem Pla­ne­ten. 

Die ein­zi­ge wirk­li­che Chan­ce, die mit Trump nun ver­passt wird, ist es, die­sen Un­ter­gang we­nigs­tens so so­zi­al­ver­träg­lich zu ge­stal­ten wie mög­lich, ge­ra­de für all je­ne Men­schen, die an ei­ne bes­se­re Zu­kunft 
ge­glaubt ha­ben oder noch glau­ben und öko­lo­gisch ver­ant­wor­tungs­voll han­deln. Un­ter Trump wird der Wind de­fi­ni­tiv ei­si­ger. Mal schau­en, wie lan­ge es dau­ert, bis auch -sei­ne MA­GA-An­hän­ger:in­nen die­se Rea­li­tät er­ken­nen.

 

Phil­ipp Bür­kler, 1977, ist Künst­ler und Jour­na­list und ar­bei­tet vor­wie­gend im Kon­text des so­zi­al-öko­lo­gi­schen Wan­dels so­wie pro­gres­si­ver Ge­sell­schafts­po­li­tik. En­de Ok­to­ber ist er für ei­ni­ge Mo­na­te nach New York Ci­ty ge­zo­gen, wo er be­reits von 2012 bis 2015 ge­lebt hat. Zwi­schen 2021 und Herbst 2024 hat der ehe­ma­li­ge SRF-Jour­na­list das tem­po­rä­re Kunst­pro­jekt Sta­ti­on U6 in St.Gal­len be­trie­ben.