Saiten: Die Kantonsbibliothek ist nicht nur eine Ausleih-, sondern auch eine Sammelinstitution. Die sogenannte Sangallensien-Sammlung ist 200 Jahre alt. Wo hat sie ihren Ursprung?
Susanne Uhl: Die Sangallensien-Sammlung bestand ursprünglich aus etwa 800 Druckschriften und Manuskripten. Georg Leonhard Hartmann (siehe Infoblock auf Seite 22) wollte damit das kulturelle Leben der Stadt St.Gallen in seiner Zeit dokumentieren und abbilden. 1825 hat dann eine Vorgängerorganisation der Kantonsbibliothek die Sammlung aufgekauft. Das war der Grundstein für unsere Sangallensien-Sammlung. Schon damals waren auch einige Bilder und Siegel Teil der Sammlung. Hartmann hat also auch andere Medien als «nur» Bücher und Schriften zum kulturellen Erbe gezählt.
Wie hat sich die Sammlung entwickelt?
SU: Über die Jahre hinweg weitete sich der Fokus von der Stadt auf den ganzen Kanton aus, die Bibliothek hat laufend weitergesammelt und zusätzliche Bestände integriert. Mit dem technologischen Fortschritt kamen neue Medien hinzu: Fotografien, Plakate, Ton- und Filmdokumente, Digitales.
Welche Bedeutung hat die Sangallensien-Sammlung fürs Publikum, für die Forschung, aber auch für die Identität des Kantons?
Laura Bucher: Zunächst einmal eine ganz praktische: Bei wissenschaftlichen und anderen Recherchen muss gewährleistet sein, dass zumindest eine Bibliothek die St.Galler Publikationen systematisch sammelt und verfügbar hält. Das ist eine zentrale Staatsaufgabe und gesetzliche Pflicht, im digitalen Zeitalter entsprechend um Online-Medien ergänzt. Die Ursprungsidee dieser Sammlung war auch, dass sie als eine Art kultureller Barometer das Leben und die Gesellschaft einer bestimmten Zeit abbildet. Mir gefällt dieser Gedanke. Wie war die Stimmung damals? Was hat die Gesellschaft, was die Wissenschaft bewegt? Was stand in der Tagespresse? Welche Bilder wurden gemalt und betrachtet? Dieser Barometer erstreckt sich mittlerweile über 200 Jahre. Ein unglaublicher Schatz! Nicht nur für die Wissenschaft, auch für alle St.Galler:innen: Das ist unser Erbe, unsere Geschichte.
SU: Das Barometerbild gefällt mir in zweierlei Hinsicht. Einerseits: Was wurde oder wird produziert? Und andererseits: Was wurde oder wird als sammlungswürdig erachtet? Die Frage treibt nicht nur Fachleute um. Was soll aufbewahrt werden, was zählt zum kollektiven Erbe und was nicht?
Wer entscheidet heute, was als Sangallensie sammlungswürdig ist, und nach welchen Kriterien?
SU: Wir haben ein Team von zwei Personen, die sich die Arbeit nach Medientyp aufteilen. «Sammlungswürdig» ist vielleicht der falsche Begriff, es geht um Vollständigkeit. Sangallensien sammeln wir ja von Gesetzes wegen. Aber im Bereich privater oder institutioneller Nachlässe müssen wir oft Entscheide zuungunsten gewisser Werke fällen, wenn es sich zum Beispiel nicht um Sangallensien im engeren Sinn handelt.
Abgesehen von inhaltlichen Ablehnungsgründen gibt es sicher auch pragmatische, zum Beispiel wenn Zeit und Personal fehlen, um Schätze aus grossen Nachlässen zu heben.
SU: Kürzlich hatten wir einen solchen Fall. Uns wurde die Forschungsbibliothek eines renommierten Professors angeboten: rund 20'000 Bücher, darunter auch einige wertvolle, spannende, seltene Ausgaben. Leider mussten wir ablehnen, auch weil wir schlicht keine Kapazitäten haben, den gesamten Bestand zu prüfen.
Sammelt die Bibliothek auch «graue Literatur», also solche, die nicht im Buchhandel erschienen ist?
SU: Ja. Das Team versucht, alle Sangallensien zu finden, was nicht immer einfach ist. Denn leider gibt es im Kanton St.Gallen keine Abgabepflicht, wie es in Deutschland oder in den meisten Westschweizer Kantonen der Fall ist. Das heisst, die Bibliothek muss selber suchen und, je nachdem, auch selber kaufen. Obwohl: Einige Institutionen, Verlage und Autor:innen schenken uns ihre Werke auch, worüber wir uns sehr freuen. Die Bereitschaft dazu ist allgemein hoch. Bei «grauer Literatur» ist es schwierig, weil sie nicht auf öffentlich zugänglichen Listen etc. erscheint. Wenn es sich beispielsweise um besonders engagierte Quartiervereine oder grössere Institutionen handelt, die Jahres- oder Quartalsberichte verfassen, und wir von ihnen wissen, dann gehen wir aktiv auf sie zu.
Warum ist das Sammeln von Sangallensien eine Staatsaufgabe? Gäbe es nicht mehr als genug Private, die das ohnehin schon tun?
LB: Primär geht es um Zugänglichkeit und darum, dass das kulturelle Erbe auch genutzt werden kann. Daher haben wir neben dem Sammel- auch einen Vermittlungsauftrag. Ich sehe es als staatliche Aufgabe an, sich mit der Kultur und Geschichte des Kantons zu befassen und sie für die Öffentlichkeit verfügbar zu halten. So wie das Staatsarchiv das staatliche Handeln dokumentiert, sichert und bewahrt die Kantonsbibliothek das kulturelle Erbe unseres Kantons. Das ist ihr ureigenster Auftrag.
SU: Bei praktisch allen privaten Sammlungen stellt sich früher oder später die Frage, wer sie übernimmt. Der Kanton und seine kulturbewahrenden Institutionen können eine professionelle und fachgerechte Aufbewahrung und die Erhaltung der Werke gewährleisten. Nicht, dass das Private nicht auch könnten. Aber die Bibliothek hat hier einfach längerfristigere Möglichkeiten. Auch zum Beispiel im Katastrophen- oder Kriegsfall hat das staatlich-institutionelle Netzwerk viel flexiblere Strukturen, um das kulturelle Erbe zu schützen.
Man stelle sich vor, es gibt eine Sangallensien-Sammlung und niemand geht hin. Wie vermittelt man der Bevölkerung, was es alles Schönes, Interessantes, Identitätsstiftendes in der Kantonsbibliothek zu entdecken gibt?
LB: Dieser konstante Sammlungsauftrag hat unabhängig von den konkreten Nutzendenzahlen eine grosse Bedeutung. Indem man aber die Bevölkerung in die Bibliothek einlädt und ermuntert, auf Entdeckungsreise zu gehen, wird dieser Aspekt noch stärker gewichtet. Das schöne Turmzimmer, in dem wir dieses Gespräch führen, ist ein wunderbares Beispiel. Hier gibt es die etwas eigentümliche Systematik, nach der die Bücher geografisch geordnet sind. Hier können die Menschen hereinkommen und einfach mal etwas stöbern, was es zu ihrer Gemeinde oder Region eigentlich alles gibt. Das ist sicher eines der niederschwelligsten Angebote der Kantonsbibliothek. Das 200-Jahr-Jubiläum der Sangallensien-Sammlung gibt uns auch die Gelegenheit, der Bevölkerung in Erinnerung zu rufen, dass unsere Geschichte und unser St.Galler Kulturgut hier vorhanden und für alle zugänglich sind. Die Kantonsbibliothek bietet aber auch ausserhalb des Sangallensien-Jubiläums immer wieder Lesungen und andere Veranstaltungen an.
Inwiefern würde die neue Kantonsbibliothek an einem einzigen, zentralisierten Standort bei der Vermittlung helfen?
SU: Zum Beispiel beim Thema Ausstellungen. Viele unserer historischen Bestände lagern in der Vadiana im Museumsquartier, weil sie dort entsprechend geschützt sind. Das Haus ist jedoch nicht auf grossen Publikumsverkehr ausgelegt. An einem zentralen Standort hätte man die Gelegenheit, auch einmal zufällig durch eine Ausstellung zu schlendern und sich inspirieren zu lassen und in alten Beständen zu schmökern, ohne dafür extra ins Museumsquartier hinüberwechseln zu müssen. Eine neue Kantonsbibliothek ermöglicht unterschiedliche Vermittlungsangebote in den vielfältigsten Formen, die aktuell aufgrund der Begebenheiten zu wenig Freiraum haben. Eine wichtige Voraussetzung für mögliche Formen von kultureller Teilhabe. Ausserdem gibts in der Vadiana weitere bauliche Einschränkungen betreffend Feuer- und Denkmalschutz und keinen behindertengerechten Zugang. Auch für das Jubiläum hätten wir tolle Ausstellungsideen gehabt, aber wir mussten uns diesbezüglich einschränken. Und um die historischen Bestände in der Hauptpost auszustellen, fehlt uns der Platz.

Was verstehen Sie unter einer modernen «Public Library», wie sie für St.Gallen angedacht ist?
LB: Für mich ist eine Public Library ein Marktplatz des Wissens und der Ideen in einem Gebäude, das jederzeit und für alle zugänglich ist. Wo zufällige Begegnungen stattfinden können, wo Menschen aber auch gezielt hingehen, um sich Wissen zu erarbeiten, sich zu hinterfragen, weiterzubilden, zu lernen oder austauschen zu können. Oder auch einfach nur da sein, ohne etwas konsumieren zu müssen. Eine moderne Public Library ist eine Investition in Bildung, Kultur und gesellschaftliche Teilhabe. Bibliotheken fördern lebenslanges Lernen und Chancengleichheit, insbesondere für Menschen ohne Zugang zu privaten Bildungsressourcen.
SU: Die Public Library ist ein Ort in der Stadt, wo alle willkommen sind und bei ihrem Wissenstand und bei ihren Interessen abgeholt werden und Möglichkeiten erhalten, mehr zu erfahren oder zu lernen. Die Bibliothek soll nicht nur Antworten liefern, sondern Inspiration. Sie soll ein Ort sein, wo über Medien und Begegnungen neue Fragen und Ideen entwickelt werden. Abgesehen davon darf die Bibliothek aber auch einfach ein Aufenthaltsort oder ein Treffpunkt sein. Dass das ein grosses Bedürfnis ist, merken wir auch heute schon im Bibliotheksalltag. Und das ist nicht einmal eine Altersfrage, wie man sich das vielleicht vorstellt. Auch jüngere Menschen suchen hier sozialen Kontakt.
LB: Ein zentraler Aspekt einer Public Library ist das Teilen von Ressourcen und Wissen. Ihr Bestand wird über Anschaffungsvorschläge, die man heute schon machen kann, gemeinsam mit dem Publikum weiterentwickelt. Dabei geht es nicht nur um Bücher und andere Medien, sondern auch zum Beispiel um die Nutzung von Räumen, Sitzungszimmern, Lernplätzen oder Maker Spaces, Repair Cafés und die «Bibliothek der Dinge» zur Ausleihe elektronischer Geräte oder anderer Gebrauchsgegenstände. Das ist sinnvoll und nachhaltig.
2023 führte der Kanton eine Publikumsbefragung durch. Was wünscht sich denn das Publikum von der neuen Bibliothek?
LB: Wir hatten einen sehr erfreulichen Rücklauf mit über 1300 Stimmen aus dem ganzen Kanton. Was mich persönlich besonders erstaunte, war, wie häufig der Wunsch nach einem Raum ohne Konsumpflicht geäussert wurde. Dass man einfach irgendwo hingehen und ein Buch oder die Zeitung lesen kann, ohne einen Kaffee bestellen zu müssen. Häufig erhielten wir ausserdem die Rückmeldung, dass unser Angebot an physischer und digitaler Literatur, Zeitschriften, Zeitungen und Recherchemöglichkeiten schon heute sehr geschätzt wird.
Welche Rückmeldungen gab es aus Buchs, Weesen oder Rapperswil-Jona? Wie stellt sich die Bevölkerung im Süden des Kantons eine neue Bibliothek in St.Gallen vor?
LB: Die Antworten haben sich regional gar nicht so stark unterschieden. Ein grosser Teil der Rückmeldungen kam von Leuten, die heute schon nahe am bibliothekarischen Angebot sind. Erfreulicherweise haben sich auch einige geäussert, die das Angebot der Bibliotheken nicht oder nur wenig nutzen. Viele wünschen sich zum Beispiel auch genügend Lernplätze oder mehr Raum für Veranstaltungen, wofür man offenbar gerne auch von etwas weiter weg nach St.Gallen reist. Obwohl die Gemeindebibliotheken ebenfalls sehr attraktive Veranstaltungen organisieren. Auch ein Ausbau unseres Weiterbildungsangebots für die Gemeinde- und Schulbibliothekar:innen würde sehr begrüsst.
SU: Ich kann die Auswertung gar nicht so stark auf die Regionen runterbrechen. Wir haben einfach festgestellt: Unsere Vorstellung einer Public Library ist ziemlich deckungsgleich mit den Rückmeldungen aus der Umfrage. Es wurden viele interessante, teils rein individuelle Bedürfnisse an uns herangetragen. Gerade, was die Aufenthaltsqualität vor Ort betrifft, wie «hey, ihr braucht bequeme Stühle» oder allgemein «weniger Beton, mehr Holz». Andere wünschen sich weiterhin ein so gutes und gerne noch grösseres elektronisches Angebot wie «dibiost» (Digitale Bibliothek Ostschweiz, Anm.d.Red.). Zusammengefasst: Die Menschen wollen nebst einem schönen Ort ein möglichst breites Medienangebot, digital wie physisch. Und eine neue Bibliothek unterstützt und ergänzt regionale Bibliotheken, anstatt sie zu ersetzen.
Der bürgerlich dominierte Kantonsrat ist bei den Plänen für die neue Kantons- und Stadtbibliothek bekanntlich auf die Bremse getreten. Er fordert Einsparungen bei Bau und Betrieb sowie eine stärkere Berücksichtigung regionaler Bedürfnisse. Wo steht die politische Debatte aktuell? Wie sieht der Fahrplan aus?
LB: Wir sind mittendrin in den Diskussionen. Bezüglich der baulichen Redimensionierung haben wir diverse Prüfaufträge erteilt. Ebenso für die Anpassung des Betriebskonzepts, die zwangsläufig erfolgt, wenn beim Bau gespart werden soll. Zudem arbeiten wir die regionale Bibliotheksförderung aus. Hierfür werden wir nochmals gezielt auf die Bibliotheken im Kanton zugehen und dort die konkreten Bedürfnisse abholen. Die Umfrage und die Vernehmlassung haben gezeigt, dass man mit der bisherigen regionalen Bibliotheksförderung zwar zufrieden ist. Ein Ausbau ist dennoch angezeigt, denn auch regionale Bibliotheken sollen und wollen sich gemäss ihren Vorstellungen zu Public Librarys entwickeln.

Der Kantonsrat will sparen. Im Zentrum wird dies geschehen, in den Regionen hingegen wird das Förderangebot ausgebaut. Wie geht diese Rechnung am Schluss auf?
LB: Bei der Frage von Zentrum und Regionen haben wir kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Alle sind sich einig: Das Bibliothekswesen im Kanton braucht eine starke Bibliothek in St.Gallen, die gemeinsam von Stadt und Kanton realisiert wird. Für einen Kanton mit jahrhundertelanger Bibliotheks- und Wissenstradition ist das auch ein absolut richtiger Gedanke. Von einer starken Kantonsbibliothek profitieren auch die Gemeindebibliotheken. Der klare gesetzliche Auftrag zur Realisierung einer zentralen Kantons- und Stadtbibliothek besteht seit 2014 und ist unbestritten. Darum arbeiten wir an einer gut austarierten Lösung, die wir voraussichtlich Ende Jahr dem Parlament vorlegen werden.
SU: Betreffend Regionenförderung liegt auch ein grosser Teil der Verantwortung bei den Gemeinden selber. Die bibliothekarische Grundversorgung ist gemäss aktueller Gesetzgebung hauptsächlich in ihrer Zuständigkeit.
Die Wahrung der Gemeindeautonomie im Bibliothekswesen war 2014 in der Debatte ums Bibliotheksgesetz explizit der Wunsch der bürgerlichen Fraktionen.
SU: Genau. Die Frage ist nun: Wo kann der Kanton hier zum Grundangebot der Gemeinden respektive jenem der jeweiligen Trägerschaften, die von den Gemeinden damit beauftragt sind, ergänzend etwas bieten? Natürlich sollen sich alle Bibliotheken weiterentwickeln können. In der Arbeit der kantonalen Fachstelle und in der Bibliothekskommission hat sich gezeigt, dass häufig schon kleine Massnahmen ausreichen, um grosse Wirkung zu erzielen. Der Ansatz ist daher wie bis anhin auch, sich an den aktuellen Bedürfnissen der Bibliotheken zu orientieren und ihnen nach Möglichkeit nachzukommen.
LB: Ich möchte auf keinen Fall das Bild erwecken, dass wir in der Stadt die perfekte, grosse, moderne Bibliothek haben und auf dem Land stehen einfach ein paar staubige Bücherregale in einem Schulhausestrich. Im Gegenteil: Es gibt viele sehr innovative Gemeindebibliotheken im ganzen Kanton, die uns einiges voraushaben und beispielsweise schon ein Open-Library-Konzept umgesetzt haben. Ich denke da etwa an die Bibliorii in Altstätten oder die Gemeindebibliothek Flawil. Auch andere Bibliotheken haben sich zu richtigen Begegnungs- und Familienzentren entwickelt. Der Public-Library-Gedanke wird im Kanton also bereits gelebt.
Zurück zur Sangallensien-Sammlung: Welche grösseren Sammel- oder Entsammelprojekte stehen bei der Kantonsbibliothek an?
SU: Unser Bedürfnis geht eher Richtung Vergrössern der Sammlung. Logisch. Aber natürlich nicht als Selbstzweck, sondern der Vollständigkeit und der thematischen Breite halber. Das kulturelle Erbe des Kantons soll möglichst vollständig überliefert und erhalten werden. Einen Fokus haben wir derzeit beispielsweise auf unsere Plakatsammlung gelegt. Entsammlung – Deakzession heisst der Fachbegriff dafür – machen wir natürlich nicht gerne. Aber irgendwann wird auch bei uns der Platz knapp. Dann muss man sich bei den Sangallensien im ersten Schritt einmal überlegen, wie viele Exemplare eines Werks man behalten möchte. Aktuell erwerben wir bei den Sangallensien jeweils zwei Exemplare, eins für die Ausleihe, eins als Sicherung. Von manchen haben wir aber auch mehrere.
Bücher lassen sich auch besser stapeln als Museumsobjekte.
SU: Genau, wir haben noch etwas Spatzig in unseren Magazinen. Aber wir haben es in der Geschäftsleitung für dieses Jahr als Traktandum festgelegt, weil unsere Depots in etwa fünf bis sieben Jahren voll sein werden.
LB: Die Frage ist auch, welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Zuwachsraten und die Platzbedürfnisse hat. Da lernen wir laufend dazu. Auf jeden Fall wird man sich nicht von den physischen Medien verabschieden.
SU: Dem kann ich nur zustimmen. Der physische Bestand ist nach wie vor relevant und die Bibliotheken setzen hier auf verschiedene nachhaltige Lösungen, indem sie beispielsweise kooperative Magazinlösungen realisiert haben oder auf rotierende Bestände setzen. Letzteres ist gerade im Bereich fremdsprachiger Literatur eine tolle Sache und die Stiftung Bibliomedia Schweiz stellt da ein grosses Angebot zur Verfügung.
Ein aktuelles Grossprojekt ist die vollständige Digitalisierung des «St.Galler Tagblatts». Es gäbe aber auch noch andere, für den Kanton identitätsstiftende Medienerzeugnisse, wenn man nur schon an «Die Ostschweiz» oder die «Ostschweizer Arbeiterzeitung» denkt, die es beide seit den 1990er-Jahren nicht mehr gibt. Denkt man auch über die Digitalisierung dieser Blätter nach?
SU: Bei solchen Projekten geht es immer auch um Kooperation. Digitalisate dieser Grössenordnung und von dieser Bedeutung sollten dann auch auf einer national oder international genutzten Plattform aufgeschaltet werden und nicht einfach auf der Website der Kantonsbibliothek. Das «Tagblatt» kommt auf «E-Newspaper Archives», eine Plattform, welche die Nationalbibliothek betreibt.
LB: Wir haben den digitalen Lesesaal, wo auch Bestände des St.Galler Staatsarchivs zugänglich sind. Wenn ein solches Projekt wie die «Tagblatt»-Digitalisierung mit öffentlichen Geldern finanziert ist, muss auch die öffentliche Zugänglichkeit gewährleistet sein.
SU: Weitere Projekte sind sicher denkbar, aber man muss auch beachten, dass sie sehr kosten- und personalintensiv sind. Aussenstehenden ist der damit verbundene Aufwand oft nicht bewusst. Das «Tagblatt»-Projekt dauert nun schon Jahre und bindet viele Ressourcen. Aktuell sind beispielsweise im Ausstellungssaal in der Vadiana sämtliche Zeitungsbestände des «Tagblatts» für den Weitertransport zwischengelagert. Das sieht recht wild aus.
LB: Aber ein Wunsch wäre es natürlich schon, nur schon, um die frühere Pressevielfalt abzubilden.
Wenn wir schon beim Wünschen sind: Hat die Kantonsbibliothek genügend Mittel, um alles umzusetzen, was wünschenswert oder von Gesetzes wegen notwendig wäre? Oder gäbe es noch die eine oder andere konkrete Bitte an den Kantonsrat um Aufstockung der Gelder?
LB: Wir wünschen uns einfach, dass wir die neue Bibliothek realisieren können. Unsere gesamte Planung, an der wir schon sehr lange sehr intensiv arbeiten, ist darauf ausgerichtet. Das ist das vordringlichste Ziel und unser grösstes Projekt. Aber selbstverständlich steht die Alltagsarbeit daneben nicht still. Und dank des Sangallensien-Jubiläums können wir jetzt in der Öffentlichkeit auch wieder einmal über einen anderen Aspekt reden als nur vom Neubauprojekt. Um zu zeigen, dass wir auch unseren Sammlungs- und Vermittlungsauftrag sehr ernst nehmen.
SU: Zu mehr Mitteln und mehr Personal sagen wir natürlich nie Nein. Fast noch wichtiger ist mir aber, dass wir nicht nur auf die Ressourcenfrage fokussieren. Ich wünsche mir vor allem ein Umfeld, das es uns ermöglicht, unserem gesetzlichen Auftrag angemessen nachgehen zu können. Ein Umfeld, das den Wert der Pflege des kulturellen Erbes und der Bibliotheksarbeit, die wir leisten, anerkennt und dies nicht einfach als «ein bisschen Kulturzeugs» und «pures Luxusprojekt» abtut.
Die St.Galler Kantonsbibliothek Vadiana macht die Sangallensien-Sammlung im Jubiläumsjahr 2025 auf vielfältige Art und Weise erlebbar. Das Programm reicht von Theatervorführungen über Citizen Science bis hin zu einer Wanderausstellung.
Vollständiges Programm und weitere Infos:
sangallensien2025.sg.ch