Queer sein ist kein Trend, sondern die Realität vieler junger Menschen. Doch statt Unterstützung erfahren sie oft Mobbing, Unverständnis oder Ignoranz. Im Buch Queer Kids von Christina Caprez und Judith Schönenberger geht es um Akzeptanz, aber auch um Repräsentation. Am 11. März ist die Autorin Caprez zu Gast in St. Gallen und liest im Raum für Literatur aus ihrem Werk.
Doch was ist denn das überhaupt, dieses «queer»? Der Begriff «queer» dient als Sammelbezeichnung für Lebensweisen, die nicht der heterosexuellen, binären Norm entsprechen. Dazu zählen unter anderem Homo- und Bisexualität, Pansexualität, aber auch Asexualität sowie nichtbinäre, trans und intergeschlechtliche Personen. Der Begriff betont die Vielfalt menschlicher Identitäten und Lebensweisen und hinterfragt die gesellschaftlichen Normen bezüglich Sexualität und Geschlecht.
In der Schweiz identifizieren sich gemäss einer Studie aus dem Jahr 2023 etwa 13% der Bevölkerung als queer. Die Wahrscheinlichkeit, eine queere Person im Umfeld zu haben, ist also sehr hoch. Und wer jetzt den Kopf schüttelt – vielleicht weiss man auch einfach nicht, dass eine Person queer ist. Und das ist dann auch völlig in Ordnung. Queere Menschen sind nicht verpflichtet, über ihre Queerness zu informieren. Von heterosexuellen Menschen erwartet das ja auch niemand.
Diskriminierung und fehlende Repräsentation
Studien zeigen, dass sich heute mehr junge Menschen als queer identifizieren, als vor einigen Jahren. Das heisst aber nicht, dass Queersein einfach nur ein Trend ist. Vielmehr sind junge Menschen heute oft «besser informiert und sensibilisierter als noch vor ein paar Jahren», schreibt Caprez in ihrem Buch. Sie verweist dabei auf eine Zürcher Umfrage, die ergab, dass «26 % der weiblichen und 9 % der männlichen Jugendlichen nicht oder nicht ausschliesslich heterosexuell» leben.
Trotzdem stellen Erwachsene das Queersein junger Menschen immer wieder infrage – oft mit der Behauptung, sie würden einfach nur einem Trend folgen. Doch indem sie ihnen die eigene Identität absprechen, entziehen diese Erwachsenen – darunter oft sogar Vertrauens- oder Bezugspersonen – den Kindern und Jugendlichen genau das, was sie am meisten brauchen: Unterstützung und Rückhalt. Gerade in dieser vulnerablen Zeit wäre es entscheidend, junge Menschen zu begleiten, statt ihre Erfahrungen kleinzureden.
Und genau hier setzt das 2024 erschienene Buch von Christina Caprez an. Einerseits soll es Menschen, die bislang keine Berührungspunkte mit queeren Personen hatten, einen Zugang zum Thema ermöglichen und Türöffner für mehr Akzeptanz sein. Andererseits soll es Repräsentation für queere Jugendliche schaffen, denen es oftmals an Vorbildern mangelt. Nicht zuletzt, weil das Thema Vielfalt im Sexualkundeunterricht oft nur oberflächlich oder gar nicht behandelt wird.
Vielfalt in der Vielfalt
Die Autorin Christina Caprez und die Fotografin Judith Schönenberger porträtieren insgesamt 15 queere Kinder und Jugendliche. Ergänzt werden diese sehr persönlichen Geschichten durch Expert:innengespräche, die fundierte Hintergrundinformationen liefern und die Vielschichtigkeit des Themas verdeutlichen.
Da ist zum Beispiel Lia, der bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde. Doch Lia weiss: Sie ist ein Mädchen. Oder Samira, die schwer verliebt ist, sich aber nicht traut, ihre Gefühle mit ihren Eltern zu teilen. Oder Corsin, der kurzerhand selbst einen Treffpunkt für queere Jugendliche auf dem Land gründete, weil es kein entsprechendes Angebot gab.
Die Autorin bleibt dabei stets im Hintergrund; die Geschichten gehören den Kindern und Jugendlichen. Diese sprechen direkt, in ihrer eigenen Sprache, die alltagsnah und unverfälscht bleibt. Trotz der oft ernsten Thematik bewahrt das Buch eine gewisse Leichtigkeit. Es geht um Mobbing, Konflikte mit den Eltern und den Wunsch, einfach akzeptiert zu werden. Eigentlich ein Grundbedürfnis, eigentlich nicht viel verlangt und doch – so scheint es, manchmal zu viel.
Das Buch will Akzeptanz und Repräsentation schaffen – und genau das tut es auch. Doch ein fader Beigeschmack bleibt: Sollten so junge Menschen wirklich zu Held:innen werden müssen, nur weil die Gesellschaft ihre Verantwortung nicht wahrnimmt?
Und gerade jetzt ist es wichtig, Farbe (und Flagge, lieber St.Galler Stadtrat) zu bekennen und der queeren Community den Rücken zu stärken, ohne Wenn und Aber.
Caprez Christina: Queer Kids. Limmat Verlag, Zürich 2024.
Lesung von Christina Caprez und anschliessendes Gespräch in der Reihe «Gender Matters», 11. März, 19-20.30 Uhr, Raum für Literatur, Hauptpost St.Gallen