Die Zeit ist ein entscheidendes Element in der Musik – ein unsichtbarer Rahmen, der bestimmt, wie wir Töne und Melodien erleben. Doch was, wenn dieser Rahmen verschoben wird?
Dieser Verschiebung geht der Pianist, Organist, Komponist und Musikforscher Bernhard Ruchti in seinem Projekt «A Tempo» nach. Anstatt sich der gängigen Praxis hoher Tempi zu beugen, entschleunigt er die Werke grosser Komponisten, um ihren verborgenen Reichtum hervorzuheben. Aktuell tourt Ruchti mit seinem Projekt «A Tempo» durch die Schweiz und macht am 26. Februar in der Tonhalle St.Gallen Halt.
Drei Klassiker, eine Eigenkomposition
Der Abend in der Tonhalle beginnt mit zwei wichtigen Werken von Franz Liszt, dem Klaviervirtuosen aus dem 19. Jahrhundert: Das atmosphärische Stück Saint François de Paule marchant sur les flots und die Klavierbearbeitung von Isoldens Liebestod aus Richard Wagners Oper Tristan und Isolde. Im Anschluss spielt Ruchti eine Eigenkomposition, die viersätzige Suite für Klavier.
Im zweiten Akt greift Bernhard Ruchti erneut auf Liszt zurück, wenn er Ludwig van Beethovens berühmt-berüchtigte Grosse Sonate für das Hammerklavier inszeniert. Dieses Werk galt bei seiner Veröffentlichung im Jahr 1819 als nahezu unspielbar, denn die Erfindung des Metronoms erlaubte es erstmals, die Geschwindigkeit des Stücks exakt zu beschreiben. Und genau das tat Beethoven auch: Das Tempo der Sonate ist hoch und die technischen Anforderungen sind enorm.
Liszt verlangsamt Beethoven
Es war der Pianist Franz Liszt der das Potenzial einer langsameren Interpretation erkannte. Als Erster führte er die Sonate im Mai 1836 in Paris auf und inkludierte das Werk danach in sein Repertoire. Fast 50 Jahre später schrieb Liszt, dass er für Beethovens Werk eine Aufführungsdauer von «presque une heure» empfiehlt. Also um einiges länger, als es Beethovens Metronomzahlen nahelegten. Diese Empfehlung nimmt Bernhard Ruchti nun erneut auf und lässt Beethovens Sonate atmen.
Geschwindigkeit in der Musik war bereits zu Mozarts Zeiten ein Thema. Wollte man damals oft mit hohen Tempi beeindrucken, wählt Ruchti heute bewusst einen anderen Weg. Die Entschleunigung wird zum Schlüssel, um der Musik eine neue Dimension zu verleihen. «A Tempo» ist mehr als nur ein musikalisches Experiment, es ist auch eine Botschaft an eine Welt, die immer schneller wird.
«The A Tempo Project»: Bernhard Ruchti interpretiert klassische Musik in neuen Tempi, 26. Februar, 19.30 Uhr, Tonhalle St.Gallen