, 27. Oktober 2023
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Ein verspätetes Jagdkapelle-Konzert

Den Begriff «Plattentaufe» sucht man bei der Ankündigung des Konzerts von Marius und seiner Jagdkapelle diesen Sonntag im Palace St.Gallen vergebens. Kein Wunder, schliesslich ist die letzte (Musik-)CD Worscht im Frühling 2020 erschienen. Dennoch ist es im Grunde genommen genau das: die längst überfällige Veröffentlichungsfeier – und damit die wohl am längsten hinausgezögerte Plattentaufe in der Schweizer Musikgeschichte.

Die Jagdkapelle mit Wisl (Christian Hugelshofer), Supertreffer (Christian Bührle), Marius Tschirky, Bärechrüsler (Hans Kühne) und Tombär (Thomas Szokody). (Bild: Can Isik)

Für Kinder ist es ein Paradies: Die Fantasiewelt, die Marius und die Jagdkapelle seit bald 20 Jahren erschaffen und mit jedem neuen Album weiter vergrössern. Viele Figuren wie der grimmige Oberjägermeister Brünzli, Dachs Adalbert oder das Seichhörnli, das nur Seich im Kopf hat, tauchen immer wieder auf. Und diese Welt geht über die Musik hinaus: Es gibt Hörspiele, Theaterstücke oder Bilderbücher.

Die Lieder gefallen auch vielen Eltern – man erkennt sich darin wieder. In den witzigen und oft doppeldeutigen Texten nimmt die Jagdkapelle unter anderem das Verhalten von Mami und Papi auf die Schippe, etwa in Seisch Tanke Bitte, Tschau Mami oder Bapis & Mamis vom Vorgängeralbum Hirschschnauzdisco. Und die Musik ist catchy: Die «Verschreckjäger» – neben Chefjäger Marius Tschirky sind das Bassist Hans «Bärechrüsler» Kühne, Gitarrist Christian «Wisl» Hugelshofer, Pianist Thomas «Tombär» Szokody und Schlagzeuger Christian «Supertreffer» Bührle – zelebrieren einen bunten Stilmix aus Pop, Folk, Balkan-Klängen, Chanson, Hip-Hop oder Disco. «Das Schöne an der Jagdkapelle ist eben genau, dass sie so offen ist», sagt Tschirky beim Gespräch in seinem Atelier im St.Galler Riethüsli-Quartier, wo er auch ein Tonstudio eingerichtet hat.

Das alles kommt sehr gut an: Marius und die Jagdkapelle sind eine der erfolgreichsten Kinderbands der Schweiz. Und längst Tschirkys Vollzeitjob. «Ich habe ein Luxusleben», sagt der gelernte Kindergärtner und Waldpädagoge, der einst bei den St.Galler Indie-Bands Monoblond (mit Hans Kühne) und Swedish (mit Thomas Szokody) aktiv war. Ein Luxus, weil er für seine eigene Band arbeiten und davon leben kann. Ein Luxus aber auch, weil er dies mit seinen besten Freunden teilen kann. Gleichzeitig ist die Jagdkapelle ein ewiges Projekt, weil die Kinder irgendwann aus dem Universum herauswachsen und sie neue Kinder für sich begeistern muss.

Dem Lockdown zum Opfer gefallen

Alles andere als paradiesisch waren hingegen die Begleitumstände beim bisher letzten Album Worscht. Dieses war fast fertig, als die Coronapandemie nach Westeuropa schwappte – und prompt auch Marius Tschirky und seine Familie erfasste. Seine damalige Frau sei eine der ersten Personen in Ausserrhoden gewesen, die sich mit dem Virus infiziert hätten, erzählt der Stadtsanktgaller, der schon seit vielen Jahren in Teufen lebt. Tschriky und die Kinder mussten sich danach in Quarantäne begeben. Zuvor holte er in seinem Tonstudio in St.Gallen, wo er in den Wochen zuvor mit der Jagdkapelle das Album aufgenommen hatte, die nötigsten Dinge: Computer, Mikrofone, Lautsprecher, Kopfhörer. Im Keller seines Hauses in Teufen fügte er die letzten Aufnahmen hinzu und mischte dort die Lieder fertig ab.

Im April, mitten im Lockdown, erschien Worscht. Während das Leben in der Fantasiewelt weiterging, stand die richtige Welt still. An Konzerte war nicht zu denken. Zwar spielten Marius & die Jagdkapelle in jenem Sommer am Kulturfestival St.Gallen, die eigentliche Plattentaufe im Mai im Palace fiel jedoch ins Wasser. Sie wurde zunächst auf Januar 2021 verschoben und schliesslich ganz abgesagt.

Felltuschgnusch kehrt auf die Bühne zurück

Gefühlt ist das alles eine Ewigkeit her. In der Zwischenzeit war Marius Tschirky auch mit anderen Projekten beschäftigt. Im Sommer 2022 veröffentlichte er Chüe, den ersten Song seines zweiten Soloalbums, an dem er immer noch arbeitet. Und seither ist auch das Jagdkapelle-Universum weiter gewachsen: Anfang September ist Felltuschgnusch erschienen, ein zweistündiges Hörspiel. Die Geschichte, die auf dem Lied Seichhörnli aus dem Album Radio Waldrand (2013) basiert, war Ende 2022 und Anfang 2023 auch als Bühnenstück im Theater St.Gallen zu sehen. Allerdings war Tschirky mit der Inszenierung nicht restlos glücklich. Seine Figuren sind ihm heilig. «Sie sind meine Freunde. Ich kenne sie schon so lange und weiss genau, wie das Seichhörnli oder der Oberjägermeister Brünzli ticken, wie sie sprechen und so weiter.» Auch deshalb habe er das Hörspiel aufgenommen und alle Stimmen ausser dem Bärechrüsler selbst eingesprochen.

Für all jene, die die Aufführungen damals verpasst haben, gibt es gute Neuigkeiten: Felltuschgnusch wird voraussichtlich Ende 2024 in Zürich nochmal aufgeführt. Weniger aufwändig inszeniert als am Theater St.Gallen, dafür näher an der ursprünglichen Geschichte.

Doch erstmal wird jetzt das Konzert im Palace endlich nachgeholt. Und für jene, die Marius und die Jagdkapelle erst kürzlich am Weihern Festival oder am Kronberg live gesehen haben, hält es ein paar «Extrawörscht» parat: Zum einen kommt Marius Baer, der auch im Stück I bi de Bär auf der CD einen Gastauftritt hat, ins Palace. Zum anderen werden die Jäger auch einige Lieder von Worscht spielen, die es live schon länger nicht mehr zu hören gab.

 

Marius und die Jagdkapelle live: 29. Oktober, 16 Uhr, Palace St.Gallen; 5. Mai 2024, 15 Uhr, Kreuz Jona. Weitere Tourdaten auf www.marius-jagdkapelle.ch.

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