Ein Samowar in T-Dur

Seit das Chuchchepati Orchestra regelmässig im St.Galler Palace gastiert, gibt es dort fiktive Dörfer und verbindende Krüge. Ein Besuch bei Patrick Kessler und seinen acht Lautsprechern öffnet mehrsprachige Horizonte. Nächste Woche spielt das Publikum mit.
Von  Julia Kubik

Ein Spätnovemberabend im Palace, beziehungsweise genauer: Wir befinden uns in Old Nusum, einem imaginären Ort, und lauschen urtypischen Klängen von dort. Ein dichter Soundteppich zieht Bahnen durch den Raum, versinkt zwischen den Stühlen, rieselt von der Decke. Über diesen orchestralen Echtzeit-Soundtrack in geraden Sätzen zu schreiben ist schwierig. Man stelle sich stattdessen ein Dorf vor, in hörbarer Distanz zu einem Wald, und alles spricht: Bäume, Mauern, Fenster, Türen, Leute. Hört man nur kurz hin, ist es ein Flimmern, gibt man sich Zeit, kristallisieren sich einzelne Charaktere und Szenerien hervor.

An diesem Spätnovemberdonnerstag gastiert hier, am real existierenden Blumenbergplatz, zum dritten Mal das Chuchchepati Orchestra; ein Orchester mit acht Lautsprechern im Zentrum und wechselnder Besetzung rundum.

Fragile Archaik

Kontrabassist und Orchesterwart Patrick Kessler hat die Lautsprecher vor einigen Jahren aus Nepal (Kathmandu, Stadtteil Chuchchepati, was auf Deutsch «Horizont» heisst) in die Schweiz gebracht. Schon als er sie zum ersten Mal sah, war er begeistert von ihrer Form und Beschaffenheit. Es sind keine hochmodernen High Tech-Boxen, sondern grosse Trichter, fragil und brachial zugleich. Ihre Soundübertragung ist roh und markant, wodurch die Lautsprecher selbst zu einem Instrument des Orchesters werden.

Getragen werden sie von eleganten Bambusverstrebungen, die nicht nur gut aussehen, sondern auch denkbar leicht dekonstruier- und transportierbar sind. Sie stehen jedesmal anders im Raum verteilt, womit die palacespezifischen Freiflächen auf ihre akkustische Wirkung überprüft werden. Trotz aller installativen Schönheit liegt der Fokus aber klar beim Sound.

Bilder und Krüge statt Noten

Bisher zum Chuchchepati Orchestra gehören: Anouck Genthon an der Violine, Benjamin Pogonatos mit live Eletronik, Rea Dubach und Saadek Türkoz als Stimmen, Julian Sartorius am Schlagzeug, Ephrem Lüchinger mit Synthesizer und Piano und Patrick Kessler. Ziel ist es, laufend neue Mitspielende einzuladen, um so einen Pool aus Leuten zu generieren, die den Chuchchepati-Horizont verstehen und verbreitern. Auch die Idee der Mobilität ist zentral. Das Palace dient zwar gegenwärtig und auch nah-zukünftig als Labor, aber grundsätzlich ist das Orchester an keinen fixen Raum gebunden, und wird früher oder später auf Tour gehen.

Samowar in T-Dur: 19. Dezember ab 20 Uhr, 20. Dezember ab 12 Uhr, Palace St.Gallen

palace.sg

Was genau jeweils gespielt wird, steht nicht in Noten fest, sondern in bildhaften Konzepten. Das kann ein Ort wie Old Nusum sein oder eine ungarische Kapelle in einem Waldhaus in Sils Maria. Das nächste Thema, passend zum steilen Kälteeinbruch, ist ein Samowar – ein traditioneller sibirischer Teekrug. Dieser wird an einer gut zugänglichen Stelle im Raum stehen, offen für das durstige Publikum, welches mit selbständigem, lautsprecherverstärktem Tee-Einschenken eine wichtige akkustische Rolle spielt. Das ganze nennt sich T-Dur und findet am Mittwoch 19. Dezember abends und am Donnerstag 20. Dezember über den Tag verteilt erstmals statt.

Auf ein volles Haus, Tundraebenen vor dem inneren Auge, noch nie dagewesene Klänge und viel, viel Tee.