, 28. März 2024
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Ein Museum kämpft ums Überleben

Anfang April schliesst das Appenzeller Volkskunde-Museum – temporär, aber auf unbestimmte Zeit. Die Gründe dafür sind ebenso verworren wie die jüngere Geschichte des Museums. Vieles ist unklar – auch dessen Zukunft.

Das Appenzeller Volkskunde-Museum in Stein muss vorübergehend seine Türen schliessen. Wie lange, weiss niemand genau. (Bilder: Louis Vaucher)

Ein Erdbeben erschütterte Ende Februar die Appenzeller Kulturlandschaft: Das Appenzeller Volkskunde-Museum im ausserrhodischen Stein, immerhin das grösste Museum des Kantons, schliesst am 2. April. Nicht definitiv, aber «temporär für einen längeren Zeitraum», wie es in der Medienmitteilung hiess. Die noch bestehenden Arbeitsverhältnisse mit den Mitarbeiter:innen würden bis auf wenige Ausnahmen gekündigt.

Dass das Appenzeller Volkskunde-Museum finanzielle Schwierigkeiten hat, war schon länger bekannt. Seit der Eröffnung 1987 schrieb es vermutlich fast jedes Jahr einen Verlust. Die Schliessung beschleunigt haben nun die Kündigungen zweier Mitarbeiterinnen in der Administration mit grösseren Arbeitspensen. «In der jetzigen Situation können wir die beiden gekündigten Stellen nicht neu besetzen», sagt Charles Lehmann, der Präsident der Genossenschaft Appenzeller Volkskunde-Museum. Eigenkapital ist zwar noch genügend vorhanden, die Liquidität ist jedoch knapp.

Vom Banker zum Verwaltungspräsidenten eines Museums

Er sei ein Finanzfachmann, kein Kulturexperte, sagt Lehmann gleich zu Beginn des Gesprächs. Er war jahrelang Leiter Privat- und Geschäftskunden der Region St.Gallen sowie Niederlassungsleiter des Hauptsitzes der St.Galler Kantonalbank. Davor arbeitete er für die UBS und war Vorsitzender der Geschäftsleitung der Appenzeller Kantonalbank, als diese 1995 vom damaligen Verwaltungsratspräsidenten und späteren Bundesrat Hans-Rudolf Merz, der auch erster Präsident der Genossenschaft Appenzeller Volkskunde-Museum und 16 Jahre lange im Amt war, an die UBS verkauft wurde.

Der 67-Jährige ist seit September 2020 in der Verwaltung der Genossenschaft Appenzeller Volkskunde-Museum. Nachdem die damalige Präsidentin Madeleine Messmer im September 2021 nach nur einem Jahr ihren sofortigen Rücktritt eingereicht hatte, übernahm er das Amt des Vizepräsidenten, ehe er im Mai 2022 an der Generalversammlung für zwei Jahre zum Präsidenten gewählt wurde.

Museumsgebäude jahrelang zu tief abgeschrieben

Ein Grund für die finanziellen Probleme ist das Museumsgebäude, das der Genossenschaft Appenzeller Volkskunde-Museum gehört. Es wurde 1987 im Baurecht über 100 Jahre erstellt mit Anlagekosten von rund 5,1 Millionen Franken und seither mit 1 Prozent dieses Werts abgeschrieben. Wie Charles Lehmann im Geschäftsbericht 2022 schrieb, sollte die Abschreibung auf einem Museum jedoch höher sein und linear innert 40 Jahren erfolgen, also mit jährlich 2,5 Prozent, was Abschreibungen von jeweils knapp 130’000 Franken verursache. Um die Abschreibungen der vergangenen Jahre wenigstens teilweise nachzuholen, wurde im Geschäftsjahr 2022 eine ausserordentliche Abschreibung von 800’000 Franken vorgenommen, was zum Jahresverlust von knapp 950’000 Franken führte.

Bald 40 Jahre nach dem Bau sollte das Museumsgebäude also inzwischen fast abgeschrieben sein, in der Bilanz ist es aber immer noch mit rund 2,5 Millionen Franken verbucht – und führt jedes Jahr zu den erwähnten finanziellen Belastungen. Früher waren das Büro von Appenzellerland Tourismus und ein Laden/Kiosk eingemietet, später kam eine Bankfiliale dazu, was die Ausgaben für das Gebäude abfederte. Doch seit deren Auszug vor mehreren Jahren befindet sich darin nur noch das Museum. Und da es in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen steht, ist die Integration eines kommerziellen Geschäfts als Mieter praktisch ausgeschlossen.

Zudem würden nun diverse Investitionen ins Gebäude anstehen, sagt Lehmann. Die technischen Installationen sind in die Jahre gekommen, Alarm- und Brandmeldeanlage brauchen eine neue Bewilligung und müssen nächstes Jahr ersetzt werden, denn es gibt einzelne Ersatzteile gar nicht mehr. Ähnliches gilt für den Lift. Und der energietechnische Zustand des Gebäudes verursacht höhere Kosten im Betrieb. Diese Investitionen zu finanzieren sei das eine. Doch ob es vor dem Hintergrund diverser Unwägbarkeiten überhaupt Sinn mache, Geld in die Hand zu nehmen, sei eine andere Frage.

Was passiert mit der Schaukäserei?

Denn ein weiterer Faktor für die Schliessung des Appenzeller Volkskunde-Museums ist die ungewisse Zukunft der Appenzeller Schaukäserei, die sich gleich neben dem Museum befindet. Diese hat ebenfalls Handlungsbedarf: Gemäss Geschäftsführer Ralph Böse müssen die Käsereianlagen aus dem Jahr 1993 komplett saniert werden, ausserdem ist die Küche in die Jahre gekommen und das ganze Gastronomieangebot stösst an seine Grenzen. «Wenn wir richtig investieren wollen, müssen wir uns so aufstellen, dass es langfristig funktioniert, also dass wir für die nächsten 30 bis 40 Jahre betriebswirtschaftlich auf einen guten Stand kommen und Geld verdienen können», sagt er.

Deshalb laufe derzeit die Arealentwicklung, an der neben der Schaukäserei und dem Museum auch der Kanton und die Gemeinde beteiligt sind. Sie soll aufzeigen, was dort möglich wäre und für welche Ideen es allenfalls auch Umzonungen brauche. Ein Umzug stehe jedoch «aktuell nicht im Fokus», sagt Böse. Man sei an einer weiteren Zusammenarbeit und Entwicklung mit dem Museum am Standort Stein sehr interessiert und daher gemeinsam in der Arealentwicklung engagiert.

Das Museum ist in einem Baurecht von 100 Jahren auf dem Grundstück der Schaukäserei errichtet worden. Was die Zukunft von Museum und Schaukäserei angeht, könne man sich auch ganz neue Lösungen mit Erweiterungs- und Neubauten vorstellen, hört man aus dem Umfeld des Museums. Charles Lehmann betont, er wolle sich aktuell zu den Plänen der Schaukäserei nicht äussern. Es seien verschiedene Fragen offen, die man miteinander diskutiere. «Die zentrale Frage ist, wie unsere Zukunft je nach getroffenen Entscheidungen aussieht.»

Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben

Lehmann macht keinen Hehl daraus, dass er sich ein Bekenntnis des Kantons wünschen würde – sowohl bei der Arealentwicklung als auch bei den Fördergeldern. Der Beitrag aus der Leistungsvereinbarung wurde für die Periode 2022–2025 um 22’500 Franken auf 160’000 Franken jährlich gekürzt. Grund dafür ist die Begrenzung des kantonalen Beitrags auf maximal das Zehnfache des Beitrags der Gemeinde, und Stein zahlt 16’000 Franken an das Museum (2023 und 2024 waren es ausnahmsweise 19’000 Franken) – so wenig wie keine andere «Museumsgemeinde» im Kanton. «Wir haben immer betont, dass der verwendete Schlüssel für die jährliche Entschädigung aus der Leistungsvereinbarung der Grösse des Museums, den angebotenen Aktivitäten, den Öffnungszeiten, den Besucherzahlen, dem Unterhalt eines eigenen Gebäudes und so weiter nicht gerecht wird. Unsere Argumente konnten leider nicht überzeugen.»

In dieselbe Kerbe schlägt Stefan Sonderegger, Präsident der Stiftung für appenzellische Volkskunde. Ihr gehören rund drei Viertel der Ausstellungsstücke im Museum. Der Historiker ist ausserdem Präsident des Museums Heiden sowie der Steinegg-Stiftung, die kulturelle Institutionen hauptsächlich in Ausserrhoden unterstützt. Sonderegger spricht von einer «mangelnden Wertschätzung» des Kantons gegenüber den Museen. Die Fördergelder – dem Amt für Kultur stehen seit 2015 jährlich 1,55 Millionen Franken zur Verfügung, die sich immer mehr Kulturinstitutionen aufteilen – seien «zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben». Bei der Verteilung der Gelder komme die Kultur zu kurz, etwa im Vergleich zum Strassenbau, der extrem viel Geld verschlinge.

Glen Aggeler sieht das ähnlich. Er ist Gemeinderat und «Kulturminister» von Herisau sowie von Amtes wegen Vorstandsmitglied des Museums Herisau. Der Kanton müsse der Kultur besser Sorge tragen. «Wir müssten uns dazu bekennen, dass uns die Kultur und das Kulturerbe etwas wert sind, und die Fördergelder dafür erhöhen», sagt der Mitte-Kantonsrat. Er habe schon im vergangenen Jahr bei der Budgetberatung eine Erhöhung dieser Gelder angeregt. Sollte sich im Budget 2025 nichts daran ändern, werde er nochmal aktiv.

Für das Appenzeller Volkskunde-Museum geht es erstmal darum, die zugesprochenen Gelder zu sichern. Die Frage, ob der Beitrag aus der Leistungsvereinbarung aufgrund der Schliessung allenfalls gestrichen wird, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden, sagt Ursula Steinhauser, Leiterin des kantonalen Amts für Kultur. Denn die Schliessung bedeute nicht automatisch einen Wegfall aller Leistungen des Museums. So schaue das Appenzeller Volkskunde-Museum weiterhin zum Kulturgut, auch wenn dieses temporär nicht öffentlich zugänglich sei. Die Verwaltung müsse nun aber darlegen, wie sie den Betrieb künftig weiterführen wolle und welche Arbeiten und Angebote während der Schliessung geplant sind.

Steigende Personalkosten

Die finanziellen Probleme, zu denen das Museumsgebäude wesentlich beiträgt, sind aber nur ein Teil der Wahrheit. Ein anderer Teil sind die Personalkosten, die in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben. 2022 lagen sie auf einem Rekordhoch von rund 310’000 Franken. 2021 wurden sie noch mit knapp 230’000 Franken ausgewiesen, hinzu kam ein Betrag von circa 38’000 von der Arbeitslosenversicherung infolge der Coronapandemie.

Die Rechnung für das Geschäftsjahr 2023 liegt noch nicht vor, aber die Personalkosten dürften ähnlich hoch sein: Caroline Raither-Schärli, die seit Februar 2023 in einer Doppelfunktion als Museumsleiterin und Kuratorin im Amt ist, arbeitet in einem 80-Prozent-Pensum, ihre Vorgängerinnen, die beiden Co-Leiterinnen Kathrin Dörig (Marketing, PR, Administration) und Nathalie Büsser (Kuratorin), arbeiteten jeweils 30 Prozent. Bei Dörig und Büsser seien Erhöhungen vorgesehen gewesen, sagt Lehmann.

Das Pensum der Stellvertreterin der Museumsleiterin, die nun auch für Administration und Marketing zuständig ist, wurde von 60 auf 80 Prozent angepasst und der Lohn für diese Stelle aufgrund des neuen Jobprofils erhöht. Es wurde zudem ein Abwart in Teilzeit eingestellt. Und Ende 2022 wurde neu die Stelle der Leitung Finanzen und Personaladministration, die auch Einsätze am Empfang und an Wochenenden beinhaltete, geschaffen – eine Vollzeitstelle, die bis dahin ebenfalls bei der stellvertretenden Museumsleiterin angesiedelt war.

Neue Stelle mit Tochter des Verwaltungspräsidenten besetzt

Diese Stelle wurde nicht ausgeschrieben, sondern kurzfristig mit Charles Lehmanns Tochter besetzt. Sie wurde von der Verwaltung bewilligt. Die vorherige Teamleiterin, die von November 2021 bis Januar 2022 interimsweise auch die Museumsleitung innehatte, hatte ordentlich auf Ende November 2022 gekündigt, war im November aber ferienhalber mehrheitlich weg, Lehmanns Tochter trat ihre Stelle am 1. Dezember 2022 an. Man habe in der Phase einer Vakanz sowohl in der Museumsleitung als auch in der Administration eine schnelle Lösung gebraucht, sagt Lehmann. «Es ging darum, den Betrieb sicherzustellen sowie das Know-how zu sammeln und auf die neue Führung zu übertragen.»

2023 seien zudem einige Aufgaben mit viel Aufwand angestanden wie Umstellung auf neues Buchhaltungsprogramm, die Anpassung des Kontenplans auf den gültigen KMU-Standard oder die Umstellung auf nur noch ein Kassensystem für Museum und Shop. Zudem sei der Jahresabschluss 2022 auf dem Programm gestanden. Die Buchhaltung habe mehrere Monate nachbuchen und vieles korrigieren müssen. «Dies brauchte viel Arbeitskapazität und Fachwissen.»

Vorwärtsstrategie hat nicht funktioniert

Doch wie war dieser Anstieg der Personalkosten zu verantworten, gerade auch im Wissen um die finanzielle Lage und die Unsicherheiten bezüglich der Zukunft? Dafür gebe es verschiedene Gründe, sagt Finanzfachmann Charles Lehmann. Zum einen habe man schon länger bemängelt, dass 30 Prozent für das Kuratorium eines Museums dieser Grösse zu wenig seien. Zum anderen habe man versucht, mit einer Vorwärtsstrategie das Museum attraktiver zu machen und so auch die Einnahmen zu erhöhen. «Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass wir das nicht geschafft haben.» Dafür habe das Museum mit Caroline Raither-Schärli eine kompetente Museumsleiterin und Kuratorin gewonnen, das bestätigten auch Besucher:innen und Geldgeber:innen, die sie mit ihren Konzepten überzeugt habe.

Das Amt für Kultur des Kantons Appenzell Ausserrhoden habe schon bei einem früheren Treffen mit dem Verwaltungspräsidenten und der Geschäftsführung seine Sorge über die finanzielle Situation des Museums zum Ausdruck gebracht und eine Reduktion der Personalkosten vorgeschlagen, sagt Leiterin Ursula Steinhauser. Passiert ist aber das Gegenteil. Zu diesem Thema sei viel diskutiert worden, sagt Lehmann. Einigkeit habe in dem Punkt geherrscht, dass das Kuratorium zu gering dotiert gewesen sei.

Zum Vergleich: Das Museum Herisau als Kulturhistorisches Museum des Kantons Appenzell Ausserrhoden beschäftigt einzig einen Kurator im 60-Prozent-Pensum. Die Räumlichkeiten im Alten Rathaus bekommt es von der Gemeinde Herisau kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Depot sorgt aber auch hier für ein strukturelles Defizit von rund 20’000 Franken jährlich, trotz der 140’000 Franken, die das Museum infolge der Leistungsvereinbarung vom Kanton bekommt, und der 3’000 Franken der Gemeinde. Der Vergleich mit dem Museum Herisau hinke gewaltig, sagt Lehmann, alleine schon wegen der Öffnungszeiten, der Ausstellungsfläche, der Aktivitäten oder der deutlich geringeren Besucher:innenzahlen.

Vierjährige Planung für kantonales Museums auf Eis gelegt

Grosse Hoffnungen setzten die Appenzeller Museen in das Projekt «Kristall», das der Kanton 2019 aufgrund einer Anregung aus einem der Museen lanciert hatte. Kern dieses Projekts war die Frage, ob es – insbesondere unter Einbezug oder gar einer Fusion der Museen in Herisau und Stein – ein kantonales oder ein «kantonsnahes» Museum geben soll inklusive zentralem Depot für alle Museen, wobei die Standortfrage noch bewusst offengelassen wurde.

Doch nach vierjähriger Planung und einer Machbarkeitsstudie legte der Regierungsrat das Projekt im vergangenen Sommer ergebnislos ad acta. Die Begründung: Es fehle die gesetzliche Grundlage, damit der Kanton eine museale Institution führen könne. Etwas, was man zweifellos zu Beginn des Prozesses hätte feststellen müssen und nicht erst nach vier Jahren. Stiftungspräsident Stefan Sonderegger spricht denn auch von einem «Scheinargument».

Aufgrund der Erkenntnisse aus «Kristall» habe der Regierungsrat dafür im Regierungsprogramm 2024–2027 das Thema Kulturerbe in den Fokus gestellt, sagt Ursula Steinhauser vom Amt für Kultur. «Es ist die Absicht des Regierungsrates, in einem ersten Schritt strategische Grundlagen für ein koordiniertes Agieren zu legen, etwa in Form einer Kulturerbe-Strategie. Bevor diese strategischen Arbeiten nicht fortgeschritten sind, beabsichtigt der Regierungsrat im Museumsbereich nicht zusätzlich zu den bereits bestehenden unterstützenden Massnahmen aktiv zu werden.» Die Museen im Kanton seien privatrechtliche und eigenständige Institutionen, die Einflussmöglichkeiten des Kantons folglich gering. «Es ist die Aufgabe der Museen, ihre Betriebe entsprechend zu führen.»

Kehrtwende des Kantons verärgert Museen

Bei den Museen kam die 180-Grad-Wende des Kantons allerdings überhaupt nicht gut an. «Die Richtung erst 2027 bekanntzugeben, gibt allen Museen weder Perspektiven noch Planungssicherheit und kommt zu spät», sagt Charles Lehmann. Er ist nicht der Einzige, der Kritik an diesem Entscheid übt und fordert, der Kanton müsse seine Verantwortung wahrnehmen und darlegen, wie er mit den Museen fortfahren wolle. Von einer «grossen Enttäuschung» spricht auch Ingrid Brühwiler, Präsidentin des Museums Herisau. Dieses wandte sich Ende 2023 mit einem Schreiben an den Regierungsrat und wollte wissen, wie es jetzt weitergehe.

Auch die Gemeinde Herisau reagierte mit einem Schreiben und zeigte sich gemäss Glen Aggeler irritiert über das Vorgehen der Regierung, aber auch über Signale, wonach im Hintergrund Gespräche stattgefunden hätten zwischen der Regierung und «Stein» – ob Museum oder Gemeinde, ist unklar. «Der Gemeindepräsident und ich haben darauf hingewiesen, dass sich der grösste Teil der Kulturschätze im Depot des Museums Herisau befindet, und wenn weitere Bestrebungen für einen kantonalen Standort laufen, man Herisau berücksichtigen soll», sagt Aggeler. Man habe sich auch nach dem weiteren Vorgehen erkundigt.

Solche Fragen wird die Regierung nun öffentlichkeitswirksam beantworten müssen, denn infolge der Schliessung des Appenzeller Volkskunde-Museums ist «Kristall» zu einem Politikum geworden. Die beiden FDP-Kantonsratsmitglieder Sandra Nater – die ehemalige Leiterin des Appenzeller Volkskunde-Museums – und Lukas Scherrer reichten Ende Februar die Interpellation «Förderung der Museen im Kanton Appenzell Ausserrhoden» ein. Sie stellten Fragen unter anderem zur Museumsförderung, der finanziellen Situation der Ausserrhoder Museen oder zum Nutzen und den Kosten von «Kristall».

Pläne über den Haufen geworfen

Die Schliessung des Appenzeller Volkskunde-Museums ist auch aus einem anderen Grund überraschend. Schon an der Genossenschaftsversammlung vom vergangenen Juni hatte Charles Lehmann eine Analyse der Situation und mögliche Massnahmen zur Linderung der Probleme präsentiert. Diese beinhalteten unter anderem auch einen Verkauf der Liegenschaft, eine Schliessung des Museums oder gar eine Liquidation der Genossenschaft. Man habe alle diese Varianten grob geprüft, aber letztlich verworfen, sagte er damals.

Stattdessen stellte er zwei andere Lösungsansätze vor: Plan A sah die Neupositionierung des Museums vor, Plan B dessen Reduktion auf «ein reines Dokumentations-/Interpretations-/Besucherzentrum und Depot für Kulturgüter». Plan B hätte bedeutet, dass es keine Kuration, keine neuen Ausstellungen und keine Aktivitäten mehr geben würde und das Museum nur noch sporadisch geöffnet wäre – eine «Notlösung», die man nur ergreifen wolle, wenn Plan A nicht gelinge. Verwaltung und Genossenschaft priorisierten Plan A.

Offenbar kam man nun zur Erkenntnis, dass Plan A unter den gegebenen Voraussetzungen und mit allen Unsicherheiten doch nicht realisierbar ist. Doch warum kommt jetzt nicht Plan B zum Zuge? Warum reduziert man den Museumsbetrieb nicht wenigstens temporär auf ein Minimum, um im Hintergrund die Neupositionierung voranzutreiben und die Weichen für die Zukunft – wie auch immer sie aussehen mag – zu stellen? «Das Ziel ist jetzt, weitere Verluste zu reduzieren, der Betrieb gemäss Plan B würde diese jedoch produzieren», begründet Charles Lehmann. Oder wie es in der Medienmitteilung hiess: «Die fehlende finanzielle Stärke unserer Genossenschaft lässt uns keine anderen Möglichkeiten.»

Auch für einen reduzierten Betrieb brauche es Empfangs- und weiteres Personal, sagt Lehmann. Auch die übrigen Betriebskosten könnten nur durch die Schliessung reduziert werden, nicht durch Plan B. Ausserdem müssten dann die beiden gekündigten Stellen in der Administration – oder zumindest eine davon – neu besetzt werden, und dafür fehle aktuell die Finanzierung. Und in dieser Lage Personal einzustellen sei unverantwortlich.

Schliessung kein Druckmittel gegenüber dem Kanton

Doch auch ein geschlossenes Museum generiert aufgrund der Liegenschaft hohe Kosten, ausserdem wird Caroline Raither-Schärli während der Schliessung in ihrem Pensum weiterarbeiten und ein Konzept für eine Neuausrichtung erstellen. Wer sich in dieser Zeit um die Buchhaltung und Lohnadministration kümmern wird, ist gemäss Lehmann zum aktuellen Zeitpunkt unklar, aber das sei ein lösbares Problem. «Vielleicht hätten wir das Museum schon früher schliessen sollen. Den richtigen Zeitpunkt zu finden, ist immer schwierig.»

Lehmann streitet ab, dass die Schliessung ein Druckmittel gegenüber dem Kanton sein soll, mehr Gelder zu erhalten. «Sie ist die Folge unserer Verantwortung als Verwaltung. Wenn wir die Löhne nicht mehr zahlen können, bleibt uns keine andere Wahl.» Dass sich die Szenarien innerhalb weniger Monate so stark geändert haben, wirft allerdings kein gutes Licht auf die Verwaltung.

Viele Wechsel in Leitungspositionen

Das Appenzeller Volkskunde-Museum hatte seit ein paar Jahren auch mit personellen Turbulenzen zu kämpfen. Es gab viele Wechsel, allein schon in den Leitungspositionen von Museumsteam und Verwaltung. Nach dem Abgang von Sandra Nater (2006 bis Ende 2021) gab es kaum noch Kontinuität in der Museumsleitung.

Kathrin Dörig trat im Februar 2022 die Stelle als Co-Leiterin des Museums an, gemeinsam mit Nathalie Büsser, die seit 2018 als Kuratorin arbeitete. Dörig kündigte bereits per Ende Oktober wieder, Büsser auf Ende November. In der Mitteilung hiess es, zur Trennung sei es gekommen «aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die künftige inhaltliche und strukturelle Ausrichtung des Museums sowie die personelle Situation». Hinter dieser Aussage verberge sich viel mehr, sagt Kathrin Dörig im Gespräch.

Verwaltung mischt sich ins operative Geschäft ein

Zum einen habe die Trennung von strategischem und operativem Geschäft nicht funktioniert. Einzelne Verwaltungsmitglieder hätten sich immer wieder – und offenbar schon vor ihrem Amtsantritt – in operative Museumsbelange eingemischt, was insbesondere die Kuration betroffen habe. Deswegen sei es zu Reibereien gekommen. Ein Problem, das der Verwaltung offenbar bekannt war: Im Geschäftsbericht 2021 heisst es: «Die Verwaltung war durch die personellen Vakanzen auch gezwungen, stark operativ tätig zu sein, was nicht das Ziel sein kann. Strategische und operative Aufgaben sind klar zu trennen, und die Verantwortung dazu den richtigen Gremien zuzuteilen.» Diese Aussage steht unverändert auch im Geschäftsbericht 2022.

Zum anderen habe die Verwaltung extern zwar die Co-Leitung kommuniziert, diese intern aber nicht gelebt und auch ein entsprechendes Organigramm nicht verabschiedet, sagt Dörig. «Man hat mich als alleinige Geschäftsleiterin behandelt, Nathalie bekam teilweise Infos oder Einladungen zu Sitzungen gar nicht persönlich.» Dörig räumt ein, dass die Zusammenarbeit der beiden Co-Leiterinnen nicht immer unproblematisch gewesen sei, was jedoch auch mit ungeklärten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu tun gehabt habe – auch zwischen Verwaltung und Co-Leitung. Auch eine Aussprache mit der Verwaltung habe diese Probleme nicht gelöst. Irgendwann habe sie keine Zukunft im Museum mehr gesehen.

Charles Lehmann relativiert diese Aussagen: Es sei klar, dass bei einem als Genossenschaft organisierten Museum die Verwaltung als strategisches Organ beispielsweise bei einer neuen Ausstellung ein Konzept inklusive Budget und Terminen einfordern dürfe, ja sogar dazu verpflichtet sei, weil es ihr Kerngeschäft sei. Schliesslich trage sie die Verantwortung für das Unternehmen. Dies sei auch bei einem Museum Standard.

Museum will in einem Jahr wiedereröffnen

Charles Lehmann hofft, dass das Appenzeller Volkskunde-Museum etwa in einem Jahr seine Türen wieder öffnen wird. Bis dahin wird Museumsleiterin Caroline Raither-Schärli in Zusammenarbeit mit der Verwaltung ein Konzept für eine Neuausrichtung erarbeiten. Dieses soll aufzeigen, «in welcher Art, Form, Grösse, mit welchen Schwerpunkten in Inhalt und Vermittlung usw. das Volkskunde-Museum in Zukunft nachhaltig bestehen kann», heisst es in der Medienmitteilung. Ob in einem Jahr die offenen Fragen bezüglich der Arealentwicklung in Stein geklärt sind, ist offen.

Schon seit einigen Jahren gab es die Idee, die Dauerausstellung, die fast so alt ist wie das Museum selbst, etwas aufzufrischen und zu modernisieren. Raither-Schärli bezeichnet sie als «gut gealtert», Kathrin Dörig als «verstaubt». Einig sind sich die aktuelle und die ehemalige Leiterin darin, dass das Museum punkto Vermittlung Modernisierungsbedarf aufweist, Stichworte: Digitalisierung, Mehrsprachigkeit. Stiftungen hätten dafür bereits ihre finanzielle Unterstützung zugesagt, doch das nütze nicht viel, wenn man das aufgrund mangelnder Finanzen oder ungewisser Zukunft nicht umsetzen könne, sagt Raither.

Stefan Sonderegger wünscht sich, dass das Appenzeller Volkskunde-Museum den Rank findet und in absehbarer Zeit wieder öffnet. «Es ist das Fenster für unsere Objekte. Durch die Schliessung des Museums ist auch das Fenster nun geschlossen.» Sonderegger und Kathrin Dörig befürchten jedoch, dass mit der Schliessung und den damit einhergehenden Kündigungen auch viel Wissen verloren gehen werde. Denn ob die teilweise schon älteren Personen, die beim Käsen, beim Weben oder an der Stickmaschine gearbeitet haben, bei einer Neueröffnung zurückkehren und das Wissen weitergeben würden, ist fraglich. Diese Sorge sei berechtigt, sagt Charles Lehmann. «Aber ich bin guter Hoffnung, dass wir diesbezüglich eine Lösung finden werden.»

2 Kommentare zu Ein Museum kämpft ums Überleben

  • Jeannette Ackermann sagt:

    ich bin ehemalige Weberin vom Museum Stein
    was fast niemand weiss ist Folgendes : im Museum Stein lagert seid Februar 2022 ein zerlegter Gschirrliwebstuhl! Ist ja auch Kulturgut ! Ist wahrscheinlich der 2- letzte( auf dem Titelbild vom Buch von Regula Buff über die Blattstichweberei ersichtlich ) , also schon wertvoll und sollte dringend wieder aufgestellt werden ! Ist der Ursprung der Blattstichweberei, als Nachfolger kam der Jacquardaufsatz ( wie im Museum ), womit man viel mehr Möglichkeiten hatte und die Blattstichweberei seinen Höhepunkt erreichte.
    Die Missstände im Museum Stein sind ja nicht neu und viele gute Mitarbeiter mit viel Wissen haben darum das Museum verlassen. Dies ist zu einem späteren Zeitpunkt schwierig wenn überhaupt unmöglich wieder aufzubauen ! Schade, waren wir doch mit viel Herzblut dabei !
    Ich glaube, ohne einen rigorosen Wechsel in der Chefetage kommt es nicht gut, fehlt doch auch das Verständnis und Freude an der textilen Geschichte vom Kanton! Für mich war das das Herzstück vom Museum, aber genau dort wurde rigoros gespart und reduziert mit den Vorführungen. Schade !!

  • Ich war die Stickerin . Ich bin masslos enttäuscht .so etwas kann niemand begreifen , dass man ein Museum schliesst .bin mit Freuden dabei gewesen wenn Besucher kamen.und die meisten blieben stehen wenn die Stick Maschine in betrieb war , und wenn fadenwechsel anstand ,liefen sie weiter ,aber sie kamen wieder . Ein lebendiges Museum ist viel interessanter als ein totes.

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