Ein leergeräumter Platz – ohne Orientierungspunkte
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Zweimal sagte die Bevölkerung in Abstimmungen Nein zur Marktplatz-Neugestaltung. Und auch der im dritten Anlauf genehmigte Vorschlag steckt jetzt seit bald drei Jahren fest. Denn es klemmt unter anderem bei der Frage, ob auf dem Platz ein neuer zentraler Marktpavillon gebaut werden soll oder nicht. Ein erster Vorschlag bekam nach der Weiterbearbeitung ein voluminöses Dach. Das wollten die Marktleute nicht – vor allem weil die Mieten zu teuer würden.
Inzwischen dreht das Projekt weiter seine Runden. In Sitzungen mit teils über 20 Teilnehmenden ist es schwierig, Lösungen zu finden, mit denen sich alle einverstanden erklären können. Und dies nicht nur in der Frage der Marktstände. Auch die Gestaltung der künftig nach Westen verschobenen Haltestelle des öV, der zum Bahnhof fährt, löst lange Gestaltungsdiskussionen aus.
Identifikationspunkt oder Allerweltsplatz?
Dass unter solchen Bedingungen ein neuer Marktplatz entstehen kann, dessen Gestaltung zum grossen Wurf wird, ist eher unwahrscheinlich. Zu befürchten ist, dass ein «Allerweltsplatz» entsteht, wie man ihn auch in irgendeiner anderen Stadt finden kann – seriös schweizerisch durchgeplant, auf alle «Anspruchsgruppen» ein bisschen Rücksicht genommen und bis in den letzten Kurvenradius austariert.
Doch so droht jenes städtebauliche Merkmal zu verschwinden, das Passant:innen meist unbewusst wahrnehmen: einen ortstypischen Identifikationspunkt. In den Dörfern sind das mitunter markante Einzelgebäude, aber es können auch bescheidene Brunnen sein. Auf dem St.Galler Marktplatz ist es seit 70 Jahren die Rondelle mit ihrem fliegenden Dach, eine typische Vertreterin des 50er-Jahre Stils. Hier macht man ab, hier trifft man sich und dort gibts erst noch die Verpflegung für den kleinen Hunger.
Wenn die Diskussionen um die Neugestaltung so episch wird, dass am Schluss eine Kompromisslösung mit wenig gestalterischer und städtebaulicher Kraft entstehen kann, warum dann nicht einfach die Rondelle erhalten oder etwas verschieben? Das fragten Karin Winter-Dubs (SVP) und Gallus Hufenus (SP) in einer gemeinsam eingereichten Anfrage den Stadtrat im März.
Nein, nein, nein und nochmals nein – gibt der Stadtrat in seiner Antwort Ende Juni zurück. Zwar räumt er ein, dass die neuneckige Kleinbaute – 1951 vom nachmaligen Stadtbaumeister Paul Biegger entworfen – eine «typologische Sonderstellung» und «architektonische Qualitäten» habe, dass die Rondelle aber kein Denkmalschutzobjekt ist.
Im dritten Anlauf zur Marktplatz-Neugestaltung war es den Architekten freigestellt, ob sie die Rondelle erhalten oder nicht. Das Siegerprojekt will sie weghaben. Und so sehe der Stadtrat keine Möglichkeit, sie zu erhalten. Eine Verschiebung wäre wohl auch mit grösseren Problemen verbunden. Denn es sei unklar, ob sich der filigrane Leichtbau ab- und wieder aufbauen liesse. Komme hinzu, dass der Bau einen abgetreppten Boden hat, der sich der Neigung des Markplatzes anpasst. Ausserdem bräuchte es an einem neuen Standort auch einen neuen Keller.
Und dann bringt der Stadtrat ein Killerargument: Eine Umplatzierung würde eine Baubewilligung voraussetzen, und diese müsste verlangen, dass das Energiegesetz eingehalten wird. Also müsste man die Rondelle dämmen. Das aber könnte die filigrane Erscheinung beeinträchtigen und von den heutigen inneren Standflächen von je rund 5 Quadratmeter ginge Platz verloren. Die einzelnen Stände seien schon heute zu klein, um darin wirtschaftlich zu arbeiten, zitiert der Stadtrat die Marktleute.
Freie Sicht aufs öV-Meer
Dem Stadtrat entgegenzuhalten, dass es vielleicht eine Möglichkeit gibt, die Isolationsvorschriften mit einer Ausnahmebewilligung zu mildern, oder dass er es – mit einer Schutzverfügung – selbst in der Hand hätte, dieses Unikat zu erhalten, all das scheint zwecklos. Und dass bei bautechnischen Problemen die im Bauarchiv erhaltenen Originalpläne mit allen Massangaben helfen würden, scheint ebenfalls kein Argument sein.
Für das Marktplatz-Siegerprojekt habe man sich entscheiden, weil ein grosszügiger freier Platz zwischen Marktgasse, Marktplatz und Bohl entstehen werde, der die Nord-Süd-Blickachse öffne. Eine freie Sicht, die allerdings angesichts der vielen vorbeifahrenden Busse und der Appenzeller Bahn nur auf dem Plan funktionieren wird. Ausräumen, Freiräumen und Entrümpeln hat immer auch den Nachteil, dass Orte mit Merkpunkten verschwinden, von denen alle gleich wissen, wo sie hinmüssen, wenn sie als Treffpunkt «die Rondelle» abgemacht haben.
Schliesslich sagt der Stadtrat auch nein zu den von den beiden Parlamentsmitgliedern vorgeschlagenen Alternativstandorten Stadtpark, Kreuzbleiche oder Bahnhof Nord. Nur ein kleiner, wohl unrealistischer Trost steht in der Antwort: «Der Stadtrat wird sich einer privaten Initiative zur Weiternutzung der Rondelle nicht verschliessen.»