Ein düsteres Liedchen

Wenn noch einmal jemand sagt, Regen und Schlamm gehöre zum Openair St.Gallen einfach dazu, dann soll man ihm vielleicht nicht ins Gesicht spucken und ihn mit Schimpf und Schande aus der Stadt prügeln und auf Lebenszeit verbannen. Aber ein paar Gewaltphantasien darf man ruhig durchspielen. Denn Regen und Schlamm nerven auch am St. Galler gewaltig. Besonders am ersten Tag, wenn die Schlammgrundlage für die restlichen Tage schon einmal gelegt wird.
Hopes and Venom können ein düsteres Liedchen davon singen. Das Duo hat mit seinem Postrock vor zwei Jahren beim BandXost den zweiten Preis ergattert. Jetzt durften sie parallel zur englischen Band Nothing but Thieves das Festival eröffnen. Die besten Intentionen wurden ersäuft, als pünktlich zum Konzertbeginn ein Platzregen losging, der zur Durchquerung Kiemen erfordert hätte. Die meisten suchten Unterschlupf, vor der Bühne tummelten sich nur die üblichen zwanzig wagemutigen Verdächtigen. Hören konnte man die Band auch nur ein paar Meter weit, weil das errichtete Zeltdorf unter den schweren Tropfen trommelte wie ein gigantischer Hippie-Trommelkreis.
Das Gelände war in der Folge nur noch für gestiefelte Katzen und Kater einigermassen sicher zu begehen. Ins Zelt der Sternenbühne konnte man beispielsweise nur gelangen, wenn man vorher einen Sumpf durchwatete, der bis zu den Knöcheln ging. Für die Schadenfroheren war es natürlich ein grosses Vergnügen, zu beobachten, wie einem nach der anderen die Füsse gen Himmel rutschten und sich das Gesäss in die entgegengesetzte Richtung senkte. Auch der Aufenthalt im Zelt wurde zur Rutschpartie auf extrem engem Raum. Denn Fettes Brot zog.
Sie sorgten für das erste grosse Highlight am Festival. Ein erstes Mal Rap. Und klar: Man hatte trotz widriger Umstände Spass. Aber eben nur, wenn man festen Grund fand oder sich bei schlechterem Standpunkt so zugedröhnt hatte, dass einem eh alles egal war. Das Zelt war zu klein für die Band. Weil rundherum unbegehbarer Matsch war, drängte sich das Volk noch enger. Man will sich nicht ausmalen, was bei einer Panik passiert wäre. Dazu kam es nicht: Als das Brot zum Abschluss noch die ganz grossen Hits auftischte, war die Stimmung ein erstes Mal so, wie man das vom Festival kennt und wie man es sich für die nächsten Tage erhofft.
Gramatik, der in den USA lebende slowenische Nu-Jazz-Produzent, lieferte im Anschluss auch eine durchaus solide Show. Aber er wurde den hohen Erwartungen nicht wirklich gerecht. Vielleicht war es der Platzmangel, der allzu grosse Ausgelassenheit verhinderte. Oder eben die rutschige Unterlage. Oder einfach die Tatsache, dass Fettes Brot dem Publikum derart eingeheizt hatten, dass es für den DJ einer Gewaltleistung bedurft hätte, ebenso anzustacheln. Aber Gramatik markierte natürlich den passenden Übergang zu den Afterparties in den verschiedenen Zelten.
Heute Freitag werden grössere Menschenmassen aufs Gelände pilgern. Hoffentlich reicht ein Sonnentag aus, um einige der besonders prekären Matschlöcher in einigermassen begehbaren Zustand zu trocknen. Dann steht einem grandiosen zweiten Tag nichts im Weg. Denn die Sonne scheint! Am Openair St. Gallen! Und das ist gut so, ihr Regenfetischdeppen!