Eiertanz um Entschädigung
Erhalten die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen eine Entschädigung? Das Beispiel St.Gallen zeigt: Der Weg dorthin ist dornenvoll.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat sich an einem Gedenkanlass bei den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen «aufrichtig» entschuldigt. Es flossen Tränen. Doch was ist mit einer handfesten Wiedergutmachung? Mit finanziellen Entschädigungen?
Solche sind im neuen Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen nicht vorgesehen. Der Entwurf, der vorliegt, sieht eine historische Aufarbeitung, Aktensicherung sowie Akteneinsicht vor. Das Gesetz wurde dank eines Vorstosses von SP-Ständerat Paul Rechsteiner erarbeitet.
Damit liegt der Erlass auf der Linie bisheriger Rehabilitierungen. Auch bei den zu Unrecht verurteilten Fluchthelfern im Zweiten Weltkrieg sowie bei den Spanienkämpfern wurde auf eine Entschädigung verzichtet. Die Geschäfte hätten sonst politisch keine Chance gehabt. Rehabilitierung light. So ist es auch diesmal.
Oder doch nicht? Betroffene inistieren auf einer Entschädigung und verweisen aufs Ausland, das bei Opfern weit weniger knausrig ist als die Schweiz. Der «Beobachter» listet auf: Schweden entschädigte fremdplatzierte Opfer mit je rund 37’000 Franken, Kanada leistet mit vorerst 9’000 Franken pro Person Wiedergutmachung an zwangsversorgten Kindern, und Irland stellt gar einen Milliardenbetrag für die in kirchlichen und staatlichen Heimen misshandelten Kinder bereit.
Auch der Kanton St.Gallen musste für Versäumnisse schon zahlen. Zum Beispiel 1998 im Fall Mogelsberg. Im Kinderheim «Bild» in Ebersol hatte ein gewalttätiger Heimleiter über Jahre ein wahres Terrorregime aufgezogen. Er schlug, erniedrigte und betrieb sexuellen Missbrauch. Als die Sache aufflog, wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein Lokalfilz aus wegschauenden Behörden, ahnungslosen Medien und versagender Heimaufsicht hatte die gravierenden Missstände ermöglicht.
Die Entschädigungsfrage geriet zum politischen Trauerspiel. Die dreiundreissig Opfer verlangten eine Wiedergutmachung in Höhe von 890’000 Franken. Die St.Galler Regierung kürzte den Beitrag um mehr als die Hälfte, das bürgerliche Parlament stimmte trotz empörten Reaktionen zu. Gerechtigkeit muss möglichst billig sein. Auf den Heimskandal folgte ein politischer. Der höchste Betrag ging an einen Betroffenen, der über ein Jahrzehnt im Heim war: 22’000 Franken.
Das dunkle Kapitel Heim- und Verdingkinder ist noch nicht abgeschlossen. Zu gross ist die Zahl und das Leid von Jugendlichen, die auf Bauernhöfen Zwangsarbeit leisteten, und von Opfern autoritärer Sozialbehörden, die Unangepasste in Heime, Erziehungsanstalten und Kliniken stecken liessen. Immerhin haben Vertreter der damaligen «Täter» – Gemeinden, Kantone, Kirchen, Landwirte – gemeinsam bekundet, sich der Sache annehmen zu wollen.
Auch St.Galler Gemeinden gehörten zu den Tätern. Zum Beispiel Altstätten. Das Städtli bot 1969 Hand zur Versenkung der lebenslustigen Gina Rubeli, damals 17 Jahre alt. Sie wollte dem katholischen Mief entfliehen und verkehrte lieber im Hippielokal «Africana» in St.Gallen. Mutter und Sozialbehörden steckten sie erst in ein Heim, dann in die Psychiatrische Klinik Wil und später noch in den Frauenknast Hindelbank, obwohl sie nie ein Delikt begangen hatte. Sie ist heute 61 und muss mit dieser belastenden Geschichte zurechtkommen.
Der «Beobachter» der den Fall publizierte, konfrontierte den damaligen Sozialvorstand und CVP-Nationalrat Anton Stadler mit dem Fall. Er meinte, er habe sich nichts vorzuwerfen.
Ausstellung «Verdingkinder reden» noch bis 24. April im Historischen Museum St.Gallen