«Ehrlich gesagt habe ich schon Existenzängste»

In der Ausstellung «App’n’cell now» in der Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell geht es um Kunst – und in zwei Projekten auch um die Sichtbarkeit der Kultur und deren Finanzierung. Zu sehen und zu diskutieren noch bis Pfingstmontag.
Von  Gastbeitrag
Blick in die Pay-Wall-Installation in der Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell. (Bild: pd)

«App’n’cell now» zeigt seit November 2020 Arbeiten von rund 70 Künstlerinnen und Künstlern aus beiden Appenzell, in mehrfach wechselndem Turnus. Ziel ist es, die Kunstszene der Region in den Fokus zu rücken und zu vernetzen. Corona machte die Sache allerdings nicht leichter – im Januar und Februar blieben die Türen geschlossen.

«Ich war da für eine Dauer»

Wie ist – und wie bleibt – Kultur sichtbar? Dieser Frage geht das Performance-Projekt «ANWESENHEIT» der Choreografin Gisa Frank im Rahmen der Ausstellung nach. Seit Ausstellungsbeginn im November 2020 liessen sich in der Kunsthalle Ziegelhütte über 30 Performer:innen darauf ein, da zu sein für eine bestimmte Zeit.

Zur Finissage am Montag 24. Mai füllen sich die flüchtigen Felder mit Klang und Bewegung. Eine Aktion von frank-tanz produktion, zwischen 11 und 17 Uhr.

Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell

Still, als leibhaftige Skulptur, in Interaktion mit den Kunstwerken, dem Raum, den Menschen und Geräuschen, die kamen und gingen, auf einem eng begrenzten Feld waren sie präsent. Und hielten ihre Selbstbeobachtungen danach in Kurzform fest.

Ein paar Beispiele:

Ich war gar nicht da und doch…

Eine Stunde bin ich mit dem Pferd von Ursula Palla im ehemaligen Brennofenstollen mitgegangen. Ich habe versucht, mich den Tierbewegungen anzugleichen. Diese Lockerheit, die Welle, welche die Schritte im ganzen Körper auslösen – ein meditativer Flow. Eine Besucherin – ich realisierte, dass ich meine Anwesenheitsaura etwas stärker konturieren muss. Klänge aus der laufenden Musikprobe erreichte mich im kurzen, niederen, dämmrigen Stollen.

Ich bin da, sollte dort sein. Meine Gedanken wandern dahin. Sind dort, ganz da. Anwesenheit in Abwesenheit. Körperliche Empfindung: Mein kleiner Zeh juckt, er will sich bewegen.

Wie verändert sich meine Wahrnehmung, wenn ich im Kunstraum ein Feld abstecke und somit selbst zum Objekt der Beachtung, Betrachtung und Beurteilung werde? Reicht es dann einfach, da zu sein, zu betrachten, oder wird eine Leistung erwartet? Ich habe mit Objekten und Installationen gesummt, getönt, gesungen. Die Inszenierung fühlte sich nicht so frei an, als wenn ich die Grenzen weggenommen habe.

Enthusiasmus in verschachtelten Räumen. Aufgespannt sein zwischen Licht und roten Backsteinen.

Nach etwa 20 Min kam ein grosses Gefühl von Freiheit auf. Im eng umgrenzten Raum war plötzlich alles möglich: stehen – sitzen – liegen – gehen – Augen schliessen – bewegen – sprechen – Geissenglöckli läuten… und das auch in Anwesenheit von Besuchern. Wunderbar.

Stichworte aus den Umfrage-Antworten zur «Pay-Wall» in der Ziegelhütte. (Bild: pd)

Rechercheprojekt zu Kultur und Geld

Was ist Kunst wert? Wie kommt man als Kunstschaffende finanziell durchs Leben und über die Runden? Als Rechercheformat innerhalb der Ausstellung stellt das Projekt mit dem Titel «Pay-Wall» in der Kunsthalle Ziegelhütte Fragen rund um Kultur und Geld und die oft prekären Einkommensverhältnisse im Kulturbereich. Und sucht Antworten – unter anderem mit einer Umfrage, an der sich rund 50 Kunstschaffende aller Sparten beteiligt haben.

Eine der Fragen betrifft den Anteil der künstlerischen Arbeit am Einkommen im Verhältnis zu anderen Jobs. Die Antworten, hier anonymisiert, lauten zum Beispiel:

Hauptberuf. Einziger Beruf. Einziges Einkommen.

45 % künstlerische Arbeit, Verdienst im Jahr CHF 8400.
15 % Kursleiterin im Bildungswesen im Jahr CHF 12740.
Im Vergleich verdiene ich im Bildungswesen 4, 5 mal mehr als im künstlerischen Bereich.

Ich bin zu 100% Künstler, kann aber nur zu 10% davon leben. Ich mache Nebenjobs und putze Hotelzimmer. Von der Hand direkt in den Mund.

In meiner Theaterlaufbahn 100%. Dies ist mit Familie nicht mehr möglich und der Stellenwert ist von 100% auf 10% gesunken. Nur so kann ich die Familie stabil stützen. Vermögen konnte mit der Kunst nicht erspart werden.

Die künstlerische Arbeit hat einen grossen Anteil. Der finanzielle Anteil ist leider jedoch weniger gross. Das regelmässige Einkommen kommt aus anderen Jobs. Einkommen durch Kunst sehr unregelmässig und unzuverlässig. Mal einen Preis/Förderung oder Verkauf. Schwer zu sagen, wie das Verhältnis genau ist. Ich rechne das auch nicht aus. Bisher hat es einfach irgendwie immer gereicht.

Seit 23 Jahren habe ich das Glück meinen Lebensunterhalt ausschliesslich über meine künstlerische Arbeit zu finanzieren.

Kunst Lebensentwurf 100%
Kunst Einkünfte ca 50%

An der Finissage am Montag 24. Mai präsentiert die Sängerin und Projekt-Mitwirkende Joana Obieta erste Ergebnisse, visuell in Grafiken und akustisch in Form einer Sound-Text-Wolke: um 12.30 Uhr, 14 und und 15.30 Uhr.

pay-wall.org

Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell

Gefragt wurde auch nach den Emotionen, die mit Geld, Verdienst und sonstiger Wertschätzung verbunden sind. «Ehrlich gesagt habe ich schon Existenzängste», schreibt ein Umfrage-Teilnehmer, und eine andere: «Geld ist immer emotional, egal ob wir es uns mühsam mit einer anderen Tätigkeit erarbeiten müssen oder wir dankbar sein müssen, dass wir fremdfinanziert werden. Ich denke es wird emotionsloser, wenn man weiss, dass man angemessen kontinuierlich für seine Arbeit bezahlt wird.»

Schliesslich kommt in der Umfrage auch die Vision eines Grundeinkommens für alle zur Sprache: ein Modell, das eine Mehrzahl der Befragten positiv bis begeistert kommentierten.