Een Gesprek 1: Salut Brüssel, ça va?

Schauspielerin Jeanne Devos ist zurück in Brüssel, Tranche zwei ihres Artist in Residence-Stipendiums des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Vor Jahresfrist hat sie auf saiten.ch ihr Dans-Boek geschrieben, jetzt führt sie das Tagebuch weiter, diesmal in Gesprächen mit Menschen aus Brüssel. Zum Auftakt: ein freudiges Wiedersehen.
Von  Gastbeitrag

Da bin ich also wieder: in Brüssel. Und dies seit nunmehr einer Woche. Vieles fühlt sich vertraut an. Dieselbe Wohnung wie vor einem Jahr, das Danscentrum Jette, wo ich bei meinem letzten Aufenthalt einige Workshops besucht habe, und selbst im Computersystem des Bioladens um die Ecke bin ich noch gespeichert. Hat mich Brüssel vielleicht ein wenig vermisst? Ich meinerseits war vor meiner Abreise ziemlich aufgeregt. Es fühlte es sich ein wenig an, als hätte ich mich im Urlaub verliebt und nun plötzlich Angst vor dem lang ersehnten Wiedersehen. Zu schön ist Brüssel in Gedanken.

Trotz dieses leichten Unbehagens hab ich mich entschieden, nochmals für zwei Monate hierher zu kommen. Ich werde wieder tanzen, Theateraufführungen sehen, alte Bekannte treffen, und hoffentlich etwas von der Freiheit zurückerhaschen, die mich damals so glücklich machte.

Ich reise wie beim letzten Mal mit dem Zug über Paris. Dort habe ich einen ziemlich langen Aufenthalt. Und als es endlich weitergeht, bin ich froh, dieser scheinbar eleganten Dame wieder den Rücken zu kehren. Nein, Brüssel ist nicht elegant. Aber Brüssel ist lässig, sexy, ein wenig verwegen und sehr, sehr freundlich.

Nach vielen flüchtigen Begegnungen unter der Woche, verabreden wir uns schliesslich für Samstagnachmittag im Roskam – einer flämischen Bar in meiner Strasse.

 

Jeanne: Salut Brüssel, ça va?

Brüssel: Oui, ça va bien. Et toi?

Jeanne: Mir geht’s gut, danke. Aber wow, es ist 15 Uhr, und du bist bereits an deiner zweiten Flasche Rosé. Respekt!

Brüssel: Ach komm, es ist Wochenende. Ausserdem ist es schön, draussen zu sitzen. Wir haben Ferien, und die meisten Leute sind weggefahren. Es gibt gerade wunderbar viel Platz in mir.

Jeanne: Stimmt, das ist mir auch aufgefallen. An vielen Shops und Restaurants hängen Schilder mit «wegen Urlaub geschlossen». Auch die Theatersaison beginnt erst wieder Ende August. Was mir gerade nicht allzu viel ausmacht.

Brüssel: Die Saison startet immer mit ein paar Festivals. Kommendes Wochenende beginnt das Feerieen festival – ein Musikfestival, wo draussen auf meinen zahlreichen Plätzen Konzerte gegeben werden. Dann kommt das Festival International. Das ist was für dich. Ein Tanzfestival. Und gegen Anfang September dann das Het Festival. Dort werden die besten Inszenierung des letzten Jahres gezeigt. Es ist also so etwas wie das Theatertreffen von Belgien. Dein Landsmann Milo Rau ist mit seiner Inszenierung «Five easy pieces» auch dabei. Apropos: Wie geht es dir hier als Schweizerin?

Jeanne: Als ich letzten Sonntag aus der Metro stieg, spielte eine Band auf dem Platz vor der Börse. Ich glaube, du bist die einzige Stadt, in welcher ich mich über schlechte Strassenmusik freue. Als ich dann in den ersten Tagen unterwegs war, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, die Leute würden schweizerdeutsch sprechen. Aber beim genaueren Hinhören sprachen sie natürlich flämisch. Und ich bin wieder ziemlich begeistert, wie inhomogen hier alles ist. Man biegt einmal um die Ecke, und eine neue Welt tut sich auf. Auch bei den Workshops ist das so. Neben vielen Tänzern war da beispielsweise ein Informatiker, der vor drei Jahren das Tanzen für sich entdeckte. Nun besucht er in seiner Freizeit Workshops, um sich auszudrücken. Das bist du: bunt und vielfältig. Aber zwei Fragen hätte ich dennoch. Erstens: Warum muss es hier so viel regnen? Und zweitens: Was hat es mit diesen staubtrockenen und nach schlechtem Fett riechenden Waffeln an sich?

Brüssel bestellt eine weitere Flasche Rosé, lächelt verwegen und schweigt.

Nächste Woche folgt een Gesprek mit dem in Brüssel lebenden Berner Musiker und Komponisten Simon Ho.

Jeanne Devos, in Heiden aufgewachsen, hat Schauspiel in Bern und Zürich studiert, war 2010-2013 am Deutschen Nationaltheater Weimar engagiert und ist seither als freischaffende Schauspielerin tätig. In «Hamlet», der Eröffnungspremiere der Spielzeit 2016/17, war sie als Gast am Theater St.Gallen zu sehen sein. Ihr erstes «Dans-Boek» aus Brüssel, wo sie mit einem Artist-in-Residence-Stipendium von Kanton und Kulturstiftung von Appenzell Ausserrhoden Tanz studierte, erschien seit Anfang Mai 2016 auf saiten.ch. Jetzt berichtet sie von ihrem zweiten Brüssel-Aufenthalt.