Duschi statt Sushi

Mit frühen Werken von Roman Signer aus der Sammlung Ursula Hauser nutzt das Kunstmuseum St.Gallen zum ersten Mal das Piano nobile des Kirchhoferhauses für eine Ausstellung. Beim Rundgang mit Künstler und Kurator überraschen die anregenden Gegensätze zwischen bürgerlichen Prunkräumen und Minimalskulpturen.
Von  Wolfgang Steiger
Roman Signer: Aquarium, 1998. Schenkung der Ursula Hauser Collection, Installationsansicht Kirchhoferhaus. (Bild: Stefan Rohner)

Roman Signers Elternhaus in Appenzell stand unmittelbar an der Sitter. Der Keller befand sich auf dem Niveau des Flussbettes. Noch heute sind dem 85-Jährigen die Geräusche des Geschiebes bei Hochwasser präsent. «Klack, klack, klack, tönt das kleinere Geröll, die grossen Steine machen: bomm, bomm», schildert er lautmalerisch beim Rundgang durch die Ausstellung.

Die Faszination für die Kraft des Wassers zieht sich durch sein gesamtes Werk. Im Kirchhoferhaus sind es: Grosser Tropfen (1973), Wellenapparat (1976), Wasserleiter (1971), Treppe (1976), Regen-Simulator (1977), Kraft des Regens (1974) und Aquarium (1998). Aus künstlerischer Neugierde schiesst Signer eine Rakete mitten durch die Lebenswelt der Aquariumfische.

Der Kurator der Ausstellung, Gianni Jetzer, weiss um Signers Bedeutung von Weltrang im Kunstbetrieb: Das New Yorker MoMA (Museum of Modern Art) besitzt eine Werkgruppe von ihm, Galerien und Museen richteten ihm weltweit schon Einzelausstellungen aus.

Aktion wird zur Sekundenskulptur

Jetzer fragt ihn beim Rundgang, ob es stimme, dass ihm die Ideen beim Baden kämen. «Der Eilige duscht und der Träumer badet», bestätigt Signer. Mit dem ihm eigenen Humor erzählt er, wie er einmal gefragt worden sei, ob er Sushi möge. Da er schlecht hört, verstand er, ob er gern «duschi», worauf er antwortete: «Nein, ich bade lieber.»

Die Objekte und Zeichnungen sind meist Versuchsanordnungen für Aktionen. Mit Fotografie oder Film entstehen dann daraus Sekundenskulpturen. Für Grosser Tropfen verlangte der Denkmalschutz wegen des Parketts eine Stahlwanne unter dem Vierkanteisengerüst. Sie hätten wohl das Konzept seiner Kunst nicht ganz verstanden und der mit nur wenig Wasser gefüllten Gummihaut misstraut, vermutet Signer.

Roman Signer – Schenkung der Ursula Hauser Collection: bis 10. März 2024, Kunstmuseum St.Gallen (Kirchhoferhaus)

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Tatsächlich liegt der Tropfen-Installation die Absicht zu Grunde, die Gummimembrane mit stetem Wassernachfüllen zum Reissen zu bringen. Diese Aktion wurde vom Filmer Hartmut Kaminski in Düsseldorf am Rheinufer gefilmt und kann in einem Nebenraum angeschaut werden. Kaminski hatte in der Galerie Wilma Lock 1973 die erste Einzelausstellung Signers besucht, alles in sein Auto gepackt und die Ausstellung in Düsseldorf in einem Zimmer seiner Wohnung gezeigt.

Bei Oberstleutnant Kirchhofer zuhause

Im Alltag bewohnten Paul Kirchhofer und seine Frau Hermine die schlichte Parterrewohnung des 1876 gebauten zweistöckigen Hauses. In der Beletage, den Prunkräumen im Obergeschoss, empfingen sie Gäste und Geschäftsfreunde aus aller Welt. Die Installation Bett (1997) im sorgfältig restaurierten Musiksaal ist ein Highlight der Ausstellung. Mitten im Raum steht eine Bettstatt, unter die ein grosser roter Ballon eingeklemmt ist. Auf der Matratze liegt ein altertümlicher Staubsauger, der bei Betrieb seine Abluft über einen Schlauch in den Ballon bläst.

Roman Signer: Bett, Schenkung der Ursula Hauser Collection, Installationsansicht Kirchhoferhaus. (Bild: Stefan Rohner)

Mit wachsendem Umfang hebt der Ballon die Bettstatt an. Die Gewissheit vom Ausgleich zwischen Schwerkraft und Fliehkraft ist in Frage gestellt. Dieses Bett verspricht kein entspanntes Ruhen, vielmehr ist zu befürchten, dass alles mit einem Knall enden wird.

Das kinderlose Ehepaar Kirchhofer vermachte ihr Stadtpalais der Ortsbürgergemeinde für wissenschaftliche oder künstlerische Zwecke. Signers Arbeiten passen für beides. Oft sehen sie aus wie wissenschaftliche Messgeräte, oder sie erfüllen Aufgaben wie bei experimentellen Laborversuchen. Andererseits sind bei Signer Bezüge zu den Kunstrichtungen Minimalismus und Konzeptkunst vorhanden. Bett erinnert an den berühmten Satz der Surrealisten vom zufälligen Zusammentreffen einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch.

Die ambitionierte Sammlerin

Bett ist eine von acht Skulpturen Signers, die Ursula Hauser dem Kunstmuseum schenkte. Die Teilhaberin des Haushaltmaschinen- und Unterhaltungselektronikhändlers Fust förderte den anfangs noch wenig erfolgreichen Künstler schon früh. Als ambitionierte und zielgerichtete Kunstsammlerin überliess sie die operative Leitung des Fust-Konzerns ihrem Bruder Walter und gründete zusammen mit Tochter Manuela und Schwiegersohn Yvan Wirth die Galerie Hauser & Wirth mit Lagerräumen für die umfangreiche Kunstsammlung in Uzwil-Henau.

Nach und nach eröffnete Hauser & Wirth Geschäftsräume an den besten Adressen, unter anderem in New York, Los Angeles, London, Zürich. Sie vertritt Roman Signer bis heute auf dem Kunstmarkt. Um die Jahrtausendwende weckte Hauser & Wirth die Lokremise aus ihrem Dornröschenschlaf, 2003 mit einer inzwischen legendären Ausstellung von Roman Signer.