, 15. November 2023
keine Kommentare

Dieser Hummelwald summt und singt, knattert und rappt

Isa Wiss und Vera Kappeler haben das Buch Am Hummelwald von Brigitte Schmid-Gugler mit einer Tonspur unterlegt. Das Bühnenprogramm geht nach der begeistert aufgenommenen Vorpremiere in St.Gallen nun auf Tournee. von Eva Bachmann

Vera Kappeler und Isa Wiss an der Vorpremiere von «Am Hummelwald» in St.Gallen. (Bild: Brigitte Schmid-Gugler)

Vera Kappeler spielt auf dem Harmonium eine volksliedhafte Melodie an, Isa Wiss fällt mit der Blockflöte ein – kindlich, etwas schrill und manchmal ungenau. Es endet in einem lang ausgehaltenen Ton. Danach ist erst einmal Schweigen. Und in die Stille hinein setzt der Text ein: «Die Mutter schweigt. Sie hat etwas, aber DAS KIND weiss nicht, was sie hat. Wenn es die Mutter fragt, was sie hat, sagt sie nichts.»

Die Mutter und ihre Schroffheit gegenüber dem Kind ist ein wiederkehrendes Motiv im Buch Am Hummelwald der St.Galler Autorin Brigitte Schmid-Gugler, erschienen 2021. Die «Miniaturen einer Kindheit auf dem Lande» erzählen aus der Kinderperspektive vom Aufwachsen im Freiburger Senseland. Von einem Hummelwald würde man vielleicht erwarten, dass er poetisch summt. Der Text jedoch unterläuft diese Erwartung. Der Wald ist der Ort eines sexuellen Missbrauchs an Mäseli, der Freundin des Kinds. Und auch sonst ist oft von menschlicher Kälte und von katholischer Bigotterie die Rede. Andererseits gibt es die magische Welt des Kindes, in der Zwerg und Mamsell in der Hohen Thuja wohnen. Oder es gibt die Blaue Glasperle, einer Zauberperle, die das Kind als seinen Schatz hütet.

Die Miniaturen sind kurze Szenen, oft nur eine halbe Seite lang. Sie evozieren in wenigen Sätzen Atmosphären von Zuversicht und Angst, Abweisung und Zutraulichkeit. Die Basler Jazzpianistin und Theatermusikerin Vera Kappeler und die Luzerner Stimmkünstlerin Isa Wiss haben in diese Texte hineingehört. Und sie haben den Hummelwald zusammen mit der Brigitte Schmid-Gugler und Peter Conradin Zumthor (Dramaturgie) für ihr erstes gemeinsames Bühnenprogramm mit einer eigenwilligen Tonspur unterlegt. Die Musik und die Klänge nehmen die Gestimmtheit der Miniaturen auf und verschaffen ihnen neuen Ausdruck.

Vielfältiges Instrumentarium

Das Instrumentarium auf der Bühne ist aussergewöhnlich: Vera Kappeler spielt hauptsächlich auf einem Reiseharmonium, wahlweise aber auch Cyberpiano oder Kalimba. Isa Wiss sitzt an einem Handharmonium, bläst Flöten oder zupft auf einem Eierschneider. Im Vordergrund gibt es zwei kleine Toypianos mit einem Klang wie von einem Glockenspiel. Ausserdem kommen Schläger zum Einsatz, die alles Verfügbare in Trommeln verwandeln. Und ganz wichtig ist die Stimme von Isa Wiss. Sie liest den Text, sie singt, sie schreit, sie seufzt und sie schweigt.

Gelegentlich nimmt der Soundtrack Hinweise aus dem Text auf: Die letzte Rose der Prärie, der Song, den der Sohn des Landjägers mit seiner Gitarre zum Besten gibt, stimmt Isa Wiss mit der dunklen Stimme einer Chansonnière an. Sie singt dann aber immer höher und schriller – wie ein Kind eben, das sich in eine Euphorie hineinsteigert, bis es nicht mehr kann. Später folgen Lieder wie Brahms‘ In stiller Nacht zu einem traurigen Moment oder Heines Ich weiss nicht, was soll es bedeuten. Ein musikalisches Husarenstück ist der Kanon Bruder Jakob mit zwei Singstimmen und zwei Instrumentalstimmen – in dem also beide Musikerinnen je eine Stimme singen und eine andere Stimme spielen.

Das Herz klopft zum Zerspringen

In vielen Passagen aber sind es mehr Klänge und Geräusche, die dem Text eine Tonsprache hinzufügen. Rhythmus spielt dabei keine unwichtige Rolle. Gerade an Stellen, an denen sich etwas Bedrohliches zusammenbraut, vor allem bei übergriffigen Szenen. Hier kommen Schläger zum Einsatz, die die Holzkörper der Instrumente oder eine klirrende Blechdose traktieren und mit heftigem (Herz-)Klopfen das Drama bis zur Unerträglichkeit steigern.

Der Effekt verfehlt seine Wirkung nicht. Doch in seiner Zudringlichkeit betont er diese Textstellen und übertönt damit anderes wie etwa die Gutherzigkeit der Grossmutter oder das schöne, stille Einvernehmen mit dem stummen Knecht Titus. Praktisch abwesend ist an diesem Abend zudem die ganze Vorstellungswelt des Kindes, in der es mit imaginierten Wesen wie Zwerg und Mamsell eine freundlichere Wirklichkeit herbeiphantasiert. Bei Auswahl und Reihenfolge der Textstellen scheint die Repräsentation des gesamten Buchs weniger wichtig gewesen zu sein als die Dramaturgie.

Feines Ohr und viel Kreativität

Diese Dramaturgie indes funktioniert. Ruhiges Fliessen verdichtet sich und eilt auf einen Höhepunkt zu, dann wieder gibt es Pausen und Entspannung. Die Musik spielt einmal als Intermezzo zwischen den Texten, ein andermal unterlegt es sie als begleitende Tonspur und gelegentlich übernimmt sie und drängt ihren Rhythmus den Text auf, der unversehens zum Rap wird. Dabei wird das Wort aber nie zur Nebensache, es erhält mit der Tonspur sowohl Präsenz als auch Raum zum Nachdenken.

Isa Wiss und Vera Kappeler sind als Duo ein Glücksfall für diesen Hummelwald. Sie verfügen über ein feines Ohr sowohl für den Text als auch für einander. Und sie scheinen sich gegenseitig anzustacheln mit ihren Ideen für Klänge. Das tönt einmal konventionell und konsonant, dann wieder sehr experimentell und improvisatorisch, bisweilen schräg. Die Zuhörenden werden durch diesen Abend getragen von einer Tonspur, die immer wieder überrascht – sei es mit Poesie, sei es mit Effekt. Und am Schluss hat die Musik ebenso viel erzählt wie die Worte.

 

Aufführungen:
19. November, 17 Uhr, Schloss Wartegg, Rorschacherberg
1. Dezember, 19 Uhr, Hauptpost St.Gallen (Raum für Literatur)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!