, 23. Juli 2024
keine Kommentare

«Diese Kämpfe mussten wir führen»

Nazi-Skins, Vandalen, aber auch die Güllener Autonomen wussten ihn zu fürchten: Matias Stebler war in der Anfangszeit der Grabenhalle der Mann fürs Grobe. Aber nicht nur. Der Schreiner, der sich nicht recht schubladisieren lässt, erinnert sich an wilde Zeiten. notiert Roman Hertler

Punks und rechte Skins tummeln sich ca. 1984 vor der Grabenhalle. (Bild: Güllens Grünes Gemüse)

Während meiner Lehrlingszeit zum Schreiner bin ich mit der autonomen Bewegung in St. Gallen in Kontakt gekommen. Da spielten – wie so oft im Leben – Zufälligkeiten mit, man kennt jemanden, teilweise noch aus der Schulzeit, dann lernt man andere Leute kennen, geht in die «Posthalle» an politische Anlässe oder zu Punk und Jazz-Konzerten, auch wenn ich musikalisch eher bei Ten Years After und Deep Purple zu Hause bin. Wobei Jazz ab Ende der 70er bei mir schon auch einen grossen Stellenwert einnahm.

In autonomen Kreisen war der Nordirlandkonflikt damals ein heiss diskutiertes Thema: Bobby Sands, die Hungerstreiks und so weiter. Politisiert haben mich aber schon die Zeichnungen im «Nebelspalter», der bei uns zuhause auflag. Am Familientisch wurde zwar auch politisiert, aber nicht parteipolitisch. Christliche, teils fundamental-christliche Werte standen im Vordergrund. Politisch halte ich wenig von der gängigen Links-Rechts-Einteilung. Ich wähle nicht einfach automatisch SP, PFG oder was weiss ich, sondern kann sehr gut auch mal eine SVP-lerin auf die Liste setzen, wenn ich sie kenne und finde, mit ihr kann man gut diskutieren. Karin Winter-Dubs zum Beispiel.

Anfang 80er bin ich mit Pius Frey und ein paar anderen in die sogenannte «Kommune» in ein Bauernhaus im Riethüsli gezogen. Die Leute im Quartier dachten, da hocken alle auf allen, so erzählten sie es sich zumindest und glaubten wohl selber nicht recht dran. Aber es war eben schon so mit der freien Liebe. Es war Aufbruch, damals Ende 70er, Anfang 80er. Beim Autonomen Jugendzentrum (AJZ) in St. Gallen hat man sich auch etwas von der Stimmung in Zürich anstecken lassen. Aber das hat nicht lange gedauert. Da waren zu viele destruktive Kräfte am Werk, Halbstarke, Rocker und so weiter. Einmal war ich mit einem befreundeten Zuhälter dort, um mit ein paar Randalierern aufzuräumen. Das St.Galler AJZ ist irgendwann niedergebrannt.

Bei den Sitzungen der IG Aktionshalle Graben war ich von Anfang an dabei. Die alte Turnhalle genügte unseren Ansprüchen vollkommen. Sie gab uns die Perspektive von Freiraum. Viele gute Leute engagierten sich. Die Organisation von Konzerten und anderen kulturellen Anlässen und der politische Abstimmungskampf für das dreijährige Provisorium und danach für den permanenten Betrieb verliehen der Bewegung eine unglaubliche Dynamik. Nicht nur die Linken im Stadtparlament, auch ein paar Bürgerliche, allen voran ein freisinniger Banker, unterstützten unser Anliegen. Der Stadtrat hingegen war immer gegen uns.

In der Grabenhalle war ich vor allem in der Spuntengruppe aktiv, also hinter der Bar, aber ich machte auch Kasse, Türe und manchmal, wenn ich selber einen Abend organisierte, alles gleichzeitig. Als ein Lehrer einmal maulte, an der Bar würde jeder Tamile vor ihm bedient, knallte ich ihm eine, dass er nie mehr reklamierte. Auch wenn jemand wiederholt hinter die Bar griff, um etwas zu klauen, gabs eins aufs Dach. Irgendwann habe ich eine neue Bar gezimmert, die hinten etwas erhöht war, sodass die kleineren Frauen von der Spuntengruppe zumindest auf Augenhöhe waren mit den potenziellen Belästigern. Das wurde mir als Frauenfeindlichkeit ausgelegt. Ein paar zertrümmerten die Bar und schrieben drauf: «Mätti ist ein Fascho».

Einmal hat einer unseren Mann an der Kasse als «schwule Sau» beschimpft. Als ich ihm die Meinung geigte, forderte er mich auf, nach draussen zu kommen. Ich ging gern und es folgten etwa 100 Leute, die zuschauen wollten. Auf dem Parkplatz begann er mit einem Nunchaku herumzufuchteln. Ich überlegte noch, ob ich ihm besser gleich eine reinzimmere oder zuerst meine Jacke über ihn werfe – ein Nunchaku darfst du nie unterschätzen. Da haute er sich das Ding selber mit voller Wucht an den Hinterkopf. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten, während die versammelte Meute lauthals loslachte. Von seiner Freundin gestützt, zog er torkelnd davon.

Das erste Konzert, das ich organisierte, waren Hungry For What und Nisus Anal Furgler aus Biel und drei weitere Bands. Sie nannten mich einen Abzocker, weil ich 6 Franken Eintritt verlangte. Dabei habe ich bei all meinen Veranstaltungen draufgelegt und ging danach wieder drei Wochen auf den Bau, um meine Schulden zu begleichen. Punkkonzerte haben mich irgendwann angeschissen, immer gabs Lämpen. Dann habe ich mit Graziella Rossi, Charlotte Heinimann und Mathias Gnädinger zwei Lieder- und Gedichtabende veranstaltet. Hans Hassler war an der Handorgel. Gnädinger trug die Ballade Des Sängers Fluch vor, das war ein Erdbeben auf der Bühne, wie ich es kaum je erlebt habe. 1991 habe ich noch das Schauspiel- und Figuren-Theater Zinnober, das erste freie Theater der ehemaligen DDR, eingeladen. Das war für mich eine der wichtigsten Veranstaltungen. Noch heute pflege ich Kontakt zum Ensemble, das ich in den 80ern zum ersten Mal in Berlin besucht habe und das heute Theater o.N. heisst.

Mit den Neonazis hatten wir zwei Vorfälle in der Grabenhalle. Der erste war an einem Konzert einer italienischen Punkband, den Namen habe ich vergessen. Etwa ein Dutzend Zürcher Skinheads trieb sich auch in der Halle rum. Als die Band Avanti popolo anspielte, standen die Glatzen mit gestrecktem rechtem Arm vor die Bühne. Ich sagte ihnen, dass so etwas hier nicht toleriert würde. Sie maulten noch ein wenig, aber ich machte klar, wer hier drin der Macker war. Ich schickte sie raus. Einer wollte nicht kapieren und hob wieder den rechten Arm, dem habe ich dann eine abgedrückt, der stand nicht wieder auf. Ich sagte, sie können ihren Kameraden jetzt zuammenlesen und abfahren. Ich stand alleine vor ihnen, das war mir völlig egal, und das machte ihnen Eindruck. Sie zogen ab.

Drei oder vier Wochen später hat mich am Samstagnachmittag ein Konzertveranstalter informiert, die Skins hätten sich für heute angekündigt. Um Verstärkung zu organisieren, war es zu spät. Damals gabs noch keine Handys. Zum Glück war zufällig ein befreundeter Bodybuilder anwesend, ein Riesentier, aber die Friedlichkeit in Person. Und ein stockbesoffener Österreicher Punk, mit dem ich eigentlich gut auskam, aber auch schon Auseinandersetzungen hatte, zum Beispiel am The-Fall-Konzert im «Ekkehard», wo ich ihn die Treppe runtergeschmissen hatte. Jetzt standen wir also zu dritt da. Die Skins waren etwa 40 Nasen. Zuerst verwüsteten sie das «Grütli» (heute: «Paparazzo»), das damals tschechisch oder ungarisch geführt war. Dann kamen sie herüber. Sie griffen wohl nur darum nicht

an, weil sie dachten, in der Halle warte noch eine Hundertschaft auf sie. Ich hatte aber nur den Schlagring an, die Stahlrute in der Hand und den Bodybuilder und den Punk neben mir. Nach einem kleinen Wortgefecht schalteten sich die Freundinnen der Nazis ein, warum denn so aggressiv und so weiter. Ich sagte, es gebe hier rein gar nichts zu verhandeln. Sie verschwanden wieder, aber nicht für lange.

Spätnachts prügelten sie drei Punks, die im Grabenpärkli ihren Rausch ausschliefen, spitalreif. Einer hat es noch zu uns in die Halle geschafft. Das war der Moment, wo wir die Ketten aus den Parkpollern gerissen haben. Mit ein wenig handwerklichem Geschick ist das kein Problem. Wir vernahmen, dass die Skins beim Broderbrunnen seien. Zu zehnt nahmen wir die Verfolgung auf, mit Ketten und Nietengürteln bewaffnet. Auf Höhe der heutigen CSS an der St.Leonhardstrasse sind wir von hinten wie eine Furie in die Gruppe hineinberserkert. Die sind so erschrocken, dass jene, die noch konnten, in alle Himmelsrichtungen verstoben. Einen habe ich durch die Bahnhofsunterführung bis zur Kreuzbleiche verfolgt. Dort kniete er vor mir und behauptete, er gehöre nicht zu den Nazis. Ich erkannte ihn aber. In einem Fernsehinterview, das ich zufällig gesehen hatte, hatte er sich kürzlich noch damit gebrüstet, der Bodyguard des rechtsextremen Basler Grossrats Erich Weber zu sein. Ich habe ihn total zur Sau gemacht und ihn einfach liegenlassen, es war mir scheissegal. Diskutieren konnte man irgendwann vielleicht, aber an diesem Abend hatten sie uns den Krieg erklärt.

Einige finden das jetzt sicher daneben. Wir wachsen hier halt christlich-abendländisch auf, man hält immer die andere Backe auch noch hin. Das ist für mich totaler Schwachsinn. Es gibt jederzeit das Recht auf gewaltvolle Verteidigung, wenn man dazu gezwungen wird. Ich verlange aber von niemandem, es mir gleichzutun. Ich machte auch nie jemandem einen Vorwurf, weil man mich nicht unterstützt hat. Aber es ist schön, wenn einem jemand hilft, wenns draufankommt. Ich bin überzeugt: Diese Kämpfe mussten wir führen. Genauso wie wir ständig mit der Stadt streiten mussten. Das war halt einfach der negative Aspekt neben all dem Schönen und Guten in der Halle.

Zu Schlägereien kam es aber nicht oft, das allermeiste liess sich verbal regeln. Trotzdem wurde ich immer mehr in die Rolle des Polizisten gedrängt, ich habe es gar nicht richtig gemerkt, vielleicht gefiel ich mir anfangs auch ein bisschen darin. Irgendwann musste ich aber sagen, stopp, es kann nicht sein, dass jedes Mal, wenn Ärger droht, das Telefon im Bauernhaus oben klingelt. Sie müssen das auch alleine regeln können. Die Grabenhalle war nicht der Hauptanteil meines Lebens, ich hatte auch noch ein privates Umfeld, einen Job und so weiter. Ich wurde ständig kritisiert wegen meines Gehabes und Getues, schon mein Aussehen sei ein reiner Ausdruck von Gewalt, hiess es. Jahre später mehrten sich dann die Rückmeldungen, dass sie es schön gefunden haben, wenn ich in der Halle war, weil sie dann sicher waren, dass es keinen Ärger gibt.

1996, als es um die Sanierung ging, bin ich ausgestiegen. Die Grabenhalle ist heute eine Institution, ich finde gut, dass es sie gibt. Irgendwann ging ich mal wieder rein und das grösste Plakat war das Rauchverbot. Das hätten wir damals nicht akzeptiert, nicht einmal diskutiert. Wir leben in einer ganz anderen Zeit. Grabenhalle, Palace, auch Saiten werden heute als Selbstverständlichkeit empfunden.

Heute habe ich mehr Lebenserfahrung, bin vielleicht auch etwas ruhiger geworden und freue mich, die Zeit mit meinen Enkelkindern zu verbringen. Wenn du jung bist, willst du die Welt aus den Angeln heben. Später merkst du, dass Bäume auszureissen eigentlich auch reicht. Und heute bin ich froh, wenn der Roboter den Rasen von allein mäht. Autonom sozusagen.

Matias Stebler, 1959, ist im St.Galler Heiligkreuz-Quartier aufgewachsen, seine Eltern leiteten dort das Pflegeheim. Nach seiner Schreinerlehre jobbte er verschiedentlich in diesem Beruf, aber auch als Türsteher von Zürich über Hamburg bis Berlin. 1990
machte er sich als Schreiner selbständig, das war aber nicht geplant, sondern habe sich eher so ergeben. Stebler, der bis heute in St. Gallen lebt, verkehrte immer in verschiedensten Milieus, wie er sagt. Der Schreiner lässt sich nicht schubladisieren.

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

Melanie Geiger (Minasa-CMS)

support@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!