Die Zukunft kostet

Der Raum für Literatur in der Hauptpost ist voll, als um 15 Uhr Sarah Lüthy und Saiten-Co-Verlagsleiter Philip Stuber das neue Kalendersystem Minasa präsentieren. Das Projekt entstand in Kooperation mit thurgaukultur.ch, wo Lüthy Geschäftsführerin ist. «Wir wollen das Kulturangebot sichtbarer machen», erklärt sie. Ein Eintrag in das System kann an x-beliebigen Stellen weiterverbreitet werden. Schon heute beziehen rund zwanzig Portale die Daten von Saiten, darunter Eventfrog, St.Gallen-Bodensee-Tourismus oder die Stadt St.Gallen.
Um 16 Uhr geht das Programm weiter mit einem Fachgespräch in Kooperation mit dem Verband Medien mit Zukunft (VmZ) über den Alltag im Kulturjournalismus. Eingeladen sind Medienschaffende aus der ganzen Deutschschweiz. Der Abbau in den Kulturredaktionen macht ihnen zu schaffen. So hat etwa Susanne Kübler ihre Arbeit beim «Tages-Anzeiger» gegen die Kommunikationsleitungsstelle bei der Tonhalle Zürich eingetauscht.
Der Wechsel war für sie die Konsequenz aus den Entwicklungen in der Branche: Klicks werden als wichtigste Währung angesehen, darunter leidet der Kulturjournalismus. Taylor Swift und Katzencontent werden besser geklickt als klassische Kulturbesprechungen. Deswegen werden die Feuilletons immer mehr mit solchen «gutlaufenden» Inhalten gefüllt. Als Reaktion darauf bauen Kulturinstitutionen ihre eigenen Kommunikationsabteilungen laufend aus. Dort entstehen interessante Jobs für Journalist:innen – und erst noch zu besseren Bedingungen (Arbeitszeiten, Gehalt) als auf den Redaktionen.
Ein guter Verriss bringt Publikum
Was die Kommunikationsabteilungen nicht machen und deshalb immer mehr zu kurz kommt, ist eine kritische Beurteilung der Kulturevents. Das Publikum am Fachgespräch bestätigt: «Ein guter Verriss ist wertvoll, er regt an und bringt im besten Fall auch mehr Publikum.» Schliesslich gehe es Kulturschaffenden ja genau darum: Diskurse anzuregen. Sie leiden unter den Entwicklungen in der Medienbranche. Insbesondere jene Kulturschaffenden, die keine eigene Kommunikationsabteilung im Rücken haben.

Von links nach rechts: Robyn Muffler, David Hunziker, Corinne Riedener, Julia Nehmiz und Susanne Kübler
Julia Nehmiz, Redaktionsleiterin der «Appenzeller Zeitung», weist auf ein weiteres Problem hin: Oft fehlt es an gutem Personal für eine kompetente Kulturberichterstattung. Auch Robyn Muffler vom Zentralschweizer Kulturmagazin «null41» kennt diese Schwierigkeit. Den Medienschaffenden ist jedoch bewusst, dass ein:e freie:r Journalist:in von der Kulturberichterstattung allein oft nicht oder nur schlecht leben kann. Das fehlende Geld: überall ein Thema.
Der Abbau auf den grossen Redaktionen sei aber auch eine Chance für die kleineren Player, sagen sie. Diese seien spezialisiert, gut vernetzt und hätten eine starke Community. Sie könnten sich daher zu einem essenziellen Teil über die Leser:innenschaft finanzieren. Der Aufschwung von «Republik», «Tsüri», «Bajour» und «Hauptstadt» verdeutlicht diese Bewegung. Auch «null41» oder Saiten sind Projekte, die von dieser Bewegung profitieren können.
Wo sind die Jungen
Die Frage, wie Kulturjournalismus die Generation Z erreicht, wird ebenfalls heiss diskutiert. Die Inhalte müssten heruntergebrochen, noch verständlicher und zugänglicher gemacht werden – eigentlich eine Kernkompetenz des Journalistenberufs, so wurde betont. Da müsse halt ein:e Kulturjournalist:in vielleicht auch mal auf einen längeren Text verzichten und stattdessen die Story so erzählen, dass die Leser:innen dafür nicht einen freien Sonntagnachmittag brauchen, sondern nur ein paar freie Minuten zwischen vier Busstationen.
Die sozialen Medien wurden als eine mögliche Lösung genannt. Sie können die Themen anteasern, neues Publikum erreichen und dazu animieren, kostenpflichtige Inhalte auch zu kaufen. Doch auch hier: Wo ist das qualifizierte Personal? Die Produktion von Reels, TikTok-Videos und Insta-Storys erfordert Knowhow, welches in Kulturredaktionen oft fehlt. Es brauche also kulturaffine Social-Media-Teams, die ausserdem die publizistischen Grundsätze nicht verletzen. Deshalb tauchte die Frage auf, ob der geplante neue Saiten-Kulturnewsletter die richtige Form sei.
Einen Stock darüber diskutieren zeitgleich Veranstalter:innen und Leser:innen in einem Workshop ihre Erwartungen an den Kulturjournalismus der Zukunft und entwickeln dabei Ideen.
Auch hier ist das junge Publikum ein heiss diskutiertes Thema. Eine Idee: Feste Gefässe schaffen, wo regelmässig Projekte der jungen Generation präsentiert werden. Maturaarbeiten beispielsweise. Alle Resultate, die in der Diskussion zu Papier gebracht werden, sind im Kongress-Ticker zu finden.
Relevanz und Finanzierung
Um 19 Uhr geht es weiter mit dem grossen Podiumsgespräch zur Zukunft des Kulturjournalismus. Es diskutieren Min Li Marti (Nationalrätin, Verlegerin PS, Verband Medien mit Zukunft), Laura Bucher (Regierungsrätin Kanton St.Gallen), Guy Krneta (Schriftsteller, Vorstandsmitglied ch-interculture), Lisa Fuchs (Leiterin ad interim Fachstelle Kultur Kanton Zürich) und Frank Heer (Journalist, Kulturredaktor «NZZ am Sonntag»).

von links nach rechts: Eric Facon, Frank Heer, Min Li Marti, Laura Bucher, Lisa Fuchs und Guy Krneta.
Wieder sorgt das breite Themenspektrum, um das sich die Kulturredaktionen heute kümmern müssen, für Gesprächsstoff. Die Entwicklung zeigt: Kunst und Kultur verschwinden immer mehr aus den Medien, weil sie immer weniger als relevant wahrgenommen werden – in den Redaktionen, aber auch bei der Leser:innenschaft.
Das grosse Thema ist die Fianzierung. Min Li Marti sieht ein Problem darin, dass Stiftungen die Medien zwar unterstützen, dabei aber nur Projekten beim Start helfen. Eine langfristige Lösung sei das nicht. Laura Bucher betont, dass interkantonale oder nationale Lösungen gefunden werden müssen, um die Medien nachhaltig zu finanzieren. Die Zukunft des Kulturjournalismus gebe es nur mit einer sinnvollen öffentlichen Medienförderung.