Die wahren Gefährder

Der offizielle Titel klingt verführerisch. «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» heisst die Vorlage, die am 13. Juni zur Abstimmung gelangt. Wer bitte ist schon für Terrorismus? Entsprechend hoch ist die Zustimmung zum Gesetz, gemäss Umfragen wollen es 67 Prozent der Stimmberechtigten annehmen.
Besonders lautstark ertönt die Unterstützung aus der Ostschweiz, zumindest aus der offiziellen Politik: Karin Keller-Sutter, die Bundesrätin aus Wil, fliegt mit einem Militärhelikopter durchs Land, um für das Gesetz zu werben. Sekundiert wird sie in St.Gallen von SP-Regierungsrat Freddy Fässler, der sich damit gegen die eigene Partei stellt.
Gegen Kinder und Jugendliche
Eine Justizministerin unterwegs im Militärhelikopter: Das Bild trifft den Kern des Gesetzes. Es verspricht mehr Sicherheit, wird aber stattdessen die Freiheit einschränken und den Rechtsstaat beschädigen. Das Polizeigesetz operiert mit schwammigen Begriffen: Sogenannte «Gefährder» sollen identifiziert werden, bevor sie zur Tat schreiten.
Dazu genügt bereits, dass sie «Furcht und Schrecken» verbreiten: Das Lesen eines verdächtigen Buches oder ein Facebook-Like an der falschen Stelle können es künftig der Polizei erlauben, eine Person als gefährlich einzustufen. Die Massnahmen, die sie ergreifen kann, reichen von einem Gesprächsaufgebot bis zum Hausarrest, der bis zu neun Monaten dauern kann. Betroffen sind bis auf den Hausarrest schon Kinder ab zwölf Jahren.
Die renommiertesten Rechtsprofessor:innen der Schweiz, fünf Sonderbeauftrage der UNO und diverse Menschenrechtsorganisationen warnen in ungewohnter Schärfe vor diesem Willkürgesetz: Es setze einen Generalverdacht in die Welt, mit dem jeder und jede verdächtig werde. Was sich heute gegen islamistische Terroristen richte, könne morgen Klimaaktivist:innen treffen. «Terrorismus» würde definitiv zum Kampfbegriff, um politische Gegner:innen zu dämonisieren und Dissident:innen abzustrafen. Das Gesetz heble die im Strafrecht zentrale Unschuldsvermutung aus und verstosse gegen die Gewaltenteilung: Weil die meisten Massnahmen ohne richterliche Überprüfung erfolgten, würde die Polizei zum Richter und Henker. Zudem verstosse das Gesetz in Teilen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die UnoKinderrechtskonvention.
Populistisch und gemütlich
An Karin Keller-Sutter wie an Freddy Fässler perlt die heftige Kritik ab. «Ich bin es mich gewohnt, dass es ab zwei Juristen immer zwei Meinungen gibt», meinte Keller-Sutter an einem «Tagblatt»-Podium im Pfalzkeller. Zwar gibt es unter den Rechtsexpert:innen wie beschrieben praktisch nur eine Meinung, aber mit solch populistischen Sprüchen lässt sich das locker überdecken.
Freddy Fässler wiederum appellierte an das Vertrauen in die Polizei, die ihre Arbeit schon richtig mache. Damit lenkte der Politiker gemütlich davon ab, dass er als Justizminister als erster die Arbeit der eigenen Polizei kritisch begleiten müsste.
Wer Keller-Sutters Karriere aus der Ostschweiz heraus verfolgt hat, wird ob ihres Einsatzes für das PMT nicht überrascht sein. Schon als St.Galler Regierungsrätin operierte sie am liebsten im präventiven Bereich: Punktete sie einst mit dem Einsatz gegen häusliche Gewalt noch bei Linken, wurde sie mit ihrem Vorgehen gegen Fussballfans mit Wegweisungen und Schnellgerichten definitiv zur Law-and-Order-Politikerin.
Auffällig schon damals: Keller-Sutter kennt auch dann keine Gnade, wenn es gegen Jugendliche geht. Gerade die Erfahrung mit präventiven Massnahmen im Strafrecht sollte aber vorsichtig stimmen: Weder ist die Kriminalität in den letzten Jahren stark gestiegen noch stark gesunken. Es gibt in einer offenen Gesellschaft nun einmal keine völlige Sicherheit.
Beredtes Schweigen
Bemerkenswert ist im Abstimmungskampf, dass eine Frage nicht gestellt wird: Warum ausgerechnet die Schweiz, die bisher von Terroranschlägen verschont blieb, ein solch hysterisches Gesetz beschliesst. In erster Linie hatte die Schweiz sicher Glück. Davon abgesehen gibt es Faktoren, die gegen Radikalisierung und Terrorismus helfen können. Eine aktive Friedenspolitik etwa, die sich nicht am «War on Terror» mit seinen Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Oder eine Gesellschaft, die Perspektiven schafft, mit einem durchlässigen Bildungssystem für alle sozialen Schichten.
Von all dem hört man von Karin Keller-Sutter und Fredy Fässler leider nichts. Stattdessen: Gefährderansprache, Hausarrest, Helikopterlärm.
Anna Jikhareva, 1986, und Kaspar Surber, 1980, schreiben für die Wochenzeitung WOZ über und gegen das Polizeigesetz.