Die Villa Wiesental ist völlig überbewertet

Nach dem Aus für das Hochhaus hinter der Villa Wiesental ist der Weg frei, um reinen Tisch zu machen: Die marode Hütte ist für die St.Galler (Bau-)Kultur nicht entscheidend.
Von  Urs-Peter Zwingli

Um allfälligen Plagiatsvorwürfen vorzugreifen: Inspiriert zum Kommentar haben mich namentlich zwei Kritiker der Villa Wiesental-Euphorie, die ja in den alternativen Kreisen von St.Gallen gerne gepflegt wird. Einer der Kritiker ist aktiver Fussballfreund und langjähriger Journalist, der zweite ist mittlerweile passiver Fussballfreak und ebenfalls langjähriger Journalist. Letzterer ist ausserdem Zürcher und meinte mit der erfrischenden Sicht eines Aussenstehnden schon vor zwei Jahren: Ein alter Kasten direkt an einer verstopften Strassenkreuzung? Nein, St.Gallen hat definitiv Besseres zu bieten.

Aber in den Tagen seit dem Nein des Stadtrates zum von der HRS geplanten Hochhaus im Garten der Villa, sind die Diskussionen wieder brisanter geworden.

 

Das geplante 25-Meter-Haus hinter der sanierten Villa Wiesental. (Bild: pd)

Das geplante 25-Meter-Haus hinter der sanierten Villa Wiesental. (Visualisierung: pd)

Das Gammeln geht weiter

Denn die Besitzerin, der Frauenfelder Totalunternehmer HRS, will nun nur noch «den Zustand der Villa erhalten». Im Klartext: Das rund 130-jährige Gebäude wird weiter vor sich hin gammeln. Wenn das noch ein paar Jahre weitergeht, ist die Villa irgendwann so marode, dass sie ohnehin nicht mehr zu retten ist.

Ob die HRS einen neuen Käufer sucht, ist derzeit unklar. Und selbst wenn: Wo findet sich ein Käufer, der bereit und fähig ist, mehrere Millionen für das marode Gebäude aufzuwerfen, bei dem alle Planungen ein Eiertanz mit unsicherem Resultat sind? Schlank durch das Bewilligungsverfahren kommen würde wohl nur eine Renovation der Villa ohne Neubau. Als Kaufpreis für das renovierte Gebäude gab die HRS im Jahr 2013 rund 4,9 Millionen Franken an.

Die HRS jedenfalls sagt jetzt im «Tagblatt», sie habe über eine Million Franken in die Planung investiert. Nun steht sie mit leeren Händen wieder auf Feld eins. Fehlgeschlagen war zuvor bereits ihr gigantomanisches Projekt «Stadtkrone», für das die Villa hätte abgerissen werden sollen. Die Stadt sagte damals Nein zum echt üblen Klotz.

Für die «Stadtkrone» hätte die HRS die Villa Wiesental abreissen wollen - die Stadt sagte damals Nein dazu. (Bild: pd)

Für die «Stadtkrone» hätte die HRS die Villa Wiesental abreissen wollen – die Stadt sagte damals Nein dazu. (Visualisierung: pd)

Es geht hier nicht um Mitleid für die HRS, die kann diese Million sicher verkraften. Worum es geht, ist der seit über zehn Jahren andauernde, völlige Stillstand. Die Diskussion um die Villa Wiesental ist längst zu einem Stellvertreterkrieg geworden: Kritiker der Stadtentwicklung sehen in ihr in erster Linie ein symbolisches Objekt. Fällt die Villa, so fällt auch die St.Galler Baukultur endgültig der Baulobby zum Opfer.

Eine Verschränkung der beiden grundsätzlichen Perspektiven in diesem Streit – Bewahrung vs. Erneuerung – hat die HRS mit ihrem abgelehnten Projekt eines 25-Meter-Hauses im Garten der renovierten Villa zumindest versucht. So schlecht schien der Entwurf nicht: Der Heimatschutz St.Gallen/Appenzell Innerrhoden (nicht gerade als Freund von Büro-Neubauten bekannt) jedenfalls hätte grundsätzlich Ja zum Projekt gesagt.

«Spanier» statt Villa

Damit hat der Heimatschutz pragmatisch anerkannt, dass die Lage rund ums ehrwürdige Haus definitiv anders ist als bei dessen Erbauung Ende des 19. Jahrhunderts: Die Villa steht heute am Rande eines stark genutzten Gebiets, in dem verdichtet und erneuert wird. Hinter dem Bahnhof muss es Platz haben für moderne, urbane Bauten. Und Nein, der St.Leopard sowie der KV-Bau gelten nicht als gelungene Beispiele dafür. Wir können aber nicht so tun, als sei die Rosenbergstrasse immer noch ein Kiesweg, der sich durch locker bebaute Wiesen schlängelt.

Viel wichtiger als die Villa Wiesental für dieses Gebiet Bahnhof Nord oder «hinter den Gleisen» ist der Erhalt des Spanischen Klubhauses. Dieses ist seit Jahrzehnten ein Treffpunkt, an dem verschiedenste Menschen zusammenkommen. Es ist einer der wenigen Orte in St.Gallen, an dem sich einzelne (Sub-)Kulturen nicht in ihre jeweiligen Ecken und Beizen verkriechen, sondern sich ungezwungen mischen.

St.Gallen als Stadt braucht den «Spanier», dessen Schicksal ebenso ungewiss ist, unbedingt. Die Villa Wiesental ist nicht mehr als nice to have. Und wird sie renoviert, so würde sie wohl einfach zum repräsentativen Bürohaus voller Anwälte und/oder Manager werden. Ausser, es findet sich ein schwerreicher Mäzen, der das Haus nachher als  Treffpunkt irgendwelcher Art der Bevölkerung zur Verfügung stellt. Ein unrealistisches Szenario.

Die Saiten-Redaktion ist über das weitere Schicksal der Villa Wiesental geteilter Meinung. Diese Woche wird ergänzend ein «Pro-Wiesental»-Beitrag erscheinen.