, 15. Februar 2018
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Die Tiefe, die Tiefe!

Zum 100. Geburtstag von Paul Huber erscheint eine Biografie samt Werkverzeichnis des St.Galler Komponisten. Diesen Samstag gibt es einen Gedenkanlass im Dom, und das Buch feiert im Musiksaal im Klosterhof Vernissage.

Paul Huber 1964 in Ottobeuren. (Bild: pd)

Die Festschrift zu seinem 60. Geburtstag 1978 hatte gleich im Vorwort einen hohen Ton angeschlagen: «Sie nehmen im kulturellen Schaffen der Ostschweiz einen hervorragenden Platz ein», hiess es dort, und später: «Unbeirrt und ohne Umwege haben Sie die in Ihnen schlummernde Kraft der schöpferischen Aussage entwickelt und in die ihr gemässe Form der Musik gebracht. Bei allem Fleiss, der Sie auszeichnet, aller leidenschaftlichen Hingabe an das Werk, die Ihnen eigen ist, wurzeln Sie tief in unserer Heimat…» Autor des Vorworts war «In herzlicher Verbundenheit, Ihr Kurt Furgler, Bundesrat».

40 Jahre später ist solches Pathos undenkbar und das katholische Milieu bröcklig geworden, dem Furgler ebenso wie Paul Huber angehörten. Die Festschrift zum 100. Geburtstag Hubers kommt denn auch angenehm nüchtern daher. Mehr als die Hälfte der rund 220 Seiten nimmt das Werkverzeichnis ein.

Paul Huber bei der Probe seiner Kantate zum 125-Jahr-Jubiläum der Kantonsschule St.Gallen, Juni 1981.

Den ersten Teil bilden «Biografische Skizzen» von Hanspeter Spörri, die für alle, die Huber kannten und als Musiklehrer erlebt haben, das Bild des Mannes mit der «vertschudleten» Mähne (so eine Schülerin in ihrer Erinnerung) noch einmal lebendig machen.

Spörri hat Einblick in Paul Hubers Jugendtagebuch erhalten, er hat zudem die Akten der Vormundschaftsbehörde studiert und kann damit insbesondere Hubers Kindheit plastisch machen. «Das Unglück und ein unwahrscheinliches Glück» ist das Kapitel betitelt: Paul Huber, ältestes von sieben Kindern, Bauernbub in Kirchberg, verliert mit zehn Jahren auf einen Schlag beide Eltern, die an einer Lebensmittelvergiftung sterben. Die Gemeinde reagiert rasch und offenbar engagiert: Paul kommt zu einer Pflegefamilie, die ihn fördert und insbesondere seine musikalische Begabung früh erkennt.

Das Tagebuch des jugendlichen Paul ist zwar wortkarg, es listet Wetter, liturgische Pflichten, Schul-, Dorf- und Familienereignisse knapp auf, dafür mit einer Vielzahl von Ausrufe- und Fragezeichen. Emotionen liest man zwischen den Zeilen und manchmal auch in den Wetterinfos, wie in den Einträgen zum Todestag der Eltern: «Todestag unserer lb Mutter. 5 Jahre!!………..Presto fff. Grossmutter kam.» Und etwas später: «Vater Todestag. Schneefall. Wir packten meinen Koffer.»

Hanspeter Spörri, Bernhard Hangartner, Eva-Maria Hanke:
Paul Huber – Der Komponist und sein Werk, VGS St.Gallen 2018.
vgs-sg.ch

Spörri sieht darin einen Charakterzug, der Huber zeitlebens ausgezeichnet hat: Was unaussprechlich ist, wird Musik. Beim Kirchberger Lehrer und Chorleiter Josef Heinrich Dietrich bekommt er den ersten musikalischen Unterricht und lernt das Werk jenes Komponisten kennen, der Dietrich wie ihm zum lebenslangen Vorbild wird: Anton Bruckner.

Die Biografie zeichnet dann den weiteren schulischen Weg nach und schlägt Bögen zum politischen Geschehen der 30er-Jahre – das vom heimischen Kirchberg allerdings weit weg scheint, wie Spörri anmerkt. Huber bleibt zeitlebens ein weltoffener, aber politisch zurückhaltender Mensch – «dem Zeitgeist, seinen ideologischen Strömungen und verpflichtenden Moden schien er zu misstrauen.»

Umso stärker setzt sich die Berufung zur Musik durch. Schon im Kollegi Appenzell dirigiert Huber eigene Kompositionen und schreibt zu seiner eigenen Matura (die er nach der RS als «Schnellmatura für Wehrmänner» erst 1940 absolvieren kann, kurz vor der Mobilmachung) einen Marsch. Blasmusik bleibt, neben der Kirchenmusik, zeitlebens Hubers zweites, volkstümlicheres musikalisches Standbein.

Pragmatisch absolviert er auch die späteren Militärdienste, komponiert dem Inf Rgt 33 1952 einen bis heute populären Marsch, aber leidet auch. «Eine Künstlernatur – und darf mich doch ohne Überheblichkeit auch ein wenig zu ihnen zählen? – ist überhaupt ganz und gar nicht fürs Militär geschaffen! » schreibt er einmal an seine künftige Frau Hedi.

Paul Huber zuhause an Weihnachten 1989.

Hubers musikalisches Credo findet der Biograf in dessen Diplomaufsatz am Konservatorium Zürich «Mein Beruf als Musikerzieher» vom März 1944. Dort deklamiert Huber unter anderem: «Nicht das Viele muss erstrebt werden, sondern die Tiefe, die Tiefe!» Und nichts gehe tiefer im Menschen, wirke unmittelbarer und habe die Gabe, «Unsagbarem Ausdruck zu verleihen» als die Musik.

In seinen grossen geistlichen Werken, geschrieben zumeist für die St.Galler Kathedrale und seinen Freund und Mentor Johannes Fuchs, hat Paul Huber diesen Anspruch zweifellos eingelöst. Ob er ihn auch als Pädagoge, als Musiklehrer an der Kantonsschule eingelöst hat, dazu dürfte die Überlieferung kontrovers bleiben.

Buchvernissage und Gedenkanlass: 17. Februar, 10 Uhr, Kathedrale St.Gallen, 11 Uhr Musiksaal Klosterhof, anschliessend Apéro
paulhuber.ch

Meine eigenen Erinnerungen an die strapaziösen Chorproben vor den Kantikonzerten sind eher zwiespältig. Sein Charisma als Künstler beeindruckte jedoch wohl alle, die mit ihm zu tun hatten. Und die Stimmen, die Hanspeter Spörri in seiner biografischen Skizze versammelt, sind denn auch fast durchwegs positiv. Man habe «nie ein Unwort» gehört, er sei «mit Leib und Seele der Musik verpflichtet» gewesen und habe sich «nie exklusiv, immer inklusiv verhalten, egal, wer vor ihm stand»: So lauten einige der Urteile von Ehemaligen.

Die Biografie gibt schliesslich auch Einblick in den familiären Alltag: Hubers unspektakulär-seriöse Arbeitsweise, sein nachmittägliches Komponieren im «Hades», seinem Arbeitszimmer im Haus an der Goethestrasse, und die wichtige Rolle seiner Ehefrau Hedi, die für die «Ministerien» des Inneren, des Äusseren und der Wirtschaft zuständig war und vom Kittel bis zur Feriendestination alles für ihren Mann entschied.

Sanctus aus Missa Vocalis (1947), Collegium Vocale der Kathedrale St.Gallen 2009 (dirigiert von Hans Eberhard).

Am 25. Februar 2001 ist Paul Huber gestorben. Acht Jahre zuvor war er mit einem eigentlichen Huber-Jahr zum 75. Geburtstag gefeiert worden. 2018 soll nun wiederum ein Huber-Jahr werden; diverse Konzerte mit seinen Werken sind geplant. Sie werden vielleicht bestätigen, was Josef Osterwalder im «Tagblatt» im Bericht zur Abdankung 2001 geschrieben hat: Hubers Werk sei ein ständig neuer Versuch gewesen, auf die Nöte der Zeit mit dem Trost der Verheissung zu antworten.

Dieser Text erschien im Februarheft von Saiten.

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