Ein Kolumnenbuch hatte uns gerade nicht gefehlt. Aber Charles Pfahlbauer jr. hat es trotzdem getan: Er hat 70 von seinen insgesamt 250 Saiten-Kolumnen ausgewählt und zwischen zwei Buchdeckel binden lassen. Gemäss Untertitel sind es die «lustigsten und abgründigsten». Ein «Lustiges Taschenbuch» ist es denn auch dem Format nach, nur ganz so farbenlustig ist der schwarze Deckel nicht. Passt aber zum schwarzhumorigen Inhalt.
Es ist ein Buch von einem, der notabene zehnmal lieber über Filme und Songs schreibt und im Abspann auch einen Soundtrack mitliefert. Bücher kommen bei ihm hauptsächlich beim Ausmisten vor. Und doch musste es jetzt ein Buch sein. Damit man es in die Hand nehmen und weitergeben kann? Ein starkes Indiz für diese Trophäentheorie wäre das Coverbild des ausgestopften Bären mit der Flinte in den Tatzen. Und vielleicht wollte sich der Pfahlbauer damit in Bibliotheken und Büchergestelle einnisten (hm, bis zum übernächsten Ausmisten) und damit aktenkundig werden als Teil der Kulturszene von St.Gallen – zu der Charlie im Übrigen eine ironische Distanz wahrt.
Kultstatus besitzt das, was sich Marcel Elsener von 2001 bis 2024 Monat für Monat bis nach Redaktionsschluss als Gebrauchstext abgerungen hat, allemal: Die Fanpost nach dem Ende der «Nachrichten aus dem Sumpf» belegt es. Peter Surbers feinsinnige Würdigung wurde jetzt zum Nachwort des Buchs. Was bleibt da noch zu sagen in einer «kritischen Rezension», wie von der Redaktion gewünscht? Mission impossible! Ich werfe darum drei nicht ganz wahllos aus dem Internet gefischte Urteile über «gute Bücher» in den Ring.
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Manuel Stahlbergers gezeichnete Hommage aus dem Februarheft 2024 von Saiten.
«Mich interessiert in der Literatur eigentlich nur der Mensch. Mäuse und Kühe interessieren mich nicht.» (Marcel Reich-Ranicki)
Kühe gehören für Pfahlbauer ins Kuhfladenland, hingegen hegt er für Mäuse und Fledermäuse, Welse, Dachse, Salamander und allerlei anderes Getier grosse Zuneigung. Und man muss sagen: Der Literaturpapst irrt. Denn der Sumpf, aus dem diese Nachrichten kommen, ist ein Biotop. Was Menschen darin im Namen der Zivilisation anrichten – seien es Marketingfürze, Parkplatzfantastereien oder Rauchverbote – durchkreuzen die Tiere. Sie spiegeln den menschlichen Irrsinn und erzählen sehr viel darüber, was wir nicht sind und heimlich wohl vermissen.
Ausserdem: Dieser Pfahlbauer ist ewiger Nörgler, ein Misanthrop und erst noch ein wehleidiger Typ. Über alles, was er in der Gallenstadt und an sich selbst erfährt, ergiesst sich sein Spott. Niemals aber über die Tiere, da wird er weich und zeigt sein Herz. «Die Tiere können nichts dafür, wenn die Menschen versagen.»
«Der Autor hat kein Talent, sondern ist ein Glückspilz.» (über William Goldings Lord of the Flies, Herkunft unbekannt)
Seine erste Kolumne mag Marcel Elsener nolens volens geschrieben haben, das suggeriert der erste Text. Vielleicht war sie ein Glücksgriff. Aber was er in den 23 Jahren daraus entwickelte, ist ein Panoptikum von kuriosen Figuren, die man irgendwann zu seinen alten Bekannten zählte und von denen man wissen wollte, was sie neuerdings wieder umtreibt. Da zeigt sich Könnerschaft. Verlegenheitslösungen wie DD (Dringende Darmentleerung) für ein vorzeitiges Ende oder unscharfe Titel wie «Ladenlokale und Waschbären» sind selten. Und sogar den Traum, diesen ultimativen Ausweg von Autor:innen, die nicht mehr weiterwissen, verzeiht man ihm, weil er ihn dermassen monströs übersteigert.
Die Texte von Elsener sind alles andere als teflonglatte KI-Machwerke: Ihr Sound ist unverkennbar grantig, die Nadelstiche treffen den Nerv. Ein diebisches Vergnügen bereiten allein schon die eigensinnigen Benennungen, die zur Kenntlichkeit entstellen: Grögraz, Roschee Dornimauge, die Kuschelzwillinge oder Teevaunull, Grusig uf de Gass, Pippibankenplatz. Der Erzähler treibt durch die Ostrandzone und findet dabei immer etwas (im wahrsten Sinn des Wortes) Aufregendes, das er assoziativ ins Absurde führt. Ergänzend zu den Texten liefert er eine witzige Bildschiene mit enigmatischen Botschaften, von denen der Buchgestalter Adrian Elsener noch einige zusätzliche ins Buch geschmuggelt hat.
«Ein guter Roman ist ein Teil des Lebens, der in das Leben hineinwächst.» (James Joyce)
Hoppla, ein grosser Stiefel. Dublin ist Charlie zwar herzlich egal, aber es geht auch in der Gallenstadt: durch die Strassen und die Banalitäten des Alltags flanieren und dabei seine Gedanken fliessen lassen. Die Nachrichten aus dem Sumpf nehmen über all die Jahre immer wieder aktuelle Ereignisse auf, klopfen sie ab und schlagen Verbindungen, bis die Funken sprühen. Der Pfahlbauer ist in das Stadtleben hineingewachsen wie sonst vielleicht nur noch Stahlbergers Herr Mäder. Das ist die grosse Leistung dieser Kolumnen.
Andererseits ist ihnen damit auch ein Ablaufdatum eingeschrieben. Was viele in der Stadt heute noch zuordnen können, wird in der Erinnerung immer mehr verblassen. Schon jetzt ertappt man sich beim Lesen durch all die vergangenen Pfahlbauer-Jahre ab und zu beim Suhlen im Sumpf der Nostalgie. Tut gut.
Marcel Elsener alias Charles Pfahlbauer jr.: Nachrichten aus dem Sumpf. Die lustigsten und abgründigsten Saiten-Kolumnen aus über zwei Jahrzehnten. Saiten Verlag, St.Gallen 2024. Bestellungen an verlag@saiten.ch