Die Säulen und Inseln der Kunst
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Objekte, die aussehen wie kleine Inseln, reihen sich auf einem Glasregal an der Wand in Reih und Glied aneinander. Von Nahem betrachtet, offenbart sich das «Baumaterial» der Objekte: farbige Kabel, Haare, Glitzerpapier, keramische Elemente, Flauschbällchen, Gummiteile, Spiegelflächen – bemalt, beklebt, gesteckt oder aufgehängt. Zum Beispiel so: Langhanteln mit Schaumgummigewichten liegen neben einer Hantelbank aus Plastikteilen. Im Hintergrund dieser Insel erstreckt sich ein Foto des Aletschgletschers in die krakelig gebastelte Szenerie.
Der Blick auf den Bildschirm neben den Objekten liefert Aufschluss: Die «Inseln» in Miniaturform stellen Fantasiewelten im Massstab 1:100 dar. Die Arbeit Recreation Areas des Kunstkollektivs U5, das im Rahmen des Heimspiels in der St.Galler Kunsthalle vertreten ist, zeichnet mit den vergnüglichen Mini-Inseln Orte der Sehnsucht oder Möglichkeiten von Lebensräumen nach. In Relation zu gesellschaftlichen Regeln und Ordnungssystemen gesetzt, eröffnen sie Raum für Fragen.
Das 2007 gegründete vierköpfige Zürcher Kollektiv U5 wendet sich bewusst gegen traditionelle Denkweisen zur individuellen Autor:innenschaft – jede Miniatur wird von den Mitgliedern des Kollektivs gemeinsam konstruiert. Einen Einblick in die Arbeitsweise des Kollektivs gibt es hier.
Schöner Schein im Kunstmuseum
Im Oberlichtsaal des Kunstmuseums findet sich die Arbeit der Ausserrhoder Künstlerin Miriam Sturzenegger, die mit dem diesjährigen Kunstpreis der Ortsbürgergemeinde St.Gallen ausgezeichnet wurde. Die 1983 geborene Künstlerin hat die Jury mit ihrer raumgreifenden Installation überzeugt. Das Werk besteht aus drei Gipssäulen die sich vom Boden bis zur Decke erstrecken. Eine tragende Funktion erfüllen sie jedoch nicht – Sturzenegger kommuniziert mit den 6,40 Meter langen Säulen eine andere Botschaft.
Artist Talk mit Miriam Sturzenegger: 25. Januar, 18.30 Uhr
Die Künstlerin durchbricht die bestehende Ordnung der Architektur und schafft auf diese Weise Voraussetzungen für einen bewussten Blick in den bestehenden Raum und seine Beschaffenheit. In ihrer Auseinandersetzung mit architektonischen Gegebenheiten erforscht sie die Relation von Ort, Zeit und Körper und versucht, diese zu verschieben, ergänzen oder zu durchbrechen.
Nadia Veronese und Lorenz Wiederkehr haben sich vorgenommen, in der von ihnen kuratierten Werkschau im Kunstmuseum den kunsthistorischen Blick und die traditionelle Rezeption von Bildender Kunst zu erweitern. Die Betrachtungsweise von Materialien und Medien ist vom alltäglichen Gebrauch ebenso abhängig wie vom politischen Geschehen. Die Grenzen von Materialien und Medien werden in der Ausstellung neu gezogen und gebrochen.
Kurz gesagt: Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Das gilt etwa für das aus Bastelbögen zusammengefügte Waffenarsenal von David Berweger, für die ausladenden Textilarbeiten von Priska Rita Oeler oder auch für das verspielte, aus Haushaltsmaterialien aller Art geschaffene, aber unbrauchbare Mobiliar Intricacies of Support der in Rapperswil-Jona und Singapur lebenden Genevieve Leong.
Neue Narrationen in der Kunsthalle
Eine weitere künstlerische Arbeit in der Kunsthalle, die das Geschehen zwischen Ordnungsräumen subtil beleuchtet und modifiziert, sind die Bilder von Patricia Hämmerle. Die aus Rapperswil-Jona stammende, in Zürich lebende Künstlerin bedient sich aus ihrem eigens zusammengetragenen Comicarchiv, entnimmt einzelne Seiten und übermalt ausgewählte Stellen mit schwarzem Marker, überträgt Motive in Hinterglasmalerei oder schneidet sie zu neuen Formen. Kontexte verschiebend und dekonstruierend erschafft sie auf diese Weise komplett neue Deutungs- und Interpretationsebenen aus den vorgefundenen Comic-«Bildräumen».
Artist Talk mit Dorothy Wong Ka Chung und Benjamin Ryser:
4. Januar 18.30 Uhr
Performance mit Juliette Uzor und Elia Autin: 13. Januar 18.30 Uhr
Céline Matter, Kuratorin der Ausstellung «Reading the Room», sagt zur Auswahl der Werke und zum inhaltlichen Konzept in der Kunsthalle: «Ziel war es, den Raum als Ordnungsprinzip zu denken und den Fokus auf das Dazwischen zu lenken. Auf das, was nicht sofort sichtbar ist. Es sollte nicht eine Begriffsdefinition geschaffen werden, sondern eine Erweiterung und Öffnung.»
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Susanne Heftis Videoarbeit, im Hintergrund die Installation Enough von Katrin Hotz. (Bild: Anna-Tina Eberhard)
Eine solche Raum-Erweiterung schafft auch Susanne Hefti in ihrer Audio-Slideshow mit dem Titel Transformationsgedächtnis Stadt. An zwei St.Galler Hauptbeispielen, dem umstrittenen Abbruch der «Helvetia» 1977 und dem Umbau des Bleicheli zum Raiffeisenquartier recherchiert und reflektiert sie den Einfluss der Politik auf die gebaute Stadt.
Neues und Altbewährtes
Ausstellungsorte des alle drei Jahre stattfindenden, kantons- und länderübergreifenden Heimspiels sind wie bisher die Kunsthalle und das Kunstmuseum St. Gallen, die Kunsthalle Appenzell und der Kunstraum Dornbirn sowie erstmalig das Kunsthaus Glarus. In Appenzell ist Farbe das Oberthema, in Glarus geht es um den Umgang mit Konventionen, in Dornbirn sind Videoarbeiten Trumpf.
Statt einer externen Jury trafen dieses Jahr die Kurator:innen der ausstellenden Institutionen die Auswahl gleich selber. Aus 448 eingegangenen Dossiers schafften es 81 Künstlerinnen und Künstler in die Schau. Die thematischen Ausstellungskonzepte, die jede der fünf Institutionen individuell erarbeitete, bildeten dabei den Rahmen für die Auswahlkriterien.
Heimspiel
Ausstellungen: bis 6. Februar 2022, Kunstmuseum und Kunsthalle St.Gallen, Kunsthalle Appenzell, Kunstraum Dornbirn, Kunsthaus Glarus.
Dokustation: bis 30. Januar 2022 im AUTO St.Gallen.
Ateliergespräche: 15. und 16. Januar 2022, jeweils von 11–17 Uhr
Nebst der Neuerung in der Jury haben dieses Jahr alle Kunstschaffenden, die sich beworben haben, erstmals die Möglichkeit, ihre Ateliers im Rahmen des Heimspiels zu öffnen. Die Projektleiterinnen des Heimspiels, Anna Vetsch und Nina Keel werden am 15. und 16. Januar zwei Ateliergespräche mit vom Los ausgewählten Künstler:innen führen.
Zudem sind sämtliche Bewerbungsdossiers, auch die der Nicht-Ausstellenden, unter heimspiel.tv abrufbar, und im Ausstellungsraum AUTO wird die analoge Form der Kommunikation zelebriert: Hier gibt es Kunstpostkarten, die an die Liebsten verschickt werden können.