, 28. März 2019
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Die Rede des Parteilosen

Die Parteilosen sind überall in der Ostschweiz auf dem Vormarsch. Nach dem Studium ihrer Interviews und Werbebroschüren hat unser Autor für sie eine allgemein gültige Rede verfasst, einsetzbar an jeder Veranstaltung.

Geschätzte Mitbürgerinnen und Mitbürger
Liebe Familien und Kinder
Liebe alle

Noch vor wenigen Monaten hätte ich nicht gedacht, dass mich die Politik interessiert. Doch plötzlich war dieser Wunsch da, unser Gemeinwesen mitzugestalten. Und nicht nur der Wunsch, sondern auch die Überzeugung, dass ich dafür die geeignete Persönlichkeit bin. Deshalb habe ich mich am letzten Tag der Anmeldefrist zur Wahl eingeschrieben: als Parteiloser, wobei mir selbst der Ausdruck Parteiunabhängiger lieber ist.

Schliesslich ist es nicht so, dass ich keine Aufnahme in einer Partei fände, mein Los also das eines Parteilosen wäre. Ich wollte gar nie eintreten, bewusst von den Parteien unabhängig sein. Viele von uns spüren, dass Parteien eine Sache von gestern sind. Es sind Wahlvereine, die Interessen organisieren und durchsetzen. Den Parteien geht es nur um ihre Pfründe. Kein Wunder, wenden sich viele von ihnen ab. Und die ganzen ideologischen Auseinandersetzungen immer! Links und rechts, dieser Gegensatz ist im 21.Jahrhundert längst überholt. Was wir heute brauchen, sind konstruktive Lösungen.

Im Gegensatz zu den Parteien bin ich lediglich mir selbst verpflichtet. Das macht mich unabhängig. Ich kann zuhören.

Zudem bringe ich aus meiner bisherigen Tätigkeit in der Privatwirtschaft einen grossen Rucksack an Erfahrungen mit. Ich bin es gewohnt, effizient zu arbeiten. Auf den Punkt zu kommen und dabei das grosse Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Sicher, der Staat muss investieren. Aber wir müssen auch sparsam haushalten. Vieles ist wünschenswert, aber nicht alles realisierbar. Man kann nur den Franken ausgeben, den man auch eingenommen hat.

Wichtig sind mir auch die Wirtschaft und die Umwelt. Wir dürfen nicht immer alles gegeneinander ausspielen. Ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen ja – aber dabei die Firmen nicht an der Entfaltung hindern. Das gleiche gilt für das soziale Zusammenleben: Toleranz leben am richtigen Ort – aber gegebenenfalls auch Grenzen aufzeigen. Ich bin für den Ausgleich.

Bei meiner Tätigkeit in der Privatwirtschaft habe ich gelernt, Probleme immer in zwei Phasen anzugehen. Wobei mir das Wort Herausforderung besser gefällt. In einem ersten Schritt gilt es, eine Herausforderung anzunehmen. In der zweiten Phase soll sie dann bewältigt werden. Dies unter der Beteiligung aller Betroffenen. Partizipation ist für mich kein Schlagwort, Partizipation muss gelebt werden: im Alltag, im Quartier, in der Gemeinde. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, eine Sprechstunde für Bürgerinnen und Bürger einzurichten. Ich möchte die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen. Ihren Puls spüren.

Privat ist mir die Familie wichtig. Auf meine Frau (wahlweise: Auf meinen Mann) kann ich mich verlassen. Sie (Er) ist immer für mich da. Fragt nach, kritisiert am richtigen Ort – und motiviert mich immer wieder. In der Familie gilt das gleiche wie in der Politik: Lieber eine Person, die zuhört, als eine Partei, die bloss ihre Interessen verfolgt. In den Ferien tanke ich Kraft.

Wir Parteiunabhängigen erleben derzeit in der Ostschweiz grosse Erfolge. Die Gemeindepräsidien in Gossau, in Wittenbach, in Herisau, sie sind in unserer Hand. Auch in Rorschach hat sich in letzter Minute einer von uns zur Wahl gemeldet. In St.Gallen sitzen wir im Stadtrat. Im Ausserrhoder Kantonsparlament stellen wir schon die zweitgrösste Fraktion. Wobei das «Wir» nicht ganz zutrifft: Wir pflegen nur einen lockeren Austausch. Jede und jeder von uns bleibt unabhängig. Ich denke, die Leute wollen das Neue, das Unverbrauchte. Es ist kein Nachteil, ein Quereinsteiger, eine Quereinsteigerin zu sein. Ganz im Gegenteil. Was wir brauchen, sind unverbrauchte Kräfte wie mich. Leute, die unbelastet von Wissen und Vorkenntnissen an die Aufgaben herangehen. Leute, die keine Ahnung haben, wie Sie, liebe Wählerinnen und Wähler.

In den letzten Monaten habe ich auch von der Politik zu träumen begonnen. Manchmal habe ich diesen Alptraum. Es geht um Konflikte. Darum, dass das Wesen der Politik doch der Konflikt sei. Grosse Mauern steuern auf uns zu, die Parteilosen in der Mitte. Sie beginnen, mit donnergrollender Stimme mit uns zu sprechen: Dass wir, die Parteilosen, keine Meinung hätten. Dass wir die Politik zu einer reinen Verwaltungssache machten. Dass wir die Politik an sich auflösten. Meist aber habe ich schöne Träume von gemeinsamen Begegnungen. Ich werde geschätzt. Generell habe ich einen guten Schlaf.

Ich freue mich über Ihre Unterstützung.
Gemeinsam packen wir es an!

Dieser Beitrag erschien im Aprilheft von Saiten.

 

 

 

 

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