«Die Rückkehr des Autoritären besorgt mich»

Michael Hermann war zu Gast an der 50. Jugendsession in St.Gallen. (Bild: pd)

Politgeograf Michael Hermann über den breiter werdenden Geschlechtergraben bei den Jungen, maskuline Typen in der Politik und die bedrohte Meinungsvielfalt innerhalb der Parteien.

Sai­ten: Wel­che po­li­ti­schen The­men be­we­gen die jun­gen Leu­te heu­te? 

Mi­cha­el Her­mann: Das Kli­ma ist nach wie vor ein gros­ses The­ma. Mit dem Tro­ckens­om­mer 2018 gab es dies­be­züg­lich ei­ne star­ke Re­po­li­ti­sie­rung. Die Co­ro­na-Kri­se hat dann aber da­zu ge­führt, dass die Kli­ma­be­we­gung rasch er­lahmt ist. Mit der Pan­de­mie und den da­mit ver­bun­de­nen Ein­schrän­kun­gen ge­wan­nen die The­men Frei­heit und psy­chi­sche Ge­sund­heit bei den Jun­gen an Be­deu­tung. Auch der Um­gang mit So­zia­len Me­di­en be­schäf­tigt vie­le. 

Gibt es so­zio­de­mo­gra­fi­sche Merk­ma­le, die po­li­tisch in­ter­es­sier­te jun­ge Leu­te ver­ei­nen, un­ab­hän­gig von ih­rer po­li­ti­schen Aus­rich­tung? 

Nebst dem so­zia­len und dem kul­tu­rel­len Ka­pi­tal ist die Bil­dung für das po­li­ti­sche In­ter­es­se si­cher ein zen­tra­ler Fak­tor. Wer ei­ne Schu­le be­sucht, fin­det auch eher Zeit für ein En­ga­ge­ment, als je­mand, der ei­ne Leh­re macht. Ty­pisch ist, dass vie­le aus ei­nem po­li­ti­schen Haus­halt kom­men. Wenn am Fa­mi­li­en­tisch über Po­li­tik dis­ku­tiert wird, er­höht das die Chan­cen, dass man sich spä­ter po­li­tisch en­ga­giert. 

Laut Stu­di­en hat sich der Ge­schlech­ter­gra­ben bei den Jun­gen ver­tieft. Auch in Ih­rer 2024 pu­bli­zier­ten Stu­die zu To­le­ranz und Mei­nungs­frei­heit spielt der Ge­schlech­ter­gra­ben ei­ne Rol­le. Wie zeigt er sich? 

So wie es Po­la­ri­sie­rung schon im­mer gab, hat es auch po­li­ti­sche Un­ter­schie­de zwi­schen den Ge­schlech­tern im­mer schon ge­ge­ben. Nur wur­den die­se we­ni­ger als Gra­ben wahr­ge­nom­men. Auch weil das Mei­nungs­spek­trum in­ner­halb der Par­tei­en frü­her brei­ter war als heu­te. So wa­ren zum Bei­spiel Frau­en, die sich als bür­ger­lich be­zeich­net ha­ben, häu­fig ein we­nig so­zia­ler als Män­ner, die sich als bür­ger­lich be­zeich­net ha­ben. Neu ist, dass sich im­mer mehr Frau­en grund­sätz­lich mit Links iden­ti­fi­zie­ren und im­mer mehr jun­ge Män­ner mit Rechts. Es gibt al­so ei­ne zu­neh­men­de Sor­tie­rung, und die po­li­ti­sche Hal­tung wird zur Iden­ti­täts­fra­ge. 

Wie kam es da­zu? 

Ge­schlech­ter­the­men sind wie­der po­li­ti­scher ge­wor­den. Mit der drit­ten Wel­le des Fe­mi­nis­mus ab Mit­te der 2010er-Jah­re und mit glo­ba­len Be­we­gun­gen wie Me­Too wur­de vie­len klar, dass es mit der recht­li­chen Gleich­stel­lung al­lein nicht ge­tan ist und es nach wie vor noch vie­le Un­gleich­hei­ten und «fein­stoff­li­che» Un­ter­schie­de gibt. 

Die neue Ge­ne­ra­ti­on der Fe­mi­nis­tin­nen hat das laut­stark an­ge­pran­gert. Im Zu­ge des­sen gab es auch ei­ne Ver­schie­bung von rei­nen Sach­the­men hin zu Fra­gen der Iden­ti­tät oder der Kul­tur. Es fand ei­ne Sub­jek­ti­vie­rung der po­li­ti­schen The­men statt. Die For­de­run­gen nach Gleich­stel­lung und das selbst­be­wuss­te Auf­tre­ten der Frau­en ha­ben in der Män­ner­welt zu ei­ni­ger Ver­un­si­che­rung ge­führt. Das lös­te Ge­gen­re­ak­tio­nen aus. Die Sub­kul­tur der In­cels könn­te man als ra­di­ka­len Kern die­ser mas­ku­li­nen Ge­gen­be­we­gung ver­ste­hen. 

Gibt der Ge­schlech­ter­gra­ben bei den Jun­gen An­lass zu Be­sorg­nis oder ist er ein vor­über­ge­hen­des Phä­no­men wie vie­le Be­we­gun­gen und Ge­gen­be­we­gun­gen?

Ich fin­de das nicht über­mäs­sig be­sorg­nis­er­re­gend. Es ge­hört viel­leicht ein­fach da­zu und ist auch ein Aus­druck der Rea­li­tät, in der wir le­ben. Pro­ble­ma­tisch fin­de ich, dass das Bild des «star­ken Man­nes» der­zeit wie­der so en vogue ist. Mich be­sorgt die­se Rück­kehr des Au­to­ri­tä­ren. 

Man scheint sich der Wer­te der Mei­nungs­viel­falt und der De­mo­kra­tie im­mer we­ni­ger be­wusst zu sein. Was tun da­ge­gen?

De­mo­kra­tie kann man ja nicht ver­ord­nen. Der An­trieb muss von in­nen kom­men. Dar­um braucht es Auf­klä­rungs­ar­beit, mehr «de­mo­kra­ti­sche Pro­pa­gan­da». Wir müs­sen zei­gen, dass die­se mas­ku­li­nen Ty­pen, die vor al­lem auch jun­ge Män­ner an­spre­chen, gar nicht so stark und sou­ve­rän sind, wie sie sich ge­ben. Es ist häu­fig nur Show. Die De­mo­kra­tie ist ei­ne Er­run­gen­schaft, die wir pfle­gen müs­sen. Die Ge­schich­te hat ge­zeigt, was pas­sie­ren kann, wenn man das auf­gibt. 

Was wür­den Sie jun­gen Men­schen, die in die Po­li­tik ge­hen wol­len, mit auf den Weg ge­ben? 

Ich bin nicht der Typ für Rat­schlä­ge (lacht). Am ehes­ten wür­de ich «Go for it!» sa­gen. Die Po­li­tik ist ein gu­ter Ort, um zu ler­nen, mit an­de­ren Mei­nun­gen um­zu­ge­hen. Das ha­ben wir heut­zu­ta­ge et­was ver­lernt. Wir se­hen das et­wa dar­an, dass Po­li­ti­ker:in­nen, die nicht auf der Li­nie der Par­tei­mei­nung lie­gen, zum Teil mar­gi­na­li­siert oder am Auf­stieg ge­hin­dert wer­den. Ich wür­de mir wün­schen, dass die in­ter­ne Mei­nungs­viel­falt wie­der mehr ge­pflegt wird. Das wür­de die Par­tei­en auch wie­der an­schluss­fä­hi­ger ma­chen für die Men­schen aus­ser­halb des Po­lit­be­triebs, die ja auch nicht nur in Schwarz-weiss-Ka­te­go­rien den­ken und han­deln.

 

Mi­cha­el Her­mann, 1971, ist Geo­graf und Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler. Er lei­tet das For­schungs­in­sti­tut So­to­mo und lehrt an der Uni Zü­rich. Das In­ter­view ist am Ran­de der 50. Ju­gend­ses­si­on SG AI AR am 16. No­vem­ber in St.Gal­len ent­stan­den, wo Her­mann als Gast­re­fe­rent ein­ge­la­den war.