Die noch ferne Wolke namens Luis Barragán

Seine Bauten sind legendär in ihrer Farbigkeit. Aber wie geht die Nachwelt mit dem Erbe des mexikanischen Architekten Luis Barragán um? Das verhandelt die aktuelle Ausstellung der Kunsthalle St.Gallen - sehr konzeptuell, schreibt Nina Keel.
Von  Gastbeitrag

Es beginnt farbintensiv. Ebenso farbintensiv, wie auch die Bauten des mexikanischen Architekten Luis Barragán gestaltet sind, der den Ausgangspunkt des seit 2013 laufenden Ausstellungsprojekts The Barragán Archives der amerikanischen Künstlerin Gill Magid bildet.

Von Blumen und Menschen

Magids kreisrunde Bodeninstallation mit echten und künstlichen Blumen sowie gefärbter Sägespäne im ersten Raum ihrer Einzelausstellung trägt den Titel The Offering (Tapete de Flores). Solche Blumenarrangements gehören zu den Gabentischen, die jährlich am Tag der Toten in Mexiko errichtet werden. Der Feiertag beruht in seinem Ursprung auf dem Glauben, dass die Toten an jenem Tag aus dem Jenseits zurückkehren, um mit den Lebenden ein fröhliches Fest zu feiern.

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Sonst handelt die Ausstellung aber nicht von Blumen, sondern Personen und dem, was sie repräsentieren. Die einzelnen Protagonisten des Ausstellungsprojektes sollen zunächst vorgestellt werden.

Luis Barragán (1902-1988) ist der wohl bedeutendste Architekt der mexikanischen Moderne. Er schuf Häuser, in denen Innen- und Aussenbereiche fliessend ineinander übergehen, und verstand es, dabei bemerkenswerte Licht-Schatten-Situationen zu erzeugen. Prägendes Merkmal seiner Bauten sind auffällige Farben: Im Umland von Mexico City errichtete er beispielsweise in den 60er Jahren ein Wohnhaus mit zentralem Wasserbecken und Pferdeställen, die Cuadra San Cristóbal, wo verschiedene Rosa-, Lila- und Ockertöne zusammentreffen.

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In Bezug auf Magids Ausstellung ist relevant, dass Barragán in seinem Testament eine Trennung zwischen seinem privaten und beruflichen Nachlass verfügte. Und hier tritt Federica Zanco auf den Plan.

Sie ist Architekturhistorikerin und die Ehefrau von Rolf Fehlbaum, dem Vorsitzenden der Schweizer Möbelfirma Vitra. Von ihm erhielt sie zur Verlobung keinen Ring geschenkt, sondern den beruflichen Nachlass von Barragán mitsamt den Rechten an seinem Namen und Werk. Das berufliche Archiv befindet sich im Vitra-Hauptsitz in Birsfelden. Als Präsidentin der Barragán Foundation ist Zanco Hüterin über dieses geworden, die den Zugang dazu kontrolliert und einschränkt: Der Nachlass war die letzten zwanzig Jahre nicht öffentlich zugänglich.

Davon bekam Gill Magid Wind, als sie 2013 in einer Galerie ausstellte, die gegenüber der Casa Luis Barragán in Mexico City liegt. Von da an liess Magid, die sich in ihrem Schaffen oft mit Fragen von Strukturen und Macht innerhalb unterschiedlicher Institutionen auseinandersetzt, das Thema nicht mehr los.

Im Andachtsraum

Magid ist der Handhabung von Barragáns Nachlass in mehreren Ausstellungen nachgegangen. Auch die Präsentation in den Räumen der Kunsthalle dreht sich vordergründig ausschliesslich darum. Die Exponate in den einzelnen Räumen – nebst der Blumenarbeit ein Film sowie einige Seiten Korrespondenz – beziehen sich aufeinander. Sie wurden von Magid zu einer Gesamtinstallation zusammengefügt, die im letzten Raum, ganz in Blau gehalten, ihren Endpunkt findet. Es handelt sich um eine Art Andachtsraum, in dem Magid Federica Zanco einen Vorschlag unterbreitet – oder man könnte auch sagen – Antrag macht (The Proposal, so lautet auch der Ausstellungstitel).

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Bei all dem geht es selten um Barragáns Werk selbst, sondern vor allem um den Umgang mit seinem Nachlass, was die Ausstellung sehr konzeptuell werden lässt: Nebst dem Nachbau eines Korridors aus Barragáns Wohnhaus und den Farben in der Blumeninstallation, die an seine Bauten erinnern, vermittelt die Ausstellung inhaltlich nichts über Barragán und erklärt auch Magids Faszination für seine Architektur nicht. So taucht nach einiger Beschäftigung mit der Ausstellung die Frage auf, ob es sich bei den Archiven Barragáns um ein Thema handelt, an dem sich Magid in ihrem künstlerischen Interesse abarbeiten kann, oder ob sie das umfangreiche Ausstellungsprojekt aus wirklichem Interesse an Barragáns Architektur betreibt.

Denn wenn es ihr vor allem darum ginge, dann könnte sie diese durchaus prominenter in die Ausstellung integrieren. Etwa über heutige Fotografien, die ohne Einverständnis aus Birsfelden von den Bauten angefertigt werden dürfen. Umgekehrt kann die Absenz von Plänen, Fotografien und Ähnlichem auch als bewusster Entscheid Magids ausgelegt werden, über den sie die Unzugänglichkeit von Quellenmaterial aus dem beruflichen Archiv betonen kann.

Wer bestimmt über das, was bleibt?

Die Stärke der räumlich klar konzipierten Ausstellung liegt weniger in ihrem Umgang mit Barragáns Nachlass an sich, sondern darin, dass Magid darüber grössere gesellschaftliche Zusammenhänge anschneidet und auf Machtfragen verweist: Bei wem liegen Urheberrechte und wie weit gehen sie? Oder konkreter: Wer bestimmt über die Nachlässe von Kunstschaffenden? Und was für Einschränkungen können damit verbunden sein?

Überdies erfrischt Magid mit ihrer Auffassung des Formats «Ausstellung»: Diese kann hier als Mittel zur Druckausübung interpretiert werden. Was über herkömmliche Verhandlungen bislang nicht erreicht werden konnte, wird mittels Kunst versucht – und Barragán könnte so vielleicht eines Tages aus dem einen Jenseits zurückkommen.

Bis 21. August

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