, 9. Dezember 2021
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«Die klimafreundlichste Armee ist keine Armee»

Die globale Militär- und Rüstungsindustrie gehört zu den Haupttreiberinnen der Klimakrise. Was die Auswirkungen davon sind, warum das Militär eine Spezialstellung hat, ob es bald «grüne» Panzer gibt und was Frontex mit all dem zu tun hat, erklären die Aktivist:innen Nadia Kuhn und Jonas Kampus im Interview.

SIG Sauer AG, Neuhausen am Rheinfall (Bilder: Claude Bühler)

Saiten: Bei Kriegsmaterial denkt man zuerst an Panzer oder Maschinengewehre, doch es gehört noch viel mehr dazu. Was fällt in der Schweiz alles unter die Rüstungsgüter?

Nadia Kuhn: Es gibt verschiedene Kategorien. Zu den klassischen Rüstungsgütern, die unter die Kriegsmaterialverordnung fallen, gehören zum Beispiel Panzer, Munition, Reizgase oder bestimmte Software. Aufgeführt sind sie auf der international anerkannten Wassenaar-Liste. Die Schweiz wollte sich aber nicht damit zufriedengeben und hat die Kategorie der «besonderen militärischen Güter» geschaffen, um den Export zu vereinfachen. Dazu gehören Güter, die normalerweise nicht bei Kampfhandlungen eingesetzt werden, aber leicht um- bzw. aufgerüstet werden können. Pilatus exportiert zum Beispiel Flugzeuge, die in Saudi-Arabien als Trainingsflugzeuge gelten, aber auch im Jemen-Konflikt eingesetzt werden. Die dritte Kategorie sind die sogenannten Dual-Use-Güter, also Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden. Zum Beispiel Überwachungssoftware oder gewisse Chemikalien.

Nadia Kuhn, 1997, war zwei Jahre Sekretärin der Gesellschaft Schweiz ohne Armee (GSoA) und studiert seit Sommer 2021 Umwelt- und Naturwissenschaften an der ETH.

Konkrete Zahlen und Exportstatistiken zur globalen Rüstungsindustrie sind schwer zu finden. 

NK: Ja, weil international sehr unterschiedliche Daten erhoben und herausgegeben werden. Jedes Land verfährt anders. In der Schweiz gibt es seit einigen Jahrzehnten eine Exportstatistik, diese lässt zumindest einige Rückschlüsse zu, wie viel Geld in Rüstungsmaterial fliesst. Auch NGO’s oder Forschungseinrichtungen versuchen immer wieder Zahlen zu erheben, aber die Unsicherheitsfaktoren sind gross. Noch viel unklarer ist aber die ganze Finanzierung: Wer investiert überhaupt in Rüstungsunternehmen und warum? Es gibt ein grosses Interesse daran, diese Zahlen möglichst nicht öffentlich zu machen.

Es gibt diesen populären Vergleich: Das Pentagon verbraucht pro Jahr so viel CO2 wie Schweden. Kann man beziffern, wie viel Emissionen die Kriegsindustrie in Europa oder der Schweiz ausstossen?

Jonas Kampus: Das ist sehr schwer zu sagen. Im Kyoto-Protokoll von 1997 waren militärische Emissionen noch explizit ausgenommen, obwohl besonders die Industrienationen, die auch den grössten Militärkomplex haben, in die Pflicht genommen wurden. Im Klimaabkommen von Paris sind die militärischen Emissionen zwar eingeschlossen, aber sie müssen nicht explizit benannt werden. Auf gut Deutsch hat man also keine Ahnung, die Datenlage ist miserabel. Klar ist aber, dass die weltweiten Rüstungsausgaben steigen – und somit auch die Emissionen.

Eine Vergleichsgrösse à la Fussballfelder würde helfen, sich eine Vorstellung zu machen.

JK: NGO’s schätzen den militärischen CO2-Ausstoss in Grossbritannien auf 11 Millionen Tonnen pro Jahr, das Verteidigungsdepartement spricht aber lediglich von 3 Millionen. In der Schweiz ist offiziell von 1,5 Prozent des Gesamt-CO2-Ausstosses die Rede, diese Zahl halten Fachleute aber für zu niedrig.

Waffenfabrikation und schwere Menschenrechtsverletzungen – Referat von Stephan Moehrle:
10. Dezember, 19:30 Uhr, Frauenarchiv St.Gallen

frauenarchivostschweiz.ch

NK: Anhand der Kampfjets kann man es sich vielleicht besser vorstellen: Die alten FA-18 beispielsweise stossen in einer Stunde 12 Tonnen CO2 aus. Damit könnte ein Auto zweieinhalb Mal um den Globus fahren. Die neuen Kampfjets, die eine grössere Motorenleistung haben, stossen noch massiv mehr aus.

JK: Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) will ja laut eigenen Angaben bis 2050 klimaneutral sein und seine Emissionen bis 2030 um 40 Prozent senken. Ich frage mich, auf welcher Basis diese Zahlen erhoben wurden. Sie scheinen mir doch recht willkürlich.

Welche Kriegsgeräte sind denn die grössten Emissionstreiber?

JK: Auch das ist schwer zu sagen, weil ja neben den direkten Kampfhandlungen auch die Produktion und die Instandhaltung eine Rolle spielen. Einen grossen Teil macht sicher die ganze militärische Infrastruktur und deren Versorgung aus. Ein Leopard-Panzer verbraucht ungefähr 400 Liter pro Stunde, doch er muss auch gebaut, unterhalten und transportiert werden. Auch Essen und Material müssen transportiert und gelagert werden.

Jonas Kampus, 2001, ist im Klimastreik aktiv und seit Dezember 2020 Teil des GSoA-Sekretariats. Er studiert Volkswirtschaftslehre und Physik an der Uni Zürich.

NK: Jeder einzelne Teil des Militärs verursacht massive Emissionen. Doch dieses System verursacht noch ganz andere Probleme, unter anderem den enormen Land- und Wasserverbrauch, Munitionsrückstände oder die Versiegelung gewisser Böden, die man für Truppenübungen braucht.

Ganz zu schweigen von den Auswirkungen unmittelbarer Kriegshandlungen auf Flora und Fauna.

JK: In Russischen Wäldern gibt es bis heute noch aktive Minen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Böden sind über Generationen hinweg kontaminiert. Im Vietnamkrieg wurden ganze Landstriche mit Napalm unbewohnbar gemacht. Die Dattelbäume im Irak wachsen nicht mehr nach. Es gibt unzählige Beispiele, ja. Kommt hinzu, dass man auch die Natur selber zur Kriegsführung einsetzt, indem man beispielsweise Ernten zerstört. Oder aktuell in der Türkei und in der Sahelzone, wo Wasserwege abgeschnitten werden.

Krieg und Klima gehören zu den Hauptfluchtursachen. Die Verteilkämpfe nehmen zu und damit auch die bewaffneten Konflikte, was wiederum die Rüstungsindustrie ankurbelt. Aktuell wird Frontex massiv ausgerüstet. Dieser Kreislauf um Angst, Sicherheit und Geld ist eine Selbsterhaltungsmaschinerie. Wie seht ihr die Rolle von Frontex?

JK: Frontex spielt eine essenzielle Rolle in der Festung Europa und wird diese in Zukunft noch ausbauen. Bereits jetzt hält die sogenannte Grenzschutzagentur Klimaflüchtlinge davon ab, nach Europa zu kommen. Fachleute sind sich einig, dass der Syrienkonflikt unter anderem auch durch eine langanhaltende Dürre eskaliert ist. Und die Klimakrise wird noch viel massivere Migrationsbewegungen auslösen. Darum beschäftigt sich nicht nur Frontex mit dem Thema. Auch das US-Militär oder private Rüstungsanbieter wie Palantir simulieren bereits heute Klimamigrationsströme und bereiten sich vor.

Zusammengefasst: Die Klimakrise ist eine Goldgrube für die Rüstungsindustrie.

NK: So könnte man sagen. Einerseits haben wir die Klimakrise, die Kriege und Fluchtbewegungen massiv fördert, andererseits haben wir die Rüstungsindustrie, die diese Entwicklungen durch ihre Emissionen befeuert. Wenn es mehr Kriege und Konflikte gibt, lautet die Antwort immer: mehr Aufrüstung. Es ist ein Teufelskreis.

Ein Teufelskreis, der unglaubliche Geldsummen bindet, die besser in den Kampf gegen die Klimakrise investiert wären.

NK: Das würde tatsächlich grosse Handlungsspielräume eröffnen! 2019 wurden weltweit 1,9 Billionen Dollar in die Rüstung investiert. Wissenschaftler:innen haben ausgerechnet, dass die Bekämpfung der Klimakrise 1,4 Billionen kosten würde.

JK: Entsprechende Forderungen werden auch immer lauter. An der Klimakonferenz kürzlich in Glasgow gab es mehrere Aktionen von Klimaaktivist:innen, die mehr Geld fürs Klima statt fürs Militär gefordert haben. Eine Forderung, die auch in Bezug auf die Schweiz gilt: Mit den über 25 Milliarden, die die neuen Kampfjets kosten sollen, würde man besser Solarpanels installieren.

Das Militär ist eng mit der fossilen Wirtschaft verbandelt. Wenn die Rohstoffe ausgehen, fliegen auch keine Kampfjets mehr, verkürzt gesagt. Wird die Rüstungsindustrie demnächst «grün»?

NK: Die F-35-Kampfjets werben ja explizit damit, dass sie auch mit Biotreibstoff fliegen. Das ist allerdings weniger Greenwashing, sondern militärische Selbsterhaltungslogik. Dazu muss man auch sagen, dass Biotreibstoffe ebenfalls enorm schädlich sind, gerade was die Landnutzung angeht. Angesichts des hohen Verbrauchs dieser Kampfjets müsste man wahnsinnig viel Nahrungsmittel extra für die Treibstoffgewinnung anbauen. Das ist unsinnig.

In der fotografischen Arbeit it’s not science fiction macht die Ostschweizer Künstlerin Claude Bühler eine Topologie der deutschen und schweizerischen Waffenproduktion sichtbar, ergänzt um eine Hintergrundrecherche. Die Bilder aus Schaffhausen und Neuhausen am Rheinfall sind im Rahmen dieser Arbeit entstanden, wurden aber bisher nicht publiziert.

JK: Der Nato-Generalsekretär träumt ja von einem Solarpanzer, obwohl ich das im Moment noch für unrealistisch halte. Ich gehe mit Nadia einig, dass solche Überlegungen aus militärstrategischer Sicht durchaus sinnvoll sind, da man sich mit erneuerbaren Energien unabhängiger von den fossilen Versorgungsketten machen würde. Das würde auch die Kriegsführung verändern. Man wäre nicht mehr darauf angewiesen, riesige Mengen an Treibstoff mitzuführen. Aber wie gesagt, das ist Zukunftsmusik. Der Grossteil der Militärindustrie macht sich noch wenig Gedanken über «grüne» Kriegsführung – obwohl sie eine der Haupttreiberinnen der Klimakrise und der Inbegriff von neokolonialer, patriarchaler Ausbeutung ist. Allein der Irakkrieg hat, so die Schätzung, 115 Millionen Tonnen CO2 verbraucht.

Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die Zukunft der Kriegsführung gar nicht mehr im Bodenkampf liegt.

NK: Cyber-Kriegsführung wird sicher an Bedeutung gewinnen, aber es wird keine komplette Verlagerung geben. Ab einer gewissen Eskalationsstufe bleibt die Kriegsführung physisch.

Klimadebatten nehmen in den letzten Jahren viel Raum ein. Teile der Zivilgesellschaft und der Politik sind bemüht, an jedem noch so kleinen Schräubchen zu drehen, um die Emissionen zu senken, doch die grossen Brocken fasst man ungern an. Warum werden die Auswirkungen von Krieg und Aufrüstung auf das Klima öffentlich nicht gezielter thematisiert?

NK: Unter anderem, weil das Militär grundsätzlich eine spezielle Rolle im Staat hat. Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Bürgerlichen so gern Geld ausgeben, ohne gross zu hinterfragen – obwohl sich die Militärindustrie von Skandal zu Skandal hangelt. Die Armee wird als Bewahrerin der Freiheit und Unabhängigkeit mystifiziert. Das macht es schwer, sie zu kritisieren, geschweige denn abzuschaffen.

Mehr zum Thema:

OAT St.Gallen: Rüstungsplatz Ostschweiz – Regionale Akteur*innen und ihre Rolle in bewaffneten Konflikten. Selbstverlag, St.Gallen 2021.

Bestellen: oat-sg@riseup.net

JK: Historisch gesehen hat das Militär selten ein Land verteidigt, sondern war immer ein Mittel der herrschenden Klasse gegen aufbegehrende Landsleute, auch in der Schweiz. Und so wird es auch in Zukunft sein. Der «Tages-Anzeiger» fragte kürzlich, was zu tun ist, wenn die Klimaaktivist:innen mit ihren Aktionen noch einen Schritt weiter gehen. Im Ständerat war schon die Rede von «gewaltfreiem Terrorismus», und es gibt Armeeangehörige, die sich laut Gedanken machen, wie man mit dem «Ökoterrorismus» künftig umgehen will.

Ist auf parlamentarischem Weg überhaupt noch was zu machen?

JK: Man kann versuchen, die Militärausgaben zu kürzen, aber das ist Pflästerlipolitik. Die klimafreundlichste Armee ist immer noch keine Armee. Denn das grösste Problem sind nicht die direkten Emissionen, sondern das, was der globale militärisch-industrielle Komplex mit sich bringt: die systematische Ausbeutung von Ressourcen und die Erhaltung der bestehenden Ordnung.

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