Der eine ein Sozialdemokrat, dem man bedenkenlos Wohnungsschlüssel und Bankkonto anvertrauen würde, der andere ein rechtsextremer Gewerkschaftshasser (welch Klassiker in der Geschichte der Automobilindustrie), der tagtäglich Anschauungsmaterial produziert, warum man Reiche besser besteuern sollte. Was Haltung, Anstand und politische Integrität betrifft, unterscheiden sich die beiden derart krass voneinander, dass ich mich für den Vergleich vorab in aller Form entschuldigen muss.
Sagen wir mal so: Der falsche von ihnen ist der Bekanntere, der falsche von ihnen mit mehr Macht ausgestattet, der falsche hat das Kleingeld und die Freizeit, die Weltpolitik auf den Kopf zu stellen und uns in ekelhafte Träume zu verfolgen. Aber es gibt eines – und nur eines – das Cédric Wermuth und Elon Musk gemeinsam haben: Sie machten einmalig Schlagzeilen mit einer Tüte, einer Kiffzigarette, einem Öfchen, wie man es auch immer nennen will. Beide als mutmassliche Nichtquarzer überraschten mit dem Zug an einem Joint in einer Situation, in der man nicht zwingend einen durchzieht. Eine sanfte Abweichung von der Norm, alle Augen drauf, ein feiner Stunt. Behalten wir diese kleinen Haschrebellionen, so unwichtig sie sind, im Hinterkopf.
Zweierlei von der Bürgerbacke
Auf der Weltbühne, die man bereits in lustigeren Zeiten liebevoll «die Gesamtscheisse» nannte, wird derzeit ein anderes Genre gespielt. Dominiert wird die Szenerie von Protagonisten, deren Mimik derart eingefahren ist, dass Zuschauenden der Atem stockt. Auf der einen Seite in tiefer Ernsthaftigkeit die bürgerliche Restvernunft, deren Eigenschaften in dem Aufzug klar werden, als sie buchstäblichen Stolz darüber zeigt, der faschistischen Rechten friedlich die Macht zu übergeben. Begründet wird dies mit einer moralischen Wette: So offenbare sich, dass die anderen zu einer solchen Grösse nicht in der Lage wären.
Die ernsten Züge werden nachvollziehbar, wenn man die Blickrichtung ändert. Denn auf der anderen Seite – und es ist schwer, für längere Zeit konzentriert hinzuschauen – sehen wir eine irritierende Entrückung, wie man sie sonst nur von fortgeschrittener Masturbation und einigen Freikirchen kennt. Angestrengtes Grinsen und jener verdammte Daumen, der immer nach oben weist, verraten, dass keineswegs eine Aktivistin dem Republikaner ihr LSD in den Tee mischte, sondern die Entrückung um jeden Preis gewollt, gesucht und erzwungen wird.
Das Stück zeigt eine öde Männerwelt, grinsende Söhne und unlustige Väter wie Burschenschaft und Regierung, ein traditionelles Familienunternehmen, einen circulus vitiosus, göttliche Wiederkunft. Die Knilche fordern männliche Energie, wollen den Alten ans Leder, um selber die Alten zu werden. Der Burschenführer als Ältester auf der Bühne verkörpert diesen Umstand in einer Person. «Great again» bedeutet totale Erneuerung ohne eine neue Idee. Die Geschichte kennt dies unter dem seltsamen Begriff der «konservativen Revolution»: Weil diese Konservativen nicht selig schunkeln, sondern in ihrer Furcht vor Veränderung eine präventive Konterrevolution ins Werk setzen, die tatsächlich alles ändert.
Nun hat es die propagierte Männlichkeit so an sich, dass ihre Metaphysik durchschaut wird. Jede:r weiss, dass nichts dahinter ist. Selten aber war das deutlicher als in dieser Inszenierung. Wird durch diese Darsteller noch die grässlichste Despotie verwirklicht, und Chancen dafür sind gegeben, so würde doch nie irgendwer auf die Idee kommen, sie deswegen für etwas anderes als die grössten Idioten des Pausenhofs zu halten, der ihre relevante Bezugsgrösse bleibt.
Nur sind das alles andere als gute Nachrichten. Die schiere Unmöglichkeit, diese Akteure ernst zu nehmen, wirkt politisch zu ihren Gunsten. Nicht nur erlaubt dieser Umstand, genau das zu tun, was sie offen in Aussicht stellen, darüber hinaus hinterlässt er das Gegenüber mit einer Ernsthaftigkeit, die darin besteht, dies nicht glauben zu können.
Das Theater der Ernsthaftigkeit hat in der Folge ein dreifaches Problem: die ernsthafte Seriosität, die Ernsthaftigkeit des Unseriösen und das nahezu unmögliche Musikgehör zwischen einem staatstragenden Selbstverständnis und dem Umstand, dass diejenigen ohne ein solches nun ernsthaft den Staat machen.
Kern dieser Verkennung ist die Verständigung darüber, was der Staat sei. Ein gängiges Muster der bürgerlichen Restvernunft besteht darin, das rechte Projekt als eines der Zersetzung zu verstehen, während die Rechten ihrerseits vorgeben, ein solches zu sein, dabei aber das Gegenteil tun. Den Staat auflösen wollen alle, die ihn nicht bei sich wähnen. Ändert sich etwas am Wähnen, erübrigt sich der Wunsch bald. Die grosse Frage ist, was jeweils unter «Staat» verstanden wird: 50 Jahre neoliberaler Rhetorik waren diesbezüglich eine einzige und omnipotente Analphabetisierungskampagne.
Grande finale
Selbstverständlich gilt es hierin, die demokratische Frage zu stellen. Und sie in dieser Hinsicht präzise zu stellen, heisst, sie als «Bullenfrage» zu stellen: der Bestrafungsstaat als Negativfolie zur Auslotung, wie es um ein allfälliges Recht auf Widerstand stünde. Würde nur nach Demokratie gefragt, hätte die Restvernunft diese vehement verteidigt und die Rechte mehr oder weniger ausdrücklich eingestanden, wie scheissegal ihr die Frage ist. Selbst das Gesülze von «Volkes Wille» enthüllt sich beim kleinsten Stresstest als warme Luft einer bestimmten Körperöffnung.
Wird hingegen direkt gefragt, wie es um «deinen Freund und Helfer» steht, reibt man sich die Augen: Da herrscht ein heiliges Einvernehmen auf der Theaterbühne – einmal in ernsthafter Miene und einmal mit entrückter Grimasse. Was als künstlich dramatisiertes Erbauungsstück zwischen Gut und Böse, Vernunft und Wahnsinn, Askese und Masturbation seinen Lauf nahm, kann nicht mehr zu Ende gespielt werden. Der Plot ist gestorben.
An den Kulissenrändern und unter dem Bühnenboden macht sich eine gewisse Unruhe bemerkbar. Nicht dass sie zuvor nicht da gewesen wäre, aber das Spektakel für die Augen überlagerte das kontinuierliche Pulsieren auf den Ohren. Was wie ein Stück für zwei Rollen wirken musste, ist tatsächlich bevölkert von einer dissonanten Menge, die von den Protagonist:innen nicht im geringsten repräsentiert wird – ein Theater im Theater, die Ohren siegen über die Augen, ein dreckiges, blechernes Finale zu Klängen der Internationale.
Die bürgerliche Ernsthaftigkeit und ihr wichsender Zwilling, die rechte Entrückung, verschwinden in der hervorkriechenden Menge. Auch die Augen sehen nun, was zuvor dem Musikgehör vorbehalten war. Dieses Stück wird nicht nur auf der Bühne gespielt. Hinter den Kulissen ist nichts, was nicht dem Dialog der Protagonist:innen entnommen werden könnte, aber an den Rändern, im Untergrund, da spielt die amorphe Musik der Vielen.
Ist das nun verwegen, zu realitätsfern, erbaulich gar? Völlig unerheblich. Theater – und sei es die Gesamtscheisse – wird dadurch definiert, dass lebendige Arbeit darin beobachtet werden kann, ihre Wirkung zu tun. Verschiedene Stücke und Akteur:innen, verschiedene Wirkungen. Warum nicht in die Szene schlurfen? Warum nicht tanzen?
Der psychologische Maschinenraum
Der surrealistische Philosoph Georges Bataille unternahm 1933 den Versuch, den Faschismus zu beschreiben. Der Text ist also unwissend bezüglich des kommenden Gräuels, er ist nicht prophetisch und will es auch gar nicht sein. Was er hingegen bereithalten kann, ist Batailles Momentaufnahme: ein analytischer Blick in den psychologischen Maschinenraum der faschistischen Dynamik.
Dieser ungewöhnliche Kommunist untersucht die «psychologische Struktur des Faschismus», so der Titel. Eine doppelte Übersetzung versteckt, worum es ihm geht: Struktur ist Französisch für die marxsche «Basis» und die meint bekanntlich die Ökonomie. Verwandt mit feministischen Ansätzen der Gegenwart, erweitert Bataille aber den Rahmen dessen, was unter Ökonomie zu verstehen ist, erheblich: Verausgabung und Produktivität stehen in keinem zwingenden Verhältnis mehr. Entkoppelt von der Mehrwertproduktion kriegt man den Blick frei auf ein breiteres Bild des Sozialen, dessen Überschüsse und Abgründe, auf die darin effektiv geleistete Arbeit. Diese Aspekte werden von ökonomischen Statistiken nur mangelhaft wiedergeben, wenn überhaupt.
Zwei gesellschaftliche Elemente stehen sich in Batailles Faschismustheorie scheinbar gegenüber: das Homogene und das Heterogene. Das homogene Element kann man sich als kapitalistische Einförmigkeit vorstellen: Die Geldform alleine erlaubt, völlig unterschiedliche Produkte, von denen manche elementare Bedürfnisse befriedigen und andere auf mitunter blödsinnigste Wünsche schliessen lassen, einheitlich zu bewerten, unsere Arbeitszeit zu vermessen und dabei die Menschen selbst zu Produkten zu machen.

Georges Bataille um 1943. (Bild: Wikimedia)
Antifaschistisch leben
Heterogenität bedeutet im Kontrast dazu ziemlich viel. Heterogen ist das Lebens selbst, das zwangsläufig mit der Homogenität in einen Konflikt geraten muss, und sei es nur im Bereich dessen, was Freud das Unbewusste nennt. Heterogen ist der Abfall, die Poesie, die Erotik und das Lumpenproletariat (im anarchistischen Verständnis), Ladendieb:innen und verrückte Aufständische, kurzum alles, was nicht assimilierbar ist. Aber auch die Gewalt ist heterogen – und darin liegt der faschistische Hund begraben: So uniform das Völkische auch gesponnen ist, so sehr man sich den Führerstaat als eine Homogenität-bis-zur-Vernichtung vorstellen muss, so vermag der Faschismus doch als heterogen zu erscheinen aufgrund der ihn bestimmenden Eigenschaft der Gewalt.
Nun mag sich der Reflex einstellen, rückwärts in die Arme der ungefährlicheren Homogenität zu fliehen. Eine dumme Reaktion, schliesslich kommt da die Gülle hergeflossen. Auch wäre es ein Fehler gewesen, die Problematik an der Gewalt festzunageln, da diese bald schon für die Résistance von nennenswertem Nutzen war. Und wenn man heute in die Vereinigten Staaten schielt, ist die musksche Geldförmigkeit das weitaus grössere Problem als sein verkrampftes Ziehen an einem Symbol heterogenen Scheins.
Es geht also um die faschistische Gewalt, die ihre eigentliche Homogenität mit einem kriegerischen «Abenteuer» übertüncht. Dabei wird auch von bürgerlicher Seite viel gelogen. Der Ökonom und Philosoph Alfred Sohn-Rethel, der dieses Verhältnis untersuchte, schloss bildhaft: «Das Faschistentuch ist schwarz von der Tinte, in der die Bourgeoisie sitzt.» Diese Scharnierfunktion kann gegenwärtig in unterschiedlichen Varianten beobachtet werden. So ein Spannungs- und Abhängigkeitsverhältnis ist vonnöten, damit «konservative Revolution» als kognitive Unmöglichkeit in Erscheinung treten kann: Heterogenität zwecks Homogenität.
Bataille spekulierte auf globale Subversionen, die sich den imperativen Formen erwehren. Heute wissen wir, dass er damit mehr zu unserer Zeit spricht, als es seiner helfen konnte. Dem faschistischen Vernichtungswunsch, dem Befehl zur Destruktion, ist nach Batailles Ansatz bereits in der kleinsten Form mit heterogener Verweigerung zu begegnen, mit einer für diese Maschine nicht produktiven Verausgabung, die wir anders übersetzen dürfen: Es geht darum, auf das befreite Leben hin antifaschistisch zu leben.
Die befriedete Front der Ernsthaftigkeit
Kapitalismus- und Faschismusanalyse sind unverzichtbar zum Verständnis der Strukturen, verraten aber nicht, wer wir selbst in dieser Geschichte sind. Man weiss, auf welcher Seite man steht, und ist doch keinen Schritt weiter. Das eigene Projekt kann nicht alleine davon abhängig gemacht werden, welche Blüten die Liebesheirat von Faschismus und Kapital noch treibt.
Zu einer Orientierung geeigneter ist der Begriff der Ernsthaftigkeit aus der feministischen Phänomenologie Simone de Beauvoirs. Ernsthaftigkeit baut sich gegenüber emanzipatorischen Bewegungen wie eine unüberwindbare Wand auf. Das Problem liegt auf der Hand: Statt sie zu umgehen, wird die Wand aufgrund des immensen Schattenwurfs für das eigentliche Ziel gehalten. Zur Wand zu werden, schafft folglich eine Illusion von Bewegung. Das beinhaltete 1947 eine Stalinismuskritik: Die Märchenstunde vom Übermorgen betonierte die Gegenwart, auf dass sie sich niemals verändere.
Dieser «Frieden der Ernsthaftigkeit» besteht also darin, sich auf die Wand-Struktur hin zu entwerfen, wobei nicht der Entwurf das Problem ist, sondern die Gegenwart der Wand. Weder geht es darum, die Leichtigkeit des Seins in der Abwesenheit einer Zukunft heraufzubeschwören (eine Hypnose), noch darum, die Ernsthaftigkeit, von der man sich emanzipieren muss, selber anzunehmen (Resignation). Die Lösung liegt jenseits der Ernsthaftigkeit in der Perspektive, dass Veränderung eine Gegenwart haben muss. Dass deren Zeit jetzt ist.
Länger konnte man sich nun einrichten in der befriedeten Frontstellung, worin Lüge gegen Wahrheit, Faktencheck gegen die unfassbare Groteske stehen, weil die Ziele unserer irritierten Ernsthaftigkeit darin leicht zu bekommen sind. Liveticker und Talkshows sind Ausgeburten dieses Geistes, wohingegen journalistische Reflexion bereits das Mindestmass an Menschlichkeit enthält: den Witz und das Vermögen, die Struktur der Wand umzudenken.

Simone de Beauvoir 1955 in Peking. (Bild: Wikimedia)
Versuchen wir also die Ernsthaftigkeit der «Trumpomuskovia» zu erkennen. Weirdeste Präsidentendarsteller und Lügenbarone zweifellos, aber einerseits hat man sie niemals wirklich lachen gesehen und andererseits ist Wahrheit eben nicht an Ernsthaftigkeit gebunden. Im Gegenteil erlaubt gerade deren Geschäftsgrundlage – die Scharlatanerie – nicht, die Ernsthaftigkeit auch nur für einen Moment auszusetzen. Wie sonst wollte man die Neuerfindung des Rades in Form eines Vierecks verkaufen?
In dieser Hinsicht gibt es nichts Ernsthafteres als Social Media: selbstverständlich sind das keine sozialen Medien. Schlimmer aber ist, dass sie unter der Behauptung, gesellschaftliche Medien zu sein, top-down gesteuert Beifall generieren zur Politik der Patrons. Lustig wie eine Lachkonserve im Volksempfänger. Die Gesellschaftsform gesellschaftlicher Medien müsste inzwischen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.
Nun hat diese korrupte Oligarchenbande stapelweise Pläne – ernsthafte Pläne – deren Umsetzung in der Gegenwart putschähnliche Züge annimmt. Der disruptive Anschein kann nicht darüber hinwegtäuschen, was übrigbleiben wird, wenn der Staat erfolgreich auseinandergenommen wurde: ein Staat, aber full of shit.
Gefragt ist ein neuer Modus im Umgang mit den gegenwärtigen faschistischen Phänomenen. Sie entsprechen einem Fanatismus der Ernsthaftigkeit, der andauernd suggeriert, andere seien humorlos. Selbst aber werden (reelle!) Sprachverbote, Inquisition und Massendeportationen geplant – und seien wir auch auf die fortwährende Erpressung gefasst: Für weitere Kriege braucht dieses Pulverfass nur kleine Funken.
Stick to the protocol?
Wie begegnet man diesem vergifteten Spiel? Nicht zwingend rhetorisch und bestimmt nicht populistisch. Es ist überlebensnotwendig, dem Reich der Ernsthaftigkeit, dem seriösen Anschein, situativ zu entkommen. Nach Regeln zu spielen ist sinnvoll, solange man sich erhoffen kann, dadurch andere einzubinden, dasselbe zu tun. Sind es aber die Falschspieler, die die neuen Regeln definieren, wird es ausgesprochen zwecklos, sich an dieser Institution zu orientieren.
Dies entspricht auch der beauvoirschen Pointe: Ordnet man sich absoluten Zwecken unter, verliert man die Freiheit in der Gegenwart. Unter faschistischen Vorzeichen – sei es nur die diffuse Konjunktur von Bauteilen solchen Gedankenguts (die zusammengesetzt eine Art Todesstern bilden) – erübrigen sich weitere Erläuterungen. Es gilt, nicht mehr dem Protokoll zu folgen. Es rächt sich, unter Vorzeichen der Freiheit sich nicht frei bewegt zu haben. Bataille und Beauvoir sind vonnöten, damit man nicht in einer Welt endet, wie sie Beckett meisterhaft beschrieb: Nichts geht mehr wirklich. Morast bis zum Hals. Worstward ho! Politische Depression.
Im Zweifelsfall die Abweichung zu wählen, kann auf der anderen Seite viel mit Glaubwürdigkeit zu tun haben. Man darf, aber muss sich darunter nichts Wildes vorstellen. Feinheiten können eine grosse Bedeutung haben: Man denke an den sitzenbleibenden Bernie Sanders. Auch als sich der damalige Juso-Chef vor 20 Jahren einen ansteckte, wurde er von seiner Generation richtig verstanden, da die Politik in ihrer «Vorbildfunktion» ansonsten eher damit beschäftigt war, das Kraut öffentlich mit Heroin zu vergleichen. (Musk hingegen kann rauchen, was er will: Auf die Genderrebellionen der jungen Generation reagiert er schlimmer als ein 60er-Jahre-Spiesser auf die «entartete» Rockmusik, die Joints und Langhaarfrisuren der damals noch jungen Boomer). Und Heidi Reichinnek hat mit ihrer Attitude zuletzt viel dazu beigetragen, die verloren geglaubte deutsche Linke zu retten. Oder träumt man dies bloss? Es ist unerheblich. Weil sie mit der «Ernsthaftigkeit» der «Migrationsdebatte» brach und deren Wahnsinn vorführte, erreichte sie in zwei Reden, was dem wagenknechtschen Stalin-Vibe nie gelang: Sie rief zum Aufstand und Leute gingen hin.
Das sind Ebenen der Performance und Repräsentation. Was für diese zählt, gilt aber im Allgemeinen umso mehr: Das Leben spielt in der Gegenwart. Seriosität wird zur Todesfalle, wenn das Projekt, in das sie eingebunden ist, sich zum Schlechtesten wandelt. Dann kann man sich darüber wundern, dass sich überhaupt etwas verändert – doch ist eben das gerade gar nicht seltsam.
Das, worauf wir wie hypnotisierte Katzen starren, dieses zutiefst hassenswerte Ausagieren der politischen Reaktion, kommt aus deren Anlage, lieber zu sprengen als mitzuerleben, wie brüchige Elemente im Verbund mit steten Tropfen tatsächlich unaufhaltsame Veränderungen herbeiführen. Heterogen erscheinen jene eingefrorenen und fanatischen Visagen nur, wenn man sich längst dem Frieden der Ernsthaftigkeit ergeben hat. Auch diesen kann man unter heutigen Verhältnissen anders übersetzen: Es ist Unterwerfung, das Über-sich-ergehen-Lassen unerträglicher Gegenwarten als Mittel zu irgendeinem Zweck; la tranquillité du sérieux – ernsthafte Untätigkeit.