Die Demokratie kränkelt

Die Demokratie ist los beginnt mit ein paar Close-Ups vom Gegner: Die Kamera begleitet die Prominenz der SVP, als diese beim Bundeshaus ihre «Durchsetzungsinitiative» einreicht. Toni Brunner gibt sich jovial, Adrian Amstutz ist wie immer gut geschniegelt, Nachwuchspolitiker Erich Hess hilft beim Schleppen der Kisten mit den Unterschriftenbögen.
Auf der anderen Seite, hinter der Kamera, steht der Basler Filmemacher Thomas Isler. In seinem jüngsten Werk, das diese Woche in die Schweizer Kinos kommt, seziert er die direkte Demokratie der Schweiz.
Diagnose: Unser politisches System ist wenn nicht krank, so zumindest schwer angeschlagen.
Die Stichworte dazu aus Islers Film: Minarettinitiative, Ausschaffungsinitiative, Masseneinwanderungsinitiative. Populismus, diskriminierte Minderheiten, Meinungsmache. Und eben, die Durchsetzungsinitiative, mit der die SVP nochmals betonen will: Jetzt erst recht! «Das Volk» will es so!
Blocher klopft auf den Stammtisch
Isler bekennt schon im Vorspann aus dem Off, auf welcher Seite er steht: «An Abstimmungssonntagen gehöre ich meist zu den Verlierern.» Der Dok-Film Die Demokratie ist los hat also Haltung, eine ziemlich klar gegen SVP & Co. gerichtete Haltung. Damit muss man als Zuschauer leben können.
Aber in gewissen Zeiten muss man Objektivität auch mal einfach mal kippen dürfen. Es sind Zeiten, in denen «demokratische Entscheide den Rechtsstaat beschädigen», wie Isler etwa die Ausschaffungsinitiative kommentiert.
Um das aufzuzeigen, reist Isler durch die Schweiz und ihre Nachbarländer. Berührungsängste hat er nicht: So begleitet er in zwei Szenen Christoph Blocher, der in ländlicher Umgebung vor SVP-Publikum hämisch über die Bundesverwaltung wettert. Die habe Angst vor dem Volk und mache alles, damit dieses nicht mehr Mitsprache habe.
Blochers Rhethorik scheint – zumindest in diesen Aufnahmen – einzig darin zu bestehen, «die in Bern» und «die Richter in Lausanne» in plumpster Stammtischmanier als unfähige Paragraphenreiter hinzustellen.
Sein Rezept dagegen: Die Herrschaft des Volks, natürlich.
Der Trailer zum Film:
Demokratie auf die Spitze getrieben
In verschiedenen Interviews stellt Isler dieser Hetze Einwände entgegen. Etwa jene der Staatsrechtler Oliver Diggelmann und Philippe Mastronardi. «Wir haben die direkte Demokratie in der Schweiz auf die Spitze getrieben. Es fehlt ein Verfassungsgericht», stellt Mastronardi klar. Wer glaube, Demokratie sei die absolute Selbstherrschaft des Volkes, habe nichts begriffen.
Und Diggelmann doppelt nach: «Es gibt in der Schweiz die Erwartung, dass mit der direkten Demokratie jedes Thema auf die politische Agenda gesetzt werden kann – egal, ob eine Initiative mit internationalem Recht kollidiert.» Dieser Konflikt sei noch immer ungelöst.
Derweil nimmt die Initiativflut weiter zu: 36 Mal, so wird im Film vorgerechnet, haben wir seit 1948 zum Thema Migration abgestimmt. «Und jedes Mal haben sich Ausländer in der Schweiz danach auf irgendeine Weise ausgegrenzt gefühlt», glaubt die Waadtländer Nationalrätin Cesla Amarelle (SP), die im Film immer wieder auftritt.
Auch Alt Bundesrichter Giusep Nay (CVP) meldet sich als Kritiker zu Wort: Bei Initiativen wie der Ausschaffungs- oder der Minarettinitiative habe eine sachliche Auseinandersetzung mit Argumenten in den Medien «fast völlig gefehlt». So seien Initiativen durchgekommen, die den Schutz des Einzelnen vor dem Kollektiv schwächen. Oder anders gesagt: Die Minderheiten gezielt diskriminieren.
Die etwas einseitige Auswahl seiner Experten ist eine Schwäche von Islers Film: Zwar redet er in der Wandelhalle des Bundeshauses immer wieder auch mit bürgerlichen Politikern, sogar mit Blocher, streift in den kurzen Interviews die wichtigen Fragen aber nur. Mit Diggelmann, Mastronardi und Co. wurden für den Film hingegen längere Interviews zum Thema geführt.
Fehlte Isler die Lust, sich wirklich mit den Argumenten der Gegner seiner These auseinanderzusetzen? Die da nämlich lautet: Wir schlittern auf eine «Diktatur der Mehrheit» zu. Es drohen immer mehr populistische Initiativen, die die Bundesverfassung und so letztlich internationales Recht verletzen.
Auch der Front National will mehr Demokratie
Zugegeben: Wenn man im Film sieht, welche europäischen Politiker das Hohelied der direkten Demokratie singen und der SVP auf die Schulter klopfen, muss das nachdenklich stimmen. Mit einer Ausnahme sind es die übelsten rechtspopulistischen Parteiführer Europas. Etwa FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache, Front National-Vertreter in Frankreich oder die Bewegung «Pro NRW», eine Art Vorgänger von Pegida. Und überall gleichen sich die Argumente: Die Eliten verarschen uns, entscheiden über unsere Köpfe hinweg. Wir, das Volk, wüssten schon, wie man es richtig macht.
Zurück in der Schweiz zeigt der Film aber auch, dass die Parteien bisher nicht willens sind, die direkte Demokratie in geordnete Bahnen zu lenken. Vielmehr sei die Initiative zum Wahlkampfvehikel schlechthin verkommen, sagt Staatsrechtler Mastronardi. «Dabei war dieses Instrument ursprünglich für jene gedacht, die keinen Einfluss im Politgeschehen haben.»
Islers Film erinnert uns aber auch an langsam in Vergessenheit geratende Ereignisse, obwohl sie erst vier oder fünf Jahre her sind – und macht hellhörig in Hinblick auf das, was noch kommt: Es sind schliesslich bald Wahlen. Und die eingangs erwähnte Durchsetzungsinitiative dürfte 2016 zur Abstimmung kommen.
Premiere: Freitag, 4. September um 19 Uhr im Kinok.
Im Anschluss Diskussion mit SP-Ständerat Paul Rechsteiner und FDP-Kantonsrat Walter Locher, Moderation: Hanspeter Trütsch, Leiter SRF-Bundeshausredaktion.
Titelbild: Die SVP beim Einreichen ihrer Durchsetzungsinitiative. (Bild: cineworx/pd)