Die Chancen des Stillstands

Die Einwohnerzahl St. Gallens stagniert. Die Stadt wächst nicht. Ist das ein Problem? Für die einen ja, für die anderen nein. Diesen Montag wird im Architektur-Forum diskutiert.
Von  René Hornung

Dank Stillstand sind in der Stadt St.Gallen mehrere Areale an bester Lage bisher frei gebliebenen – auch entlang der im Talboden verlaufenden Bahngleise. Im Gegensatz zu anderen Städten hat sich die SBB hier als Grundeigentümerin verabschiedet und ihre Flächen der Stadt und dem Kanton St.Gallen verkauft.

Von Ost nach West handelt es sich um die Rangiergleise des Vorortsbahnhofs St.Gallen-St.Fiden, um das Areal «Bahnhof Nord» zwischen Fachhochschule und Lokremise und um den zwischengenutzten Güterbahnhof, auf dem später ein zusätzlicher Autobahnanschluss gebaut werden soll.

Brache Güterbahnhof. (Bilder: Beni Blaser)

Am raschesten baureif ist die nahe am Gleis liegende Ruckhalde, auf der früher die Appenzellerbahnen den Hügel hinauffuhren, während sie jetzt im Tunnel die Höhendifferenz überwinden. Zusammen mit den Brachen an der Oberstrasse handelt es sich um lauter bestens gelegene und erschlossene Gebiete, im oder neben dem St.Galler «Bahngraben». Für zwei Areale, für St.Fiden und Bahnhof Nord, existieren bereits Testplanungen. Sie zeigen hohes Nutzungspotenzial und ähneln darin den heute gängigen Grossüberbauungen. Für St.Fiden fordern Wirtschaftsvertreter sogar eine Überdeckung der Gleise.

«Tiefbau ist kein Städtebau»

Die «Hochparterre»-Reportage aus St.Gallen diskutiert die Perspektiven der bahnnahen, brachliegenden städtischen Areale. Zum Bahnhof Nord etwa heisst es, das Aussetzen des «Immo-Investments-Getriebes» ermögliche neue städtebauliche Perspektiven. In St.Fiden brauche es ebenfalls keine spekulativen Grossprojekte, sondern Parks und Wohnhäuser. Und am Güterbahnhof würde der Autobahnanschluss attraktive andere Nutzungen verhindern. «Tiefbau ist kein Städtebau», lautet das Fazit. (red)

Doch finden solche «Grand Projets» in einer stagnierenden Stadt überhaupt Investoren? Braucht St.Gallen diesen heute gängigen Städtebau? Wären die bisher frei gebliebenen Areale nicht eine Chance, die Stadt von öffentlichen Nutzungen her anders zu planen und zu entwickeln? Statt Stadtplätze als Restflächen zu gestalten, könnte hier von den Freiräumen her gedacht werden. Fänden nicht Quartierpärke oder Bauten mit öffentlichen Nutzungen leichter ihr Publikum als gängige Wohn- und Gewerbeneubauten?

Deshalb die Frage: Welche Chancen bietet der Stillstand? Die Zeitschrift «Hochparterre» hat in ihrer Ausgabe 6-7/19 den möglichen «Paradigmenwechsel» zum Thema gemacht: «Könnte die langfristig lebenswerte Stadt wieder wichtiger werden als der kurzfristige finanzielle Gewinn? Die Chancen stehen dort gut, wo die Aussicht auf den grossen Reibach ohnehin gering ist. Zum Beispiel in St.Gallen…».

St.Fiden: Parkplatz statt Lebensraum.

Städtebau-Stammtisch:
16. September, 19.30, Architektur Forum St.Gallen, Davidstrasse 40

Illustriert ist der Beitrag unter anderem mit Bildern vom Lattich und von der Parkplatz-Ödnis in St.Fiden. Jetzt kommt die Diskussion vom Heft in die Stadt. Am Städtebau-Stammtisch von «Hochparterre» und Architektur-Forum diskutieren Architekturprofessorin Anna Jessen, der St.Galler Stadtplaner Florian Kessler, Entwickler Klauspeter Nüesch und Stadtsoziologin Joëlle Zimmerli.