«Die Bullen machten keinen Mucks»

In der Schweiz ist es schwer vorstellbar, dass ein Polizeikorps innerhalb kurzer Zeit genügend Polizisten für einen grossangelegten unfriedlichen Ordnungseinsatz aufbieten kann, sagt Hans Stutz. Was nicht heisst, dass die Organisatoren rechtsextremistischer Konzerte nicht strafrechtlich verfolgt werden müssen.
Von  Gastbeitrag

Fünf-, vielleicht auch sechstausend Neonazis besuchen ein Konzert in der Tennis- und Eventhalle Unterwasser, angekündigt waren sechs Bands, darunter die Schweizer Gruppe «Amok», deren Mitglieder bereits wegen Rassendiskriminierung sowie weiteren Delikten vorbestraft sind. Auch zwei weitere der auftretenden Bands gehören zu den «Stars» dieser rechtsextremen Szene.

unterwasser

Merkt euch die Gesichter! (Bild: Antifa Bern, Klick zum Vergrössern)

Die Antifa Bern berichtet (wieder einmal) zuerst über «das grösste Rechtsrock-Konzert der Schweiz». Das war es in der Tat. Erst einmal hatten in der Schweiz mehr als tausend Personen ein Naziskin-Konzert besucht: im August 2002 in Affoltern am Albis.

Medienleute verboten

Die Antifa Bern erwähnt auch, dass die Schweiz als «Konzertparadies» gelte. Das ist die Eidgenossenschaft seit vielen Jahren, zumindest in den Augen der Naziskins. Dies belegt auch ein Blick in verschiedene Szene-Fazines (Zines) aus der Zeit der Jahrtausendwende. Nach einem Konzert in Sarnen im Kanton Obwalden im Sommer 2001 berichtete ein Deutsches Zine: «Am Konzertort angekommen, sah man gleich die Bullen, aber wie es in der Schweiz normal ist, machten sie keinen Mucks.»

Und nach dem bereits erwähnten Konzert bei Affoltern am Albis lobten die Veranstalter die Polizei: «Sie (die Polizisten) machten ihre Arbeit korrekt und waren stets freundlich. Insbesondere entsprachen sie auch unserem Wunsch, die Medien fernzuhalten.» Immerhin waren die anreisenden Konzertbesucher kontrolliert, den Medienschaffenden war die Annäherung an das abseits gelegene Festgelände allerdings untersagt worden.

Ich hatte in der «Sonntagszeitung» zuvor publik gemacht, dass ein Konzert stattfinden werde. Bereits damals wurde der genaue Ort erst bei einem Schleusungspunkt bekanntgegeben.

Gründe für den «Glatzentourismus»

Der gute Ruf der Schweiz bei den Naziskins beruht auf zwei Elementen.

Erstens: Die Polizei ist zwar (meistens) vor Ort, unternimmt allerdings nichts, um ein Konzert zu verhindern. Nicht wie in Deutschland, wo es immer wieder mal geschieht, dass Konzerte ganz verhindert oder nach entsprechenden Verstössen abgebrochen werden. Allerdings ist es in der Schweiz schwer vorstellbar, dass ein Polizeikorps innerhalb kurzer Zeit genügend Polizisten für einen grossangelegten unfriedlichen Ordnungseinsatz aufbieten kann. Ganz abgesehen davon, dass es einem freiheitlichen Staat gut ansteht, wenn die Behörden Veranstaltungen nicht vorsorglich untersagen.

Zweitens: Die Polizei tut nichts, um allfällige Widerhandlungen gegen die Rassismus-Strafnorm zu erkennen und auch zu dokumentieren. Viele Jahre lang konnten sich die Ordnungshüter hinter der üblichen Behauptung der Organisatoren verstecken, es handle sich um einen «Privatanlass». Und somit könne gar keine Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm vorliegen, da das Tatbestandsmerkmal «Öffentlichkeit» nicht gegeben sei.

Das Bundesgericht hat aber im Mai 2004 in einem Grundsatzentscheid festgehalten: Öffentlich sei alles, was nicht privat sei. Und privat seien «Äusserungen im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld».

Undercover im Wallis

Skinhead-Konzerte gelten folglich als «öffentlich», und das Vortragen rassistischer Lieder – wie sie viele Skinhead-Bands in ihrem Repertoire haben – wäre strafbar. Dennoch wurden erst einmal Konzert-Organisatoren wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Nicht nach einem besonderen polizeilichen Effort, sondern gestützt auf das Ergebnis zivilgesellschaftlichen Engagements eines Journalisten, der undercover im September 2005 bei einem Blood-and-Honour-Anlass im Oberwalliser Dorf Brig-Glis Bild- und Tonaufnahmen machte. (Unter den auftretenden Bands war auch damals die Gruppe Amok.) Nach der Ausstrahlung einiger Konzert-Szenen durch die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens eröffneten die Strafbehörden eine Untersuchung.

Eines ist sicher: Sobald die Organisatoren rechtsextremistischer Konzerte mit strafrechtlichen Folgen rechnen müssen, verliert die Schweiz bei den Naziskins den Ruf als «Paradies» für Konzerte.

Hans Stutz ist Journalist mit den Schwerpunkten Rechtsextremismus und Rassismus. Er ist auch Luzerner Kantonsrat (Grüne).