Der Widerspenstigen Selbstzähmung

Ohm41 Wil: Chaotentrupp, Kunstnetzwerk, Protuberatoren (gemäss Selbstdeklaration). Widerstand (die Einheit für den elektrischen Widerstand ist «Ohm») war einst Markenzeichen der Gruppe. Mit der Opposition gegen ein Kunstwerk im öffentlichen Raum wurde sie 2000 schlagartig berühmt: Kurzerhand versenkten Ohm41 die Skulptur eines auswärtigen Künstlers – das Geschenk einer auswärtigen Zementfirma – symbolisch im Stadtweiher. Und 2006 stellten sie über Nacht rostige Betten in die Altstadt.
Am Renommée Wils als Schlafstadt änderte das zwar nichts, aber Bürger wie Behörden merkten: Da ist eine Stimme herangewachsen, die in Sachen Kultur mitreden will und es auch tut. Mit regelmässigen Gemeinschafts-Ausstellungen, bevorzugt mit grösseren Objekten im Freien, knackten die «Öhmler» schliesslich auch das Establishment. 2012 erhielten die zehn Kunstschaffenden den Anerkennungspreis der Stadt Wil.
Die Rebellen schreiben einen Brief
Das Netzwerk, das sich als «Aufroller, Reflektor und Aufzeiger von gesellschaftlichen Wucherungen» versteht, hat nun aber schon seit einiger Zeit, genau seit der Schlafstadtaktion 2006, keinen Finger mehr auf Wucherungen gehalten. Erfolg macht offenbar betriebsblind. So blind, dass die zehn Aufmerksamen (vier sind in Wil wohnhaft) zu spät bemerkten, dass die Stadt bei ihrem teuersten Neubau seit Jahren, dem im Februar 2014 eröffneten Sportpark Bergholz, gegen ihre eigenen Weisungen verstossen hatte. Gemäss den Richtlinien zur Kulturförderung, die der Stadtrat im Juni 1998 erlassen hatte, hätte am Sportpark nämlich ein Prozent der Bausumme für Kunst am Bau eingesetzt werden müssen. Bei 58 Millionen Franken Baukosten wäre das immerhin eine halbe Million für die Kunst, sprich: für einheimische Kunstschaffende, gewesen.
Als man sich im Netzwerk auf die Widerstands-Rolle von einst besann, war es längst zu spät. Immerhin schrieb man dem Stadtrat einen Brief, indem die Unterlassung angeprangert wurde. Der Stadtrat tat, was ein Stadtrat immer tut, wenn das Spiel abgepfiffen ist, nämlich nichts mehr. Ohm41 zeigte sich frustriert. Nicht wegen der halben Million, die manchen Kunstschaffenden eine Zeitlang ernährt hätte, sondern ob des Umstands, dass sich die Stadt Wil, wenns drauf ankommt, um die Anliegen der Kunst foutiert. Richtlinien erlässt und sich nicht daran hält. Eine Kulturkommission unterhält, die – ausser der gelegentlichen Beurteilung von anzuschaffenden Kunstwerken – keine weiteren Aufgaben hat. Eine Kulturbeauftragte angestellt (2013) und ein Kulturleitbild in Kraft gesetzt hat (2014) – und sich trotzdem nichts ändert.
Kritik am fehlenden Förderprofil
«Wil bleibt eine selbstgefällige Schlafstadt», sagt Markus Eugster, Co-Vizepräsident von Ohm41 (der zweite Co-Vizepräsident Renato Müller sitzt selbst in der Kulturkommission). Doch Ohm41, das selbsternannte Rebellennetzwerk gegen gesellschaftliche und behördliche Wucherungen, muss sich seinerseits den Vorwurf gefallen lassen, selbstgefällig geworden zu sein. In den letzten Jahren reiste die Truppe mit gütlicher Unterstützung von Stadt und Lotteriefonds einmal im Jahr ins Ausland, um sich inspirieren zu lassen.
Aus diesen Inspirationsreisen resultierten zu Hause jeweils zwar grandiose Ausstellungen mit überwältigendem Publikumsinteresse. Doch 2013 wurde in Porto eine Intervention namens «Leerraum» durchgezogen, die kaum jemanden – weder dort noch hier – interessierte. Und 2014 fuhr man in die Toscana, um mittels des fingierten Grossprojekts «SVIT Transit AG» (eine Schnellbahnlinie zwischen Florenz und Siena) auf die verpasste Chance im Wiler Sportplatz Bergholz aufmerksam zu machen. Das Titelbild zeigt die Mitglieder von Ohm41 beim Demonstrieren vor dem Gemeindehaus von Greve in der Toscana. Wofür? Wogegen?
Der Rebellengeist ist nun aber doch neu erwacht. Diesmal gilt der Widerstand dem Verein Thurkultur. «ThurKultur ist nur eine weitere Institution im Kulturkuchen, die Kultur verwaltet», sagen die Ohm41-Exponenten Markus Eugster und Stefan Kreier. Es habe sich nichts geändert seit der Installation des Vereins (der die öffentlichen Gelder von Gemeinden der Region und des Lotteriefonds verteilt). ThurKultur fehle jegliches Profil, der Kommerz treibe weiter Blüten. Ohms Fazit: Trotz Thurkultur, einem Kulturleitbild und einer Kulturkommission habe sich in der Stadt Wil kulturell nichts verändert. Zuständig sei stets die andere Institution, heisse es, wenn man nach finanzieller Unterstützung frage.
An der HV von ThurKultur am 15. Mai ist Ohm41 darum demonstrativ aus dem Verein ausgetreten. Stefan Kreier: «Wir werden wieder mit rebellischen Aktionen auf die Situation in Wil aufmerksam machen. Wir sind Widerständler, in Organisation wie ThurKultur haben wir doch nichts verloren!» Das tönt in der Tat wie die Auferstehung aus der Asche der Widerstandslosigkeit.
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