Der Wahnsinn der Welt

Die Karikaturen des St.Galler Grafikers und Künstlers René Gilsi sind heftig. Eine kleine, aber feine Ausstellung im Museum Heiden bietet jetzt Gelegenheit, in seine Bild- und Gedankenwelt einzutauchen. von Peter Müller
Von  Gastbeitrag
Düstere Aussichten: Gilgi warnte schon 1973 vor den Folgen ungebremster Autoabgasemissionen. (Bild: pd)

«Keine leichte Kost» – die Warnung im Titel ist begründet: Die Karikaturen des St.Galler Grafikers und Künstlers René Gilsi (1905–2002) sind heftig. In prägnanten, harten Zeichnungen und Begleittexten thematisiert er den Wahnsinn der Welt – von Wettrüsten bis Umweltzerstörung, von Konsumwahn bis Atomkraft.

Viele Zeichnungen haben etwas Zorniges, nicht wenige etwas Alptraumhaftes, Apokalyptisches. Und oft müsste man nur die Legenden austauschen und die Zeichnungen würden zu heute passen, die Leichen im Fluss Mekong etwa: Vietnamkrieg 1970? Es könnte auch das Mittelmeer 2021 sein. Oder die Sitzung der fünf Männer mit Brettern vor dem Kopf: Der Gemeinderat der fiktiven Gemeinde Hintermischtikon 1972? Es könnte auch ein Verwaltungsrat oder ein Parteivorstand 2021 sein.

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Der Besuch der Ausstellung empfiehlt sich trotzdem – selbst in diesen heiteren Sommerwochen. Es sind meisterhafte Zeichnungen und eindrückliche Zeitdokumente, direkt und doch differenziert, die meisten publiziert in der Satirezeitschrift «Nebelspalter». Sie vermitteln Einsichten in den Wahnsinn der Welt und helfen, diesen irgendwie auf Distanz zu halten. Die klugen, prägnanten Begleittexte liefern vertiefende Informationen.

Im Raum steht allerdings auch die kritische Frage, was denn Lösungen oder Alternativen sind. Der «Nebelspalter» habe dazu wenig zu sagen gehabt, meint die Ausstellung: «Dass dies auch für Frustrationen bei den LeserInnen sorgen konnte, versteht sich. Nicht wenige haben mit der Abbestellung des Nebelspalter-Abonnements darauf reagiert.»

René Gilsi. Karikaturen – aber keine leichte Kost!: bis 24. April 2022, Museum Heiden

museum-heiden.ch

Im Zweiten Weltkrieg war der «Nebelspalter» ein geistiges Bollwerk gewesen. Mit seiner Kritik an der modernen Konsumgesellschaft und ihren Auswüchsen kam er nach 1945 weniger gut an: «Die Macher wurden als intellektuelle Miesepeter und Stänkerer, Spielverderber und Zukunftsskeptiker betrachtet.» Was hätten René Gilsi und seine Kollegen wohl heute zu Corona zu zeichnen, zum Klimawandel, zur Flüchtlingskrise oder zur Digitalisierung?

Die kleine, aber feine Ausstellung im Museum Heiden bietet Gelegenheit, in Gilsis Bild- und Gedankenwelt einzutauchen. Man fragt sich, wie er es fertiggebracht hat, das Weltgeschehen 70 Jahre lang so zu kommentieren, und wie er das ausgehalten hat.

Die Ausstellung erweist aber auch Carl Böckli (1889–1970) die Referenz, dem Grand Old Man des «Nebelspalters», der Gilsi von kleinauf kannte. Der legendäre «Bö» arbeitete seit 1922 für die Satirezeitschrift, 1927–1962 war er leitender Redaktor. Seit 1936 lebte er in Heiden. Dort wurde er 1970 auf einer übersichtlichen Strasse umgefahren und tödlich verletzt. Der Fahrer kam mit einer leichten Strafe davon.