, 27. Februar 2024
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Der Versuch zur Versöhnung

Am vergangenen Freitag wurde im CaBi-Antirassismustreff in St.Gallen die Menschrenrechtssituation in Sri Lanka thematisiert. Dazu gab es die Premiere eines Kurzfilms, betroffene Journalist:innen, die zu Wort kamen, und ein bisschen Wahlwerbung in eigener Sache der beiden Initianten. von Bianca Schellander

Haben den Abend organisiert: Freddy Gamage, Jeyakumar Thurairajah, Sarath Maddumage und Sunanda Deshapriya. (Bilder: bnc)

In den Räumlichkeiten des «CaBi Antirassismus-Treffs» in St.Gallen duftete es angenehm nach Dal und Curry. Die Idee, eine «Küche für alle» mit einem Informationsabend zur Menschenrechtssituation und Demokratie in Sri Lanka zu verbinden, entstand spontan. Der ehemalige Journalist, Gewerkschafter und Singhalese Sarath Maddumage (mehr über ihn erfährst du hier) und der St.Galler Grünen-Stadtparlamentarier und Tamile Jeyakumar Thurairajah organisierten diesen Abend gemeinsam. Somit sprachen ein Vertreter der Mehrheit und ein Vertreter der Minderheit auf Augenhöhe vor den Anwesenden – eine Begegnung, die in Sri Lanka noch immer undenkbar ist.

Ranjith Lochbihler, ein Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist aus Berlin, ergriff als erster das Wort über Zoom. Er beleuchtete den Begriff der Demokratie und wies darauf hin, dass Sri Lanka eine demokratische Verfassung besitzt. Doch dem Land fehlt der Rechtsstaat. Was bedeutet also Demokratie in diesem Kontext besonders für Minderheiten? Sarath und er waren sich einig: Die Stärke einer Demokratie liegt nicht in dem, was die Mehrheit sagt, sondern viel mehr darin, was Minderheiten sagen können und dürfen. Es geht darum, wie ihre Rechte behandelt werden und ob sie dieselben Rechte wie die Mehrheit haben oder in Unterdrückung leben müssen.

Sarath Maddumage stellte seinen neuen Kurzfilm Cat black erstmals diesem Kreis vor, mit der Absicht, ihn am Locarno Film Festival 2024 zu präsentieren. Die Bilder erzählen eine Geschichte, die er nur allzu gut kennt: die Repression, mit der freie Journalist:innen in Sri Lanka kämpfen, die Gefahren, denen sie sich aussetzen, wenn sie gegen die Unterdrückung der Minderheiten berichten, und ihr Beitrag für ein gerechteres Land. Die Atmosphäre war bedrückend, und man spürte, wie viel persönliche Erfahrung in diesen Momenten steckte.

Zivilbevölkerung leidet noch immer

Sarath betonte abschliessend erneut, dass die anwesenden Journalisten an diesem Abend grosses Glück hatten – Glück, weil sie hier waren, Glück, weil sie noch am Leben waren. Sein eigenes Glück, nach 14 Jahren nun in der Schweiz zu sein, möchte der ehemalige, einst gefolterte Gewerkschafter nutzen, um lokal in die Politik zurückzukehren. Nachdem er letztes Jahr erfolgreich eingebürgert wurde, kandidiert er nun direkt für die Grünen im Thurgau.

Im Anschluss präsentierte der Journalist und Menschenrechtsaktivist Sunanda Deshapriya seine Einblicke in die Situation Sri Lankas. Bereits 2022 berichtete er in St.Gallen von den massiven Protestbewegungen, insbesondere in Colombo. Er spannte den Bogen von den Bombenanschlägen 2019 zu den anhaltenden Protesten drei Jahre später. Trotz eines durchschnittlichen Einkommens in Sri Lanka, das etwa ein Zehntel des Schweizer Einkommens beträgt, stiegen die Lebensmittelpreise auf das gleiche Niveau wie in der Schweiz. Die Regierung greift nicht nur durch massive Steuererhöhungen in die Freiheiten der Zivilbevölkerung ein, sondern auch mit einem neuen Anti-Terrorismus-Gesetz, das es der Exekutive ermöglicht, Menschen allein auf Verdacht festzunehmen. Zudem bedroht die «Online Safety Bill» den freien Internetzugang und droht mit Gefängnisstrafen für diejenigen, die die Zensur umgehen.

Sunanda beschrieb die anhaltenden Bedingungen des Krieges gegen die tamilische Bevölkerung und zieht Parallelen zu Gaza. Er berichtete von den 10’000 bis 20’000 Menschen, die seit einem Jahrzehnt spurlos verschwunden sind, und wies darauf hin, dass der Polizeichef selbst wegen Folter verurteilt wurde. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, welche Erwartungen man da noch an den Rest der Polizei haben könne.

Die Zivilgesellschaft als Brandmauer

Abschliessend ergreift Jeyakumar Thurairajah das Wort. Ob es nun um Korruption in den Regierungsebenen, die zunehmende rechte Radikalisierung in (europäischen) Gesellschaften oder inszenierte Angriffe auf die Sicherheit der Bevölkerung gehe: Nur gemeinsam könne wir dieser Entwicklung Einhalt geboten werden. Die Demokratie, wie wir sie heute kennen, sei nicht einfach so entstanden, sondern über Jahrzehnte erkämpft worden, von ganz «normalen» Menschen. Es sei an der Zeit, sich als Gesellschaft zu vereinen, um diese erkämpften Werte zu verteidigen und zu zeigen, dass wir nicht bereit sind, sie aufzugeben.

Ob dies durch Proteste gegen das rechtsextreme AFD-Treffen in Potsdam, durch gewerkschaftliche Strassenproteste in Sri Lanka gegen sich ständig verschlechternde Lebensbedingungen, Steuererhöhungen und Verteuerung von Grundnahrungsmitteln oder durch Kandidaturen in den Kantonen St.Gallen und Thurgau geschieht – wichtig sei, sich zu engagieren für eine Welt, die gerechter, demokratischer und inklusiver ist.

Jeyakumar Thurairajah sitzt seit acht Jahren im St.Galler Stadtparlament und kandidiert dieses Jahr für die Kantonalratswahlen für die Grünen. Er teilt mit, dass er – als Tamile – erst hier in der Schweiz den ersten Kontakt zu Singhalesen hatte, die ihm nichts Böses wollten. Erst hier konnte er lernen, einen Weg der Versöhnung zu gehen und sich gemeinsam für die Stärkung der Demokratie und die Verbesserung der Umstände für alle einzusetzen. «Regierungen kommen und gehen, die Bevölkerung bleibt», drückt es Sunanda aus.

Der CaBi-Antirassismus-Treff, der seit nunmehr 30 Jahren besteht, ist zweifellos der ideale Ort für eine solche Veranstaltungen und Begegnungen.

Curry, Dal und Papadam: Fürs leibliche Wohl war gesorgt im Cabi.

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