Der Stein des See-Anstosses
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Auf dem Höhepunkt des Stücks kommt der Sturm. Eben noch liegt der See ölig blank da, über die Bucht blinken die Kräne von Arbon, weitweg das deutsche Ufer, die Trauerweide steht majestätisch – und dann ein Blitz, ein Schlagzeugdonner, aus dem See tauchen die Wassergeister auf samt Windmaschine und wirbeln das Steinacher Volk durcheinander, Welle an Welle treibt sie hin und her, die Äste knarren und die Musik jault weltuntergangsmässig.
«S liit öppis i de Luft», hatte die hellsichtige Juliana schon immer gesagt, und jetzt ist es da. Der virtuos inszenierte Sommernachtssturm wirft Land und Wasser über- und durcheinander und bugsiert die Steinacher am Ende wieder auf den harten Bretterboden der geschichtlichen Realität.
Im Sturm kommt alles zusammen, was die Qualitäten dieser Freilichtaufführung ausmacht. Allen voran die grandiose Naturkulisse: die Trauerweide, das Farbenwunder am makellosen Premierenhimmel, im Rücken das gewaltige Gredhaus, das den einstigen Steinacher Hafen dominierte. Stefan Kreiers ideenreiche hölzerne Bühne ist Hafen, Landesteg, Hüttendorf und Tummelplatz der Geschichten und Gefühle.
Und dahinter und darunter der See, an dem Steinachs Schicksal, Glück und Unglück hängt: Hier kommen Waren und Arbeit und Verdienst her, aus ihm steigen aber auch der Klabautermann und die Wassergeister ans Land und zeigen den Menschen den Meister, wenn es wieder einmal Zeit ist «zom en Sturm aazettle».
Spielball der Mächtigen
Im Sturm verschlingen sich magische und politische Welt, Wasser und Land, die beiden Elemente, die Steinachs Existenz seit 1250 Jahren bestimmt haben und mit denen das Stück von Paul Steinmann lustvoll und geschichtsklug spielt. Steinach, topographisch perfekt gelegen, wird zum Spielball der Naturmächte, aber auch der irdisch Mächtigen: hier die Stadt St.Gallen, die den Hafen anlegt und den Steinachern einen neuen Gredmeister schickt, dort der Fürstabt, der nebenan in Rorschach seinen eigenen Hafen und ein neues Kloster bauen will.
Der geschichtlich verbürgte Konflikt, der im Rorschacher «Klosterbruch» von 1489 eskaliert und die Steinachern bis 1803 unter fürstäbtische Herrschaft zwingt, wird in «WasserLand» aber nicht zum trockenen Schulstoff – im Gegenteil: Wie die Steinacher Kids in einer kurzen Schulstuben-Szene den Rorschachern an den Karren fahren und dabei sich selber hochnehmen, ist typisch für den Witz und die manchmal deftige Selbstironie der Theatermacher.
«WasserLand – ein Sommernachts-Sturm», bis 7. September, Seebühne Steinach
Die Figuren sind erfunden, aber umso lebendiger. Allen voran Gredmeister Matthis: Michael Finger spielt den «Neuen» mit dem verdächtigen Züri-Dialekt mit Wucht und umwerfender Präsenz. Er heizt den Steinachern ein und schmilzt zugleich vor der Angebetenen dahin: Jacqueline Vetterli spielt die spröde Ottilia und die verführische Wassernixe Littoia, der Finger am Ende ins Wasser nachhechtet und dann pflotschnass seinen eigenen Song von der «Liebi» singt.
Katharina Bohny ist die ernste Warnerin Juliana, Matthias Peter gibt den närrischen unheiligen Gallus und Raphael Tschudi den schmierigen Waffenhändler Ullrich, dem die Landleute auf den Leim gehen, «well mer Steinacher sind…», weil sie sich lieber den Geschäften und dem Schnaps als dem Krieg widmen und dann prompt vom grossen Sommernachtssturm abgestraft werden.
«Well mer Steinacher sind»
«Well mer Steinacher sind»: Der Song, von der spritzigen Band unter Gitarrist und Komponist Valentin Baumgartner begleitet, hat das Zeug zur Dorf-Hymne. Und das halbe Dorf ist denn auch mit auf der Bühne oder backstage engagiert. Rund ein Dutzend Laienspielerinnen und -spieler tragen neben den Profis das Stück, stürzen sich in wechselnde Rollen, sind Wassergeister und Fischersleute, dazu die Kindertruppe und die Akrobatinnen des Turnvereins, die beim Schiffentladen ihre heftig applaudierten Künste zeigen.
Regisseur Oliver Kühn bringt die farbige Szenenfolge rasant voran, mit starken Sprechchören und raffiniert bewegten Ensembleszenen, choreographiert von Ann Katrin Cooper und Tobias Spori. Die Inszenierung reiht Klamauk und schrille Töne neben poetische Momente. Szenenapplaus gibt es für die groovenden Festszenen, aber auch für die blubbernden Auftritte der Wassergeister. Und die grössten Lacher holen sich die Steinacher mit ihren «lebendigen Bildern» von Gallus und Otmar.
Spektakel statt Weihrauch
Festspiel heute, das machen Regisseur und Autor klar, heisst nicht betuliche Selbstfeier, sondern Spektakel mit Spiellust und Wortwitz, mit Seitenhieben ans Heute und ohne zuviel Tiefgang. Geschichte muss fetzen – dass sie das kann, beweisen Autor und Regisseur und das ganze «couragierte Ensemble», wie es Oliver Kühn im Programmheft nennt.
«Mer laded ab und schicked’s witter» sagen die Dörfler, nachdem sie die Schiffsladung mit den ominösen Pulverkisten und Kanonen gelöscht haben. Das Steinacher Motto hat es in sich, es ist selbstkritisch und liebevoll zugleich wie die ganze Produktion. Mit dem Stück «LandWasser» bekommt Steinach, jedenfalls für Nicht-Steinacher, ein Gesicht und eine Identität. Und dass die Badi die Schönste weit und breit ist, ist sowieso klar. Wer daran zweifelt, macht am besten vor der Aufführung einen Sprung ins Wasser wie Gredmeister Matthis.