Der Riss in der Idylle

Der Multimedia-Artist Jeremias Heppeler debütiert mit seinem Roman Dunkles Donautal, in dem der brutale Mord an einem ​Jugendlichen ein ganzes Dorf in Frage stellt. Ein Heimatkrimi, eine Coming-of-Age-Story und eine Fussnotensammlung auf das gesamte Werk des Autors.
Von  Veronika Fischer

Jeremias Heppeler ist als Musiker, Filmemacher, Künstler und Autor unterwegs und erforscht in vielen Facetten das Dunkle, die Abgründe und die Schattenseiten der menschlichen Existenz. In seinen Theatertexten Die Gurgel oder Die ganze Hand geht es um grausame Themen. Ein Krimi ist damit eine logische Konsequenz. In seinem gut 400 Seiten schweren Roman Dunkles Donautal geht es dem Titel entsprechend düster zu. Es ist Heppelers Debüt in einem Verlagshaus, bisher hat er seine Buchprojekte selbst publiziert (mehr dazu hier).

Dunkles Donautal ist aber mehr als ein Krimi – es ist auch ein Heimatroman, denn er spielt in der Gegend, in der Heppeler aufgewachsen ist und heute lebt. Irgendwo in der Provinz zwischen Bodensee und Stuttgart, der Handlungsort wird nicht näher bestimmt – es ist «das Dorf». Die Kulisse der Landschaft mit ihren tiefen Schluchten wird zu einer dunklen Metapher: «Diese Risse gruben sich tief ins Fleisch der Gemeinschaft. Niemand konnte sich verschliessen. […] Sie waren mehr Wunden als Narben. Offen. Eitrig. Aber wenn das Dorf überleben sollte, dann musste es Wunden wie diese verhüllen. Im Schweigen. Und im Vergessen.»

In diesem Schweigen also ermittelt die Kommissarin Tilda Marder. Sie ist Mitte 30 und hat ihre Ausbildung in einer Grossstadt absolviert. Dieser Mordfall bringt sie nun aber ausgerechnet dorthin, von wo sie für immer weg wollte: in ihre Heimat. Anhand der Figur der Kommissarin erzählt Heppeler die Geschichte des Erwachsenwerdens, des Unangepasstseins, der Flucht vor sich selbst und vom Zurückkommen.

Jeremias Heppeler: Dunkles Donautal, Gmeiner Verlag, Messkirch 2024.

Autorenlesung am Tuttlinger Literaturherbst: 7. November, Stadthalle Tuttlingen

Das Wolfsmotiv zieht sich durch die Geschichte

Auf einem der malerischen Kreidefelsen findet man die grausam inszenierte Leiche eines Jugendlichen, die sofort an einen Ritualmord denken lässt. Das Böse ist nun in der Idylle angekommen, das Tor zur Hölle ist geöffnet. Hier war irgendein verrückter Psychopath am Werk, der keiner gewöhnlichen Logik folgt. Tilda Marder tappt zunächst im Dunkeln und taucht hinab in die Dorfgesellschaft, die aus Charakteren besteht, wie wir sie alle kennen. Zum Beispiel gibt es Gisi, die beim Nordic Walking auf die Leiche gestossen ist und alle Details in den Äther des Dorfgeschwätzes und der Boulevardpresse speist.

Die junge Kommissarin ermittelt in diesem Fall immer wieder in Manier der einsamen Wölfin. Sie ist nicht so recht für die Teamarbeit gemacht, vor allem mit einem Kollegen gerät sie aneinander. Er ist «ein durch und durch unausstehlicher Mensch. Glattgebügelt. Herablassend. Erzkonservativ. Sexistisch. Rassistisch. Ein Relikt.» Gegen ihn muss sich die junge Ermittlerin behaupten.

Sie lernt ihrer Intuition zu vertrauen und erwachsene Entscheidungen zu fällen, obwohl sie für die Zeit der Ermittlung wieder im Elternhaus einzieht und in ihrem Kinderzimmer schläft. Hier werden Jugenderinnerungen wach und sie wird auf die Probe gestellt, ob sie sich noch in den alten Zuschreibungen findet oder ihre erwachsene Version behaupten kann. «Sie hatte ihr Leben lang gegen merkwürdige Erwartungen gekämpft. Viele davon, das hatte sie erst in den letzten Jahren verstanden, hatte sie sich eingebildet. Selbst auferlegt. […] Die Angst davor, komplett unsichtbar zu sein, war grösser als die Angst vor den Erwartungen und Vorurteilen.»

Bandnamen, Handballspiele und Tiersymbole begleiten den Mordfall

Heppeler spielt gekonnt mit der Erwartungshaltung der Leser:innen. Es werden falsche Fährten gelegt, die Aufklärung des Falls bleibt lange im Unklaren. Seine Sprache ist atmosphärisch dicht und immer wieder stösst man auf kleine Überraschungen, die in einem Krimi unerwartet erscheinen, im Kontext von Heppelers sonstiger Arbeit aber vollkommen logisch sind. So begegnet man viel Musik – von der 187 Strassenbande über Ski Aggu und NOFX bis zu Joy Division fallen einige Bandnamen – und auch Handballfans kommen auf ihre Kosten, da immer wieder das lokale Mannschaftsleben beschrieben wird – eine autobiografische Komponente des Autors.

Und dann werden sprachliche Bilder gezeichnet, die in ihrer Symbolik auch direkt eine Übersetzung aus den bildnerischen Kunstwerken Heppelers sein könnten: «Jemand hatte vier angespitzte Stöcke in den Boden getrieben. Darauf sassen fein säuberlich aufgespiesst ein abgetrennter Rabenschädel und drei abgeschnittene Fuchsköpfe. Das Schwirren der Fliegen dröhnte beinahe ohrenbetäubend, doch Tilda hatte nur Augen für ein vielleicht unbedeutendes Detail: die feuerrote Farbe im Fell der Füchse.»

Die grosse Stärke des Romans ist aber die Abhandlung des Bösen in der Idylle. Immer wieder zeigt Heppeler, wie sehr die Provinz als intakter Ort, als «locus amoenus», als Zufluchtsort und Heimat gesehen wird, um radikal damit zu brechen. Im Text finden sich Reflexionen und Analysen, die hinterfragen, warum die Menschheit Lust am Bösen verspürt und mit Vergnügen Krimis liest.

Die Spannung wird durch einen zweiten Plot aus einer ganz anderen Perspektive gesteigert: Ein Jäger aus der Steinzeit ist auf der Flucht vor einem Rudel Wölfe. Lange wirkt dieser zweite Erzählstrang wie ein Fremdkörper im Text, bis er dann am Ende so geschickt verwoben wird, dass ein literarisches Gesamtkunstwerk entsteht.