Der Prozess (III)
Die Zusammenfassung des zweiten Verhandlungstages an den Zürcher Prozessen im Theater am Neumarkt.
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Gestern waren die ersten zwei Verhandlungssitzungen auf dem Programm. In der ersten Sitzung wurde der Tatbestand der „Schreckung der Bevölkerung“ verhandelt. Dieser macht sich schuldig, „wer die Bevölkerung durch Androhung oder durch Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt. (…) Die Androhung der Gefahr muss nicht ernst gemeint sein, sondern nur so wahrgenommen werden. Zu beachten ist dabei, dass die Bereitschaft der Bevölkerung, sich durch bestimmte Handlungsweisen schrecken zu lassen, stark von der Publizität entsprechender Gefahren abhängig ist“, so die Ausführungen der Anklageschrift.
Die Anklage wollte zeigen, inwiefern die ständige, durch einschlägige und einseitige Artikelfolgen angeheizte Dämonisierung und Pauschalisierung der islamischen Religion durch die Weltwoche die Gefahr einer islamistischen „Landnahme“ (Zitat Roger Köppel) heraufbeschwört, die gar nicht vorhanden ist.
Dass die Gefahr in der Schweiz so nicht vorhanden ist, wurde gezeigt, indem es der Anklage gelang, ein vielfältiges Bild des hiesigen Islam zu zeigen und die im Islamischen Zentralrat organisierten fundamentalistischen oder, wie sie sich selber bezeichnen, „puristischen“ Muslime als marginale Gruppe zu entlarven.
Vor allem die frische und im Verhör extrem klug agierende junge Muslima Derya Özonar und die Islamwissenschaftlerin Amira Hafner Al-Jabaji waren dafür verantwortlich. Letztere legte überzeugend dar, inwiefern die Berichte der Weltwoche und die Vertreter eines extremen Islam sich gegenseitig bekannt machen und hochschaukeln. Der extreme Islam sei zumindest in der Schweiz vor allem ein Problem, für das die Sozialanthropologie oder die Soziologie und nicht die Religion zuständig sei. Als Weltwoche-Verteidiger Zanetti Frau Özonar siegesgewiss die Frage stellte, ob sie denn im Alltag rassistische Beleidigung erfahre und diese ganz selbstverständlich von vielen solchen Erlebnissen beric,htete, wusste er nichts zu entgegnen.
Wie aber nicht anders erwartet, dürfte es schwierig sein, trotz dieser Sachlage die Geschworenen von einer tatsächlichen Schreckung zu überzeugen. Denn wie will man die tatsächliche Wirkung festmachen? Was war zuerst? Die Angst und dann die Berichte – oder umgekehrt? Wer hat Angst? Angst und Vorurteile haben ja immer nur die anderen, man selber ist immer ein mündiger Bürger.
Etwas anders sieht es beim zweiten Anklagepunkt, dem der Rassendiskriminierung aus. Walter Schmid konnte hier deutlich zeigen, wie die Weltwoche ein verzerrtes Bild von „muslimischen Sozialschmarotzern“ zeichnet. Aber der Strafrechtsprofessor Marcel Alexander Niggli, der im Vorgespräch deutlich angekündigt hatte, über das rassistische Grenzgängertum der Weltwoche auszusagen, beschränkte sich in der Verhandlung auf allgemeine Bemerkungen zur Verrohung der Medienlandschaft. Auf diesen Widerspruch angesprochen, sagte er nachher, er sei nicht explizit gefragt worden. Und ja, natürlich sei die Minarettinitiative, für die die Weltwoche so intensiv geworben hatte, rassistisch, denn wer nicht beispielsweise sage, alle religiösen Türme gehörten verboten, sondern nur die der Muslime, der treffe eine rassistische Unterscheidung. Und auch, wenn man, wie die Weltwoche das immer wieder tut, verlangt, dass man den Migrationshintergrund der eingebürgerten Schweizerinnen in den Statistiken ausweise, sei das rassistisch, denn wenn man zurückfrage, warum das denn so wichtig sei, komme zum Vorschein, dass das Motiv ein rassistisches sei, weil man bestimmte Volksgruppen stigmatisiert haben möchte.
Ja, so kann es gehen, wenn nur im Off und nicht an der eigens inszenierten Öffentlichkeit die entscheidenden Aussagen kommen.
Für heute, den dritten Verhandlungstag, haben Filippo Leutenegger und Regula Stämpfli ganz kurzfristig abgesagt. Man wird improvisieren müssen.