Der Preis ist (immer noch) heiss
Das Palace ist am Samstag gut besetzt, als Stadtparlamentarier Etrit Hasler, Sandra Meier, Kinok-Leiterin und Ex-Mitglied der städtischen Kulturkommission, sowie per Telefon aus Köln Theatermacher Milo Rau unter Leitung von Kaspar Surber über den städtischen Kulturpreis diskutieren.
Zur Erinnerung: Den Preis bekommt Sitterwerk-Gründer Felix Lehner; die Kommission hatte Milo Rau vorgeschlagen, der Stadtrat entschied sich für Lehner, offizielle Begründung, nachdem der Vorgang publik geworden war und mehrere Kommissionsmitglieder demissioniert hatten: Lehners grösserer «kultureller Fussabdruck» in der Stadt habe den Ausschlag «für» ihn (und nicht «gegen» Rau) gegeben.
Der Einervorschlag
Sandra Meier bekräftigt, was bisher nicht in dieser Klarheit bekannt war: Die Kommission hat über Lehner und Rau gesprochen, beide schon länger als Preiskandidaten im Gespräch. Sie habe dann als Einervorschlag Rau empfohlen und, nach einem ersten Nein des Stadtrats und nachdem Lehner inzwischen den Preis der St.Galler Kulturstiftung bekommen hatte, in einer zweiten Runde das Argumentarium vertieft und «entschieden» auf Rau beharrt. «Ich muss nicht in einem Fachgremium mitmachen, dessen Arbeit nicht ernst genommen wird», begründet Meier ihren Rücktritt. Den Vorschlag Rau habe man schliesslich nicht leichtfertig gemacht, und der Preis-Entscheid des Stadtrats sei «nicht die erste Korrektur, aber die massivste» gewesen.
Das Theater will nicht
Ist Milos Raus örtlicher «Fussabdruck» zu gering? Argumente dagegen hat Rau in seinen Stellungnahmen in den Medien gleich selber vorgebracht. Seit City of Change, dem umstrittenen Projekt 2010/11 war er aber nie mehr am Theater St.Gallen. Raus Erklärung am Telefon: Er hab «x-mal» versucht, eine Koproduktion mit St.Gallen zustande zu bringen, habe dafür aber kein Interesse gefunden, anders als in rund zehn anderen Schweizer Städten, darunter Lausanne, Zürich, Bern, Basel, Chur, aber auch in Bregenz oder Konstanz. Seine Arbeiten könne man überall sehen – nur in St.Gallen nicht.
Das ominöse Kommissiongeheimnis
Warum werden Kommissions-Interna öffentlich? Etrit Hasler, der den Vorgang öffentlich gemacht und ins Parlament getragen hatte, nennt ausdrücklich keine «Whistleblower», aber gibt zu Protokoll: Ein Kommissionsgeheimnis, auf das sich der Stadtrat berufe, gebe es juristisch nicht. Dass Kommissionsmitgliedern mit Sanktionen gedroht wurde, wenn sie das «Amtsgeheimnis» verletzten, sei deshalb ein inakzeptabler Druckversuch von Seiten der Stadt. Nicht so schlimm wie die Erdogan-Diktatur, auf die Rau angespielt hatte, aber eindeutig undemokratisch.
Ein Preis für Lokalhelden?
Die Kommission habe Raus künstlerische Leistung stärker gewichtet als die Präsenz vor Ort, sagt Sandra Meier. Hält der Stadtrat an seinem «Fussabdruck»-Argument fest, so ist dies nach Raus Überzeugung eine «Umdefinition» des Preises – und eine fragwürdige Wende hin zum Lokalen. Das Podium will davon nichts wissen: St.Gallen leide unter einem künstlerischen «Brain Drain», sagt Sandra Meier. Die Stadt habe keine Kunst-Ausbildungsstätten, das sei politisch so gewollt, und umso wichtiger sei es daher, Weggezogene neu an die Stadt zu binden, unter anderem mit Preisen. Die Stadt soll nicht kleiner gemacht werden, als sie ist.
Kein Preis für «einen, der Ärger macht»?
Etrit Hasler erinnert an die Ablehnung eines Werkbeitrags an Hans Fässlers Agassiz-Ausstellung vor einigen Jahren. Und er bezweifelt, dass der Stadtrat damals wie jetzt fachlich entschieden habe. Stadtpräsident Thomas Scheitlin verstehe Kultur als Beitrag zum Standortmarketing – «einer, der Ärger macht, wie Milo Rau», passe in dieses Bild nicht hinein. Rau erinnert seinerseits an Niklaus Meienberg, sein Jugend-Vorbild.
Ohnehin habe die Kultur politisch einen schweren Stand, sagt Sandra Meier mit Blick auf die Kulturplafonierung im Kanton, die den finanziellen Druck auch in der Stadt verschärfe: «Die Verteilkämpfe sind gross.» Etrit Hasler kritisiert das kulturfeindliche Kantonsparlament, insbesondere die CVP, die die Plafonierungsidee dort ein- und mit HIlfe der SVP durchgebracht hatte.
Moderator Kaspar Surber stellt aber auch die Frage nach dem Kulturverständnis der SP – zwei ihrer Mitglieder sitzen im St.Galler Stadtrat, über ihr Abstimmungsverhalten zum Kulturpreis gibt es an dem Abend keinen Aufschluss.
Ein alternativer Kulturpreis?
Am Ende steht im Palace die klare Forderung: Die Kulturkommission muss gestärkt werden, wenn sie auch künftig eine Funktion haben soll. Auslagern in eine politisch unabhängige Stiftung, wie dies im Kanton der Fall ist? Oder ein Vetorecht für den Stadtrat mit der Pflicht, ein solches Veto öffentlich zu begründen? In Berlin werde ein solches Modell praktiziert, sagt Milo Rau. Für die Podiumsteilnehmer sind beide Varianten denkbar. Etrit Hasler hat im Stadtparlament dazu eine Motion eingebracht.
Ausserdem denkt das Palace laut Kaspar Surber über einen alternativen Kulturpreis nach. «Goldener Fussabdruck» könnte er heissen, konkret ist er noch nicht. Aus dem Publikum wird an den «Herabminderungspreis» erinnert, den die Renatus-Högger-Societät früher in St.Gallen eine Zeitlang vergeben hat. Der war allerdings eher humoristisch ausgerichtet – jetzt soll es ernst gelten.
Auf zum neuen Kulturkonzept!
Etrit Hasler bringt weitere Kulturförder-Wünsche aufs Tapet: Förderpreise sollen wieder, wie früher, jährlich statt aus Spargründen bloss alle zwei Jahre vergeben werden. Und die Subventionen für feste Häuser müssten der Teuerung angepasst werden – denn Kulturausgaben seien zu wesentlichen Teile nicht abstrakte «Gelder», sondern konkrete Löhne.
Der Zeitpunkt für die Diskussion ist gut: Die Stadt macht sich daran, ein neues Kulturkonzept zu erarbeiten, im August ist eine erste Forumsveranstaltung angekündigt – die Rolle der Kulturkommission (die bis heute mit einem Reglement von 1954 arbeitet) wird dabei zweifellos ein Thema sein.
Vom Recht auf Transparenz
Am Podium bleibt offen, wie weit das «Trauma» des St.Galler Lehrermords auf die Kulturpreis-Entscheidung Einfluss hatte. Das Projekt zu diesem Thema, 2010 von Rau und dem Theater St.Gallen geplant, hatte damals wütende Proteste ausgelöst, Stadtrat Nino Cozzio war als früherer Anwalt der Opferfamilie betroffen. Rau äussert sich am Podium überzeugt davon, dass das mit ein Grund für das Nein zum Kulturpreis gewesen sei.
Geht man versuchsweise davon aus, dass das stimmt und dass der Stadtrat Rücksicht auf die Empfindlichkeiten in der Bevölkerung nehmen wollte, dann könnte die Folgerung lauten: Für eine so exponierte Personalie wie den grossen Kulturpreis macht es Sinn, sie fachlich und politisch zu diskutieren. Die letzte Verantwortung trägt der Stadtrat. Wenn er aber anders als die Fachleute gewichtet, dann mit öffentlicher Begründung, damit sich das Volk eine Meinung bilden kann.
Statt «henenome» wäre der Vorgang damit transparent und diskutierbar. Und anders als jetzt die Kulturkommission müsste sich niemand vor den Kopf gestossen fühlen.